Flick stand ein paar Schritte entfernt und gab einen hungrigen Laut von sich, während er das Baby aus der Trage hob. Speichel tropfte ihm aus dem Mundwinkel.
Er war so von dem Schauspiel gefesselt, was vor seinen Augen geschah, dass er einen Moment brauchte, um zu erkennen, was nicht stimmte. Das Baby in seinen Armen war viel zu leicht, und es bewegte sich nicht. Flick starrte es an, verstand aber nicht, was genau eigentlich los war.
Augenblick mal! Das war ja gar kein Baby!
Das war eine verdammte Plastikpuppe!
Flick hielt sie ins Licht und sah, dass mit schwarzem Stift FUCK YOU! quer über die Brust der Puppe geschrieben stand.
Was zum Teufel…?
Der Vampir war für ein paar Sekunden verwirrt, bis auf einmal das „Baby“ explodierte und ihn in eine Wolke konzentrierten, Übelkeit erregenden Gases hüllte.
Flick zuckte zurück und würgte. „Aaah! Das ist verdammter Knoblauch!“ Er schleuderte die Puppe zu Boden und begann, sich hastig sein bereits brennendes Gesicht abzuwischen.
Dingo und Proof hielten mitten in ihrem Angriff inne und blickten verwirrt auf.
Unter ihnen hörte Abigail auf, sich zu wehren, stattdessen wand sie sich lautlos und zog ein Knie bis vor die Brust. Ein leises Klicken war zu hören, dann glitt ein silberner Dorn mit Widerhaken aus der Stiefelspitze. Sie sah kurz auf ihre Armbanduhr, presste sich gegen den Boden, so fest es nur ging, und dann holte sie mit aller Kraft aus, um Proof den Dorn von unten ins Kinn zu jagen.
Mit einem entsetzten Kreischen ging der Vampir in Flammen auf, als das Silber durch tausend winzige Kapillargefäße in seinen Blutkreislauf eindrang, sich rasend schnell im ganzen Körper ausbreitete, der gleich darauf von blauen Flammen verzehrt wurde. Proof packte mit seinen brennenden Händen nach Abigails Stiefel und versuchte, den todbringenden Widerhaken aus seinem Kiefer zu ziehen.
Doch es war bereits zu spät. Proof sackte in sich zusammen, während sich die chemische Reaktion in seinem Körper fortpflanzte, seine inneren Organe auslöschte und die Verbindungen auflöste, die seine Knochen zusammenhielten. Der Körper zerfiel buchstäblich in sich, die Haut löste sich in großflächigen Schuppen ab, als das Fleisch darunter verkohlte, da das Silber ihn von innen heraus verbrannte. Sein rotglühendes Skelett zerplatzte in einen Ascheregen, der sich auf dem verdreckten Bahnsteig verteilte.
Dingo war in seiner Position erstarrt. Er konnte nicht glauben, was er sah. Ehe er reagieren konnte, schlang Abigail ihre Beine um die Unterschenkel des tätowierten Vampirs und zog sie ruckartig an sich.
Der Vampir fiel nach hinten und landete mit einem lauten Krachen auf dem Rücken. Er sah Abigail völlig schockiert an und war noch überraschter, als sie aufsprang und dabei den schweren Mantel und ihre Mütze abstreifte. Lange, glänzende Zöpfe kamen zum Vorschein und fielen ihr federnd auf die Schultern.
Dingo riss den Mund auf. Die Frau war keineswegs so unscheinbar, wie sie gedacht hatten.
Genaugenommen sah sie sogar ausgesprochen gut aus.
Abigail machte einen Schritt nach hinten und warf der Kreatur am Boden einen vernichtenden Blick zu.
Unwillkürlich wanderten Dingos Augen über das bemerkenswerte Waffenarsenal, das die Frau an ihrem geschmeidigen, muskulösen Körper untergebracht hatte. Dieser Anblick war an sich schon beunruhigend, doch der Ausdruck ihrer Augen war für den Vampir der größte Schock. Obwohl er bereits tot war, hatte Dingo das Gefühl, dass sich eine eisigkalte Hand um sein Herz legte und zudrückte.
Er bemerkte, wie die anderen ihn anstarrten, und schüttelte den ersten Schock ab. Die Frau war nur irgendein Miststück, nichts weiter. Sie hatte bloß Glück gehabt, das war alles. Er würde sie von einer Sekunde auf die nächste überwältigen.
Trotzig knurrend stand Dingo langsam auf.
Anscheinend ohne erst Luft zu holen, holte Abigail aus und trat ihm mit dem Stiefelabsatz, der eine Metallspitze aufwies, so heftig ins Gesicht, dass sie ihm das Nasenbein zerschmetterte. Während Dingo jaulte und sich sein verletztes Gesicht hielt, trat sie ein zweites Mal zu. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen, und im gleichen Moment setzte ein Trommelfeuer aus Hieben ein, die Blut auf den Bahnsteig spritzen ließen.
Dingo sackte nach hinten auf den Boden, gleichzeitig erholten sich Flick und Squid vom ersten Schock. Sie stürmten auf Abigail zu, johlten und fletschten die Zähne. Squid griff als Erster an und nahm die Frau von hinten in einen eisernen Schwitzkasten. Er packte noch fester zu und bog ihren Kopf in der Absicht nach hinten, ihr das Genick zu brechen, als hätte er einen Zweig in der Hand. Abigail hatte damit aber gerechnet und beugte sich mit Schwung zur Seite, so dass sie sich aus dem Griff lösen und die Bewegung des Vampirs selbst dazu nutzen konnte, ihn nach hinten wegzuschleudern, wobei sie ihre Schulter als Achse einsetzte.
Squid wirbelte hoch, beschrieb eine volle Drehung um sich selbst, ehe er mit einem Aufschrei vor ihren Füßen landete. Abigail sah ihn an, erinnerte sich, was er und seine Freunde mit ihrer Bluse angestellt hatten, und trat ihn mit voller Wucht in den Schritt.
Während sich Squid stöhnend wie ein Embryo zusammenrollte, drehte sich Abigail um. Sie wehrte Flicks Angriff ab, indem sie ihm den Ellbogen in die Kehle rammte und ihm damit fast das Genick brach, da er sich noch in der Vorwärtsbewegung befunden hatte. Sofort drehte sie ihren Arm mit Schwung nach unten. Gleichzeitig aktivierte sie einen Mechanismus und ein silberner Katardolch, der an ihren Unterarm geschnallt war, sprang vor.
Squid sah, was sie in der Hand hatte, und gab ein sehr leises und sehr unmännliches Wimmern von sich. Einen Herzschlag später war er nur noch ein Häufchen Vampirasche, das unerlaubt den Bahnsteig verschmutzte.
Abigail nahm sich kaum Zeit, um von ihrem grausigen Werk Notiz zu nehmen, sondern griff hinter sich und zog aus einer ledernen Scheide auf ihrem Rücken ein halbmondförmiges Objekt hervor. Flick schlich sich an sie heran. Seine Augen blitzten angriffslustig und er stieß ein leises, kehliges Knurren aus. Abigail nahm keinerlei Notiz von ihm. Sie hielt das Objekt in der Mitte fest, wandte die geschwungenen Enden von sich ab und drehte an einer Scheibe, die im Mittelpunkt befestigt war.
Mit einem metallischen Geräusch sprang das Gerät auf und bildete mit einem Mal einen stählernen Bogen mit einem Durchmesser von fast einem Meter. Ein UV-Laserstrahl verband die beiden Enden miteinander. Er summte gefährlich wie ein Schwarm Killerbienen.
Als Flick sich auf sie stürzte, erhöhte Abigail die Leistung des Geräts und wartete seelenruhig, bis ihr Gegner sie erreichte. Ehe Flick seinen Ansturm bremsen konnte, hatte Abigail bereits ausgeholt und einen seiner Arme so mühelos abgetrennt, wie ein Förster einen Baumstamm von kleineren Zweigen befreite. Der Arm war noch nicht einmal am Boden aufgetroffen, da hatte Abigail bereits das Gerät dazu benutzt, um Flicks Torso mit tödlicher Präzision vom Unterleib zu trennen.
Flicks Oberkörper glitt zur Seite weg und verging in einer Feuersbrunst, das Gesicht in totalem Schock verzerrt, ehe er als Ascheregen auf dem Bahnsteig niederging. Einen Augenblick später tat sein Unterleib es ihm nach. Ein Windstoß erfasste die Reste und erzeugte einen wirbelnden Mahlstrom aus Funken.
Abigail betrachtete einen Moment lang das Schauspiel, während das flackernde Licht Schatten auf ihr Gesicht warf.
Dann wandte sie sich Dingo zu, der die kurze Verschnaufpause genutzt hatte, um die Flucht zu ergreifen.
Sie packte ihre UV-Klinge zusammen und verstaute sie wieder in der Scheide am Rücken, dann zückte sie eine sonderbar aussehende Schusswaffe mit einem weit geöffneten Lauf. Nachdem sie sorgfältig auf Dingo gezielt hatte, betätigte sie den Abzug.
Mit Hochdruck schoss Antipersonen-Spray über den Bahnsteig und traf Dingos Beine. Der Schaum wurde sofort hart, klebte Dingos Beine zusammen und brachte ihn zu Fall. In Panik drehte sich Dingo um und versuchte in aller Eile, die Masse abzukratzen. Es gelang ihm nicht, vielmehr blieben nun auch noch seine Hände an der Substanz kleben.
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