Bambakias ließ langsam die Luft entweichen. »Gott sei Dank.«
»Ich habe mir bislang nicht viele Gedanken über Holland gemacht. Ich meine, Holland verfügt über ein so großes Potenzial. Ich meine, praktisch gehört Holland jetzt uns, oder etwa nicht?«
»Ja, das ist richtig. Wissen Sie, Holland ist das neue Louisiana. Louisiana ist eine Nachricht von gestern! Sie und ich haben recht daran getan, uns in Louisiana zu engagieren, das war ein ernsthaftes Problem – aber als Schurkenstaat ist Louisiana jetzt ein Nebenschauplatz. Die Niederlande ist die wahre Zukunft. Das ist ein ernsthaftes, gut organisiertes, sachliches Land, seine Bewohner unternehmen systematische, vernünftige Schritte, um das Klima und die Umwelt in den Griff zu bekommen. Ob Sie’s glauben oder nicht, aber die sind den Vereinigten Staaten auf vielen Gebieten voraus – zumal im Bankwesen. Das Thema Louisiana ist erledigt. Die sind nicht ernsthaft. Das sind Visionäre, Krebse fressende Psychos. Wir brauchen jetzt eine ernsthafte politische Organisation, eine Rückkehr zur Normalität. Huey ist ein Mann von gestern, der zählt nicht mehr. Das ist ein geifernder Verrückter, der hie und da mit technischen Innovationen um sich wirft – als ob es ausreichen würde, ein paar halbgare Ideen auszuspucken, um die Menschheit insgesamt voranzubringen. Das ist pure Demagogie, das ist Wahnsinn. Wir brauchen Vernunft und politische Stabilität und eine nüchterne, pragmatische Politik. Das ist die Aufgabe der Regierung.«
Oscar wälzte dieses außergewöhnliche Statement in seinem Kopf herum. Gedanken und Erinnerungen wirbelten kaleidoskopisch durcheinander. »Sie haben sich wirklich verändert, nicht wahr, Alcott?«
»Wie bitte?«
»Ich meine die Behandlung, der Sie sich unterzogen haben. Die hat Ihre Persönlichkeit verändert. Sie sind jetzt realistisch. Sie sind vernünftig und umsichtig. Sie sind langweilig.«
»Oscar, ich bin mir darüber im Klaren, dass Sie über einige interessante Einsichten verfügen, aber jetzt ist nicht der Moment zum Plaudern. Wir müssen beim Thema bleiben. Sagen Sie mir, dass Sie nach Den Haag kommen und sich uns anschließen werden. Lorena und ich, wir sind Ihre Familie – in Zeiten wie diesen sind wir Ihre Ersatzfamilie. Kommen Sie nach Holland, nehmen Sie Ihren Platz im Team wieder ein, und dann bringen wir Sie wieder in Ordnung. Das verspreche ich Ihnen.«
»Also gut, Senator, Sie haben mich überzeugt. Sie haben Ihr Wort bisher stets gehalten, und Ihr Versprechen rührt mich sehr. Ich glaube, ich war impulsiv. Ich kann nicht ständig Vollgas geben. Ich muss gründlich über alles nachdenken.«
»Das ist prima. Ich wusste, dass ich Sie zur Vernunft bringen könnte, ich wusste, ich würde Sie aufmuntern. Aber ich glaube, wir haben jetzt lange genug telefoniert. Die Leitung ist nicht sicher.«
Oscar wandte sich an Kevin. »Der Senator meint, die Leitung sei nicht sicher.«
Kevin zuckte die Achseln. »Also, das ist irgendein Telefon, Mann. Das ist ein großer Staat. Huey kann nicht alle Telefone abhören.«
Zwei Stunden später wurden sie am Straßenrand von der Polizei von Louisiana festgenommen.
Green Huey nahm in Lafayette an einem kulturellen Ereignis teil. Er und ein Teil seiner Truppe halblegaler alter Kameraden hauten auf einem Hotelbalkon mit Blick aufs Volksfest auf den Putz. Unter ihnen fand in fast völliger Stille eine gewaltige Tanzveranstaltung statt. Mindestens tausend Leute nahmen an einem kaleidoskopischen Square dance teil. Alle trugen Kopfhörer mit Positionsmeldern, und ein Code in der lautlosen Musik dirigierte die Menge. Die Menschen wirkten gleichzeitig frei und kontrolliert, reglementiert, aber spontan, ausgelassen, aber unauffällig gesteuert.
»Wissen Sie, ich liebe diese basisnahen Volksfeste«, sagte Huey, auf das geschwungene schmiedeeiserne Balkongeländer gestützt. »Ihr Yankees seid jung und munter, Ihr solltet es auch mal hin und wieder probieren.«
»Ich tanze nicht«, erwiderte Kevin.
»Schade, dass unser Moderator kaputte Füße hat«, meinte Huey, blinzelte in die Sonne und rückte seinen neuen Strohhut zurecht. »Keine Ahnung, weshalb Sie den Limpy Boy überhaupt mitgebracht haben. Der ist kein Spieler.«
»Ich habe den Spieler gestützt«, sagte Kevin. »Ich hab ihm den Sabber vom Kinn gewischt.«
Oscar und Kevin trugen weiße Gefängnisoveralls aus Plastik. Die Hände hatte man ihnen auf den Rücken gefesselt. Man hatte sie auf den Balkon gezerrt, wo sie gut zu sehen waren, was die Leute aber nicht zu stören schien. Vielleicht plauderte der im Ruhestand befindliche Huey ja häufiger mit gefesselten Gefangenen.
»Eigentlich hatte ich zunächst vor, Sie anzurufen«, wandte Huey sich an Oscar. »Ich dachte, Sie wollten mich anrufen und die Sache klären, wenn wir wieder mal eine unserer kleinen Meinungsverschiedenheiten hätten.«
»Ach, wir hatten auf richtiges Publikum gehofft, Gouverneur. Wir haben uns bloß ein bisschen ablenken lassen.«
»Das mit der Gitarre und dem Akkordeon, das war besonders gut. Spielen Sie wirklich Akkordeon, Oscar? Diatonische Skalen, all das?«
»Ich bin Anfänger«, erwiderte Oscar.
»Oh, Sie werden sich wundern, wie leicht Ihnen das Musizieren jetzt fällt. Es ist kinderleicht. Spielen und singen. Spielen und tanzen. Mann, Sie können sogar spielen, während Sie einer Tabellenkalkulation Finanzdaten diktieren.«
»Ihm die Hände loszubinden wäre ein guter Anfang«, schlug Kevin vor.
»In Massachusetts müssen die Gefängnisse furchtbar schlapp sein, sonst wäre Limpy Boy nicht ein solcher Klugscheißer. Ich meine, bloß weil Sie sich ausziehen mussten und man Sie abgeschrubbt, unter den Fingernägel nachgesehen und ausgiebig jede Körperöffnung, die sich geöffnet hat, und ein paar, die sich nicht geöffnet haben, untersucht hat… Das heißt noch lange nicht, dass ich dem Ninjahacker die Hände losmache. Er könnte schließlich eine Kanone in die Fingerknochen eingebaut haben oder sowas. Wussten Sie, dass man in den vergangen zwei Wochen fünfmal versucht hat, mich umzubringen? All diese Moderatorenheinis, die es auf den guten alten Huey abgesehen haben… Alle wollen sie Colonel Dies und General Das werden; ich weiß nicht, irgendwann wird’s lästig.«
»Vielleicht sollten wir dann besser nicht im Freien rumstehen«, meinte Oscar. »Es gibt auch eine Menge Leute, die es auf mich abgesehen haben, und es wäre doch schade, wenn Sie von einem Querschläger getroffen würden.«
»Dafür habe ich ja die ganzen Aufpasser, mein Sohn! Die sind zwar nicht so helle wie Sie, dafür aber wesentlich loyaler. Wissen Sie was, Soap Boy? Ich mag Sie. Selbstgestrickte wissenschaftliche Forschung ohne kommerziellen Hintergrund, die aber trotzdem Auswirkungen hat, macht mir Spaß. Ich habe mich ernsthaft für Sie interessiert; ich habe sogar Hautproben von Ihnen. Mann, ich hab einen ganzen Quadratmeter von Ihrer Haut, der unten in einer der Salzgruben lebt. Genug, um eine Trommel damit zu bespannen. Sie sind schon ein besonderes Exemplar, o ja. Teile von Ihrer DNS sind verkehrt eingebaut, rückwärts sozusagen, oder kommen doppelt vor… und keine Introns, das ist wirklich cool. Ich kenne niemanden, der ohne Introns auch nur überleben könnte.«
»Ich würde es Ihnen auch nicht empfehlen, Gouverneur. Es gibt Nebenwirkungen.«
»Oh, ich weiß, Ihre Gesundheit ist ein wenig angeschlagen, Brainy Boy. Ich hab mich bemüht, Rücksicht zu nehmen. Hab eine Menge medizinischer Tests mit Ihrer DNS durchgeführt. Wollte Ihnen bestimmt nicht weh tun.« Huey blinzelte. »Sie können mir doch folgen, oder? Sie sind nicht verwirrt oder so.«
»Nein, Gouverneur. Ich kann Ihnen folgen. Ich bin ganz bei der Sache.«
»Sie glauben doch nicht etwa, ich wollte Sie verarschen, oder? Ich meine, bloß weil ich ein Negerarsch bin, heißt das noch lange nicht, ich könnte keine DNS knacken, Mann.«
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