»Das muss schlimm sein. Soll ich dir ein Privatlabor besorgen, Greta? Du hättest mehr Freiraum, du könntest es selber leiten. Vielleicht würde dir das helfen.«
»Nein, danke.«
»Ich könnte dir ein hübsches Labor bauen. An einem Ort, wo es uns beiden gefällt. Wo du dich konzentrieren kannst. Vielleicht in Oregon.«
»Ich weiß, dass du ein Institut bauen könntest, aber ich will dir nicht auf der Tasche liegen.«
»Du bist so stolz«, sagte er traurig. »Es wäre machbar. Wir könnten heiraten.«
Sie schüttelte ihren maskierten Kopf. »Wir werden nicht heiraten.«
»Wenn du eine Woche Zeit für mich hättest, eine Woche im Vierteljahr. Das ist nicht viel verlangt. Vier Wochen im Jahr.«
»Vier ganze Wochen im Jahr würden wir einander nicht ertragen. Und zwar weil wir beide besessen sind. Du hast keine Zeit für eine richtige Ehe, und ich auch nicht. Und selbst wenn wir heirateten, selbst wenn es klappen würde, dann würdest du doch bloß mehr wollen.«
»Ja, schon. Das stimmt. Natürlich würde ich mehr wollen.«
»Ich sag dir, wie es laufen würde, denn ich habe das schon erlebt. Du wärst der Hausmann, Oscar. Ich würde meine Achtzig-Stunden-Woche abreißen, und du würdest dich um mich kümmern, wenn ich denn mal da bin. Vielleicht könnten wir Kinder adoptieren. Ich würde niemals Zeit für deine Kinder haben, aber meine Schuldgefühle wären ausreichend groß, um ihnen Weihnachtsgeschenke zu besorgen. Du würdest dich ums Haus kümmern und ums Geld und vielleicht um den Ruhm, und du würdest für uns kochen und wer weiß noch was tun. Wahrscheinlich würdest du auf diese Weise dein Leben erheblich verlängern.«
»Du glaubst, das gefiele mir nicht«, sagte er. »Ich fände das gar nicht so schlecht. Es klingt authentisch. Das Problem dabei ist, es ist unmöglich. Ich kann keine Familie zusammenhalten. Ich kann nicht sesshaft werden. Ich habe noch nie erlebt, dass es funktioniert hätte. Seit vergangenem August hatte ich Affären mit drei verschiedenen Frauen. Früher sind die Frauen aufeinander gefolgt. Damit komme ich nicht mehr klar. Jetzt laufen die Affären parallel nebeneinander her. Dir den Ring und den Brautschleier zu geben, würde mich nicht ändern. Das ist mir mittlerweile klar, ich muss das zugeben. Ich habe keinen Einfluss darauf, ich kann es nicht kontrollieren.«
»Ich hasse deine Frauen«, sagte sie. »Andererseits stelle ich mir vor, wie sie für mich empfinden müssen, wenn sie denn überhaupt von mir erfahren. Das ist zumindest ein kleiner Trost.«
Er zuckte zusammen.
»Du hast mich nicht glücklich gemacht. Du hast mich kompliziert gemacht. Ich bin sehr kompliziert geworden. Jetzt fliege ich zum Mardi Gras, um mich mit meinem Geliebten zu treffen.«
»Ist das so schlimm?«
»Ja, es ist schlimm. Ich empfinde jetzt so viel Schmerz. Andererseits fühle ich mich viel wacher als zuvor.«
»Glaubst du, wir haben eine gemeinsame Zukunft, Greta?«
»Ich bin nicht die Zukunft. Dort draußen ist eine Frau, die sich herausgeputzt hat und stark betrunken ist. Heute wird sie mit ihrem Mann schlafen, und wenn sie klug sein sollte, wird sie sagen: Ach, was soll’s. Sie wird beim Mardi Gras schwanger werden. Sie ist die Zukunft. Ich bin nicht die Zukunft, ich war nie die Zukunft. Ich bin nicht mal die Wahrheit. Ich bin bloß eine Tatsache.«
»Ich glaube, ich bin doch ein Mensch«, sagte Oscar, »denn ich nehme die Fakten nur häppchenweise auf.«
»Wir werden niemals heiraten, aber irgendwann werden wir das hinter uns gelassen haben. Dann könnte ich mit dir am Strand Spazierengehen. Etwas für dich empfinden, einfach als Mensch, auf eine stillere, einfachere Weise. Wenn ich etwas derartiges zu geben habe, dann am Ende meines Lebens. Wenn ich alt bin, wenn der Ehrgeiz schwindet.«
Oscar erhob sich und ging zur Glastür. Ihre Bemerkung schmerzte ihn, denn er war sich ganz sicher, dass es genauso kommen würde, später, wenn sie einmal alt wäre. Weisheit und Gemeinsamkeit. Aber sie würde dies mit jemand anderem erleben. Nicht mit ihrem Geliebten. Sondern mit einem zu ihr aufblickenden Doktoranden oder vielleicht einem Biografen. Bestimmt nicht mit ihm. Er trat auf den Balkon, schob die Manschetten hoch und stützte sich auf das prächtige schmiedeeiserne Geländer.
Eine große Festgruppe arbeitete sich unter der blauweißen Fahne einer nicht mehr existierenden multinationalen Bank systematisch die Bourbon Street entlang. Die grimmig dreinschauenden Feiernden trugen nüchterne dreiteilige Maßanzüge und polierte Schuhe. Die meisten derartigen Gruppen schleuderten billige Perlen unters Volk, die Prolos aber ließen sich nicht lumpen: sie warfen mit Bargeld.
»Sieh dir mal diese Typen an!« rief Oscar.
Greta trat zu ihm. »Wie ich sehe, tragen sie Ferienkleidung.«
Eine an einem Angelgewicht befestigte Fünf-Dollar-Note kam von der Straße hochgeflogen und prallte von Oskars Schulter ab. Er hob sie auf. Es war tatsächlich richtiges Geld. »So etwas sollte man denen nicht gestatten. Das könnte einen Tumult auslösen.«
»Sei kein Griesgram. Ich fühle mich jetzt besser. Los, bringen wir das Bett zum Einsturz.«
Sie zog ihn ins Schlafzimmer. Die schwüle Luft vibrierte vor erotischer Spannung. »Soll ich die Maske aufbehalten?«
Er zog das Jackett aus. »Aber ja. Die Maske passt zu dir.«
Er machte sich besonders umsichtig und einfallsreich ans Werk. Während der langen Trennung hatte er genügend Zeit gehabt, sich diese Begegnung vorzustellen. Er hatte ein erotisches Schema mit mehreren Ebenen und einer Reihe variabler Subroutinen ausgetüftelt. Die Laken waren schweißdurchtränkt, und Gretas Halsadern traten hervor. Mit einem erstickten Schrei riss sie sich die Maske von den Augen, sprang aus dem Bett und eilte hinaus.
Er folgte ihr voller Besorgnis. Sie wühlte hektisch in ihrer Handtasche, zog einen Bleistiftstummel hervor.
»Was…« setzte er mit sanfter Stimme an.
»Pst!« Sie kritzelte etwas auf die Rückseite des New-Orleans-Reiseführers. Oscar legte sich einen Baumwollbademantel um die Schultern, schlüpfte in die Pantoffeln und trank eine halbe Flasche kaltes Mineralwasser. Als das Pulsieren in seinen Schläfen nachgelassen hatte, trat er wieder auf den Balkon.
Auf der Bourbon Street spielten sich erstaunliche Szenen ab. Der in einzelne Segmente unterteilte Balkon erstreckte sich über die ganze Länge des kleinen Hotels. Vier Frauen und drei weitere Männer hielten sich darauf auf. Zwischen den Zuschauern und der Menschenmenge auf der Straße fand ein bizarres Wechselspiel statt.
Frauen entblößten im Austausch gegen Plastikperlen vor Fremden ihre Brüste. Männer brüllten mit heiserer Stimme und verteilten Perlen. Die Frauen auf der Straße entblößten sich vor den Männer auf den Balkons, und die Frauen auf den Balkons entblößten sich vor den Männern auf der Straße. Es wurde nicht gefummelt, es gab keine Anmache; Kameras blitzten, und grellbunte Halsketten flogen, doch bei alldem galt ein rituelles Rührmichnichtan. Das Ganze wirkte eigentümlich alt und wunderlich, etwa wie untergehakte Tänzer bei einem Square dance.
Ein hübscher Rotschopf auf dem Balkon gegenüber quälte die Schar seiner Bewunderer. Die Frau küsste ihren Freund, einen grinsenden Betrunkenen im Teufelskostüm, dann beugte sie sich vor, ließ ihre zahlreichen goldenen, grünen und purpurfarbenen Halsketten über das Geländer baumeln und zupfte neckisch am Saum ihrer Bluse. Die Männer auf der Straße johlten lüstern und brüllten im Chor ihr Begehren hinaus.
Als sie die Menge bis zur Raserei gereizt hatte, schlang sie sich die Perlenketten um die Schultern und entblößte den Oberkörper. Das Warten hatte sich gelohnt. Ganz langsam liebkoste die Fremde ihre eine Brustwarze. Oscar fühlte sich wie ein Fisch am Haken.
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