«Kein Wort verrate ich.»
«Du kannst sehr stolz auf dich sein», fuhr er fort. «Jahrhundertelang haben sich kluge Männer mit diesem Problem beschäftigt, und keiner von ihnen ist jemals auf eine Idee gekommen, die auch nur halb so schlau war wie deine. Warum hast du mir nicht schon eher davon erzählt?»
«Du hast mich nie nach meiner Meinung gefragt», erwiderte ich.
Und so war es. Bis zum Tage zuvor hatte Claud nie mit mir über das geheiligte Thema, nämlich das Wildern, gesprochen. Oft genug hatte ich an Sommerabenden beobachtet, wie er nach getaner Arbeit mit der Mütze auf dem Kopf aus seinem Wohnwagen schlüpfte und in Richtung der Wälder verschwand. Wenn ich ihm vom Bürofenster aus nachschaute, hatte ich mich mitunter gefragt, was er wohl vorhabe, was für hinterlistige Streiche er dort oben im stockdunklen Wald verüben wolle. Selten kam er vor Mitternacht zurück, und nie, schlechterdings nie, brachte er bei seiner Heimkehr Beute mit. Und doch – ich hatte keine Ahnung, wie er das machte – hing am nächsten Tag immer etwas zu essen in unserer Vorratskammer – ein Fasan, ein Hase oder ein Paar Rebhühner.
In diesem Sommer war Claud besonders rührig gewesen, und in den letzten beiden Monaten hatte er sein Tempo derart gesteigert, dass er wöchentlich vier oder fünf solcher Ausflüge unternahm. Und das war noch nicht alles. Mir schien, dass sich seine Einstellung zum Wildern neuerdings auf eine subtile, mysteriöse Weise verändert hatte. Er kam mir so zielbewusst, verschlossen, ja verbissen vor wie noch nie, und ich hatte den Eindruck, es handle sich nicht mehr um eine Spielerei, sondern um einen Kreuzzug, um eine Art Privatkrieg, den Claud ganz allein gegen einen unsichtbaren, verhassten Feind führte.
Aber gegen wen?
Ich war meiner Sache nicht sicher, hatte jedoch den Verdacht, es sei kein anderer als Mr. Hazel, der berühmte Mr. Victor Hazel, dem die Wälder und die Fasanen gehörten. Dieser Herr, der Besitzer einer großen Brauerei, zeichnete sich durch unglaubliche Arroganz aus und war über alle Maßen reich. Seine Ländereien erstreckten sich meilenweit auf beiden Seiten des Tales. Er war ein Selfmademan ohne jeglichen Charme und mit bemerkenswert wenigen Vorzügen, verachtete alle Menschen in untergeordneter Stellung, obgleich er selbst einmal zu ihnen gehört hatte, und machte verzweifelte Anstrengungen, in jene Gesellschaftskreise zu gelangen, die er für die richtigen hielt. Er veranstaltete Parforcejagden, gab große Jagdgesellschaften, trug phantastische Westen und fuhr an jedem Wochentag auf dem Weg zur Fabrik in seinem riesigen schwarzen Rolls-Royce an unserer Tankstelle vorüber. Manchmal erspähten wir dann für einen Moment über dem Lenkrad sein feistes, glänzendes Brauergesicht, rot wie ein Schinken, aufgedunsen und erhitzt von übermäßigem Biergenuss.
Um auf Claud zurückzukommen – tags zuvor hatte er ganz unvermittelt zu mir gesagt: «Ich gehe heute Abend wieder in Hazels Wälder hinauf. Willst du mich nicht begleiten?»
«Ich?»
«Für dieses Jahr wird’s dann wohl aus sein mit Fasanen», fügte er hinzu. «Die Jagd wird am Sonnabend eröffnet, und später sind die Vögel in alle Winde verstreut – sofern welche übrig bleiben.»
«Warum diese plötzliche Einladung?», fragte ich misstrauisch.
«Kein besonderer Grund, Gordon. Gar keiner.»
«Ist es gefährlich?»
Darauf gab er mir keine Antwort.
«Ich nehme an, du hast da oben eine Flinte oder so was versteckt?»
«Eine Flinte!», rief er entsetzt. «Kein Mensch schießt Fasanen, weißt du das nicht? In Hazels Wäldern brauchst du nur eine Kinderpistole abzufeuern, und schon fallen die Wildhüter über dich her.»
«Wie machst du’s denn sonst?»
«Ach», sagte er nur und senkte geheimnistuerisch die Lider. Erst nach längerem Schweigen sprach er weiter. «Traust du dir zu, dass du den Mund halten kannst, wenn ich dir das eine oder andere erzähle?»
«Ganz entschieden.»
«Noch nie in meinem Leben habe ich jemandem ein Wort davon gesagt, Gordon.»
«Ich fühle mich sehr geehrt», antwortete ich. «Du kannst dich vollständig auf mich verlassen.»
Er wandte den Kopf und blickte mich mit seinen blassen Augen an. Sie waren groß und feucht wie die eines Ochsen und so dicht vor mir, dass ich im Zentrum, verkehrt herum gespiegelt, mein Gesicht sah.
«Ich werde dir jetzt die drei besten Arten der Welt schildern, Fasanen ohne Flinte zu erlegen», begann er. «Und da du auf diesem kleinen Spaziergang mein Gast bist, darfst du bestimmen, wie wir es heute machen wollen. Einverstanden?»
«Dahinter steckt etwas.»
«Nichts steckt dahinter, Gordon. Ich schwöre.»
«Gut. Also weiter.»
«Pass auf», fuhr er fort, «hier kommt das erste große Geheimnis.» Er hielt inne, um kräftig an seiner Zigarette zu ziehen. «Fasanen», flüsterte er, «sind wild auf Rosinen.»
«Rosinen?»
«Auf gewöhnliche Rosinen. Das ist bei ihnen geradezu eine Manie. Mein Vater hat das vor mehr als vierzig Jahren entdeckt. Und er hat auch alle drei Methoden entdeckt, die ich dir jetzt beschreiben werde.»
«Hast du nicht mal gesagt, dass dein Vater ein Säufer war?»
«Allerdings. Aber er war auch ein großer Wilderer, Gordon. Vielleicht der größte, den es je in der Geschichte Englands gegeben hat. Mein Vater studierte das Wildern wie eine Wissenschaft.»
«Tatsächlich?»
«Es ist mein Ernst, Gordon. Mein voller Ernst.»
«Ich glaub dir’s ja.»
«Weißt du», erzählte er weiter, «mein Vater hielt immer eine Schar junger Hähne auf unserem Hof. Nur zu Versuchszwecken.»
«Hähne?»
«Ganz recht. Und sooft er sich etwas Neues ausgedacht hatte, um Fasanen zu fangen, probierte er die Wirkung zuerst an einem Hahn aus. Auf diese Weise hat er die Sache mit den Rosinen entdeckt. Und auch die Rosshaarmethode.» Claud warf einen raschen Blick über die Schulter, als wollte er sich vergewissern, dass uns niemand belauschte. «Man macht das so», erklärte er. «Zuerst legt man ein paar Rosinen über Nacht in Wasser, damit sie hübsch rund und saftig werden. Dann nimmt man ein schönes steifes Rosshaar und schneidet es in fingernagellange Stücke. Darauf sticht man durch jede Rosine ein solches Stück Rosshaar, und zwar so, dass es rechts und links ein wenig herausschaut. Verstanden?»
«Ja.»
«Nun kommt also der alte Fasan und frisst eine von den Rosinen, nicht wahr? Du stehst hinter einem Baum und beobachtest das. Und wie geht’s weiter?»
«Ich nehme an, das Haar bleibt ihm in der Kehle stecken.»
«Selbstverständlich, Gordon. Aber das Erstaunliche, das, was mein Vater entdeckt hat, ist Folgendes: Sowie das geschieht, kann der Fasan nicht mehr die Füße heben. Er steht da wie angenagelt, steht da und bewegt seinen albernen Hals wie einen Pumpenschwengel auf und ab. Du brauchst nur noch aus deinem Versteck hervorzukommen und ihn in aller Ruhe mit den Händen zu packen.»
«Das glaube ich nicht.»
«Ich schwör’s dir», beteuerte er. «Hat ein Fasan erst mal das Rosshaar verschluckt, dann kannst du dicht an seinem Ohr ein Gewehr abfeuern, ohne dass er auch nur einen Sprung macht. Das ist eine von jenen unerklärlichen Kleinigkeiten, die zu entdecken es eines Genies bedarf.»
Er schwieg eine Weile, und in seinen Augen blitzte Stolz auf, während er sich der Erinnerung an seinen Vater, den großen Erfinder, überließ.
«Das war die Methode Nummer eins», fuhr er fort. «Methode Nummer zwei ist sogar noch einfacher. Man braucht dazu nur eine Angelschnur. Auf den Haken wird als Köder eine Rosine gesteckt, und dann kann man die Fasanen genau wie Fische angeln. Man wirft die Schnur weit aus, legt sich im Gebüsch auf den Bauch und wartet, bis einer anbeißt. Dann holt man ihn ein.»
«Das hat aber bestimmt nicht dein Vater erfunden.»
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