»Kann passieren.«
»Ja. Daran sind die Leute aus Boston schuld, die alte Bambakias-Crew; das war das Problem. Die Frau des Senators… sie hat sich einen abgebrochen, um mir klar zu machen, dass ich das mit der Pressesprecherin durchgehen lassen sollte. Sie und diese Pressemieze wären mal ein Paar gewesen, all das. Na toll, dachte ich, dann haken wir das ab; aber dann tauchte Moira Matarazzo auf, die ehemalige Pressesprecherin des Senators… Verstehen Sie, da hab ich den Überblick verloren. Das war alles. Ich bekam das einfach nicht mehr auf die Reihe. All diese Leute aus Boston, die ehemaligen Mitarbeiter, die Mitarbeiter der ehemaligen Mitarbeiter; niemand hätte bei dem Scheiß noch durchgeblickt. Mann, ich wusste nicht mal mehr, ob ich noch Ihr Mitarbeiter bin.«
»Ich verstehe, Kevin. Das ist das Nebenprodukt eines im Wesentlichen semifeudalistischen, halblegalen, verteilbar-verneinbaren, netzbasierten segmentierten mehrgleisigen Sozialisierungsprozesses.«
Kevin wartete höflich ab, bis Oscars Lippen aufhörten sich zu bewegen. »Jedenfalls habe ich Moiras Bewegungen aufzeichnen lassen. In die Kuppel hinein, ins Verwaltungsgebäude hinein, wieder aus der Kuppel raus… Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie nicht mehr von diesen reizenden kleinen Zeitbomben hinterlassen hat.«
»Huey.«
Kevin lachte. »Natürlich steckt da Huey dahinter.«
»Es erscheint mir ziemlich sinnlos und kleinlich, dass er uns das jetzt noch antut. Nachdem der Krieg vorbei ist und er sein Amt verloren hat. Zu einem Zeitpunkt, da ich mich anschicke, dies alles hinter mir zu lassen.«
»Dann wollten Sie uns also wirklich verlassen.«
»Was?«
»Hab ich mitgehört. Ich vergaß zu erwähnen, dass ich den Giftgasanschlag aufgezeichnet habe. Die romantische Unterhaltung zwischen Ihnen und Dr. Penninger, als Sie unter Gas gesetzt wurden.«
»Sie haben den Konferenzraum verwanzt?«
»Hey, Mann, ich habe schließlich keinen Hirnschaden. Klar habe ich den Konferenzraum verwanzt. Nicht, dass ich Zeit hätte, jeden verdammten Raum abzuhören, den ich verwanzt habe… Aber, hey, wenn es irgendwo zu einem biologischen Terroranschlag kommt, dann können Sie sich drauf verlassen, dass ich die Bänder zurückspule und mir das anhöre. Ich passe auf, Oscar. Ich bin ein aufgewecktes Kerlchen. Ich gebe einen ziemlich guten Cop ab.«
»Ich habe nie behauptet, Sie wären kein guter Cop, Sie großmäuliger Versager.«
»Heilige Scheiße, da ist es schon wieder… Wissen Sie eigentlich, dass Sie tatsächlich mit zwei Stimmen reden, wenn Sie so widersprüchliche Äußerungen machen? Ich muss mal eine Stressanalyse machen, ich wette, Sie würden die Stimmanalysegeräte ganz schön durcheinanderbringen.« Kevin lehnte sich zurück und legte seinen bestrumpften Fuß auf Oscars Bett. Oscar fand, dass Kevin die Entwicklung ziemlich gut aufnahm. Andererseits hatte er das Phänomen bereits bei den Haitianern beobachtet. Er hatte Zeit gehabt, sich an die Vorstellung zu gewöhnen.
»Klar hatte ich Zeit, mich an die Vorstellung zu gewöhnen«, sagte Kevin. »Das liegt doch auf der Hand. Sie murmeln ständig vor sich hin, damit Sie wissen, was Sie denken. Ich kenne das Syndrom, Mann. Na und? Ich hab mich auch an Ihr anderes Persönlichkeitsproblem gewöhnt… Oscar, haben wir uns nicht immer gut verstanden?«
»Ja.«
»Ich muss gestehen, es hat mich wirklich verletzt, als Dr. Penninger sagte, ich sei ein ›gemeines kleines Scheusal‹ und würde andere Leute ›tyrannisieren‹ und ihnen ›nachspionieren‹. Und Sie haben ihr nicht widersprochen, Mann. Sie haben kein Wort gesagt.«
»Ich habe ihr einen Heiratsantrag gemacht.«
»Frauen«, knurrte Kevin. »Keine Ahnung, was mit denen los ist. Die sind einfach nicht rational. Das sind hinterhältige kleine Mata-Hari-Sexbomben, die Giftgasbomben mit sich rumschleppen… Oder sie sind wie Dr. Penninger nebenan, die Starre Eiskönigin des Ewigen Lichts und der Ewigen Wahrheit… Ich kapier einfach nicht, wie man diese Frau zufriedenstellen soll! Ich meine, Systemknacker wie ich, wir haben doch eine Menge gemeinsam mit den Wissenschaftlern. Beidesmal geht es um verborgenes Wissen und wie man es findet und wer es findet und wer die Lorbeeren dafür einheimst. Darum geht’s doch bei der Wissenschaft. Ich hab gern für sie gearbeitet, ich dachte, sie hätte es wirklich kapiert. Ich habe mich für die Frau krummgelegt, ich habe ihr jede Bitte erfüllt – ich habe ihr Wünsche erfüllt, die ihr nicht mal bewusst waren. Ich habe zu ihr aufgesehen, verdammt noch mal! Und was habe ich von meinen loyalen Diensten? Ich mache ihr Angst. Sie will mich loswerden.«
Oscar nickte. »Gewöhnen Sie sich schon mal an die Vorstellung. Das ist eine Säuberung. Huey hat uns ausgeschaltet. Das ist ein Enthauptungsschlag. Ich kann kaum noch sprechen. Ich kann kaum noch gehen. Und Greta befindet sich in einem hellwachen, schizoiden, katatonischen, hebephrenischen, nonverbalen Trancezustand…«
»Ich hab ein bisschen Schwierigkeiten mit den Adjektiven, Mann, aber kein Problem, Mann, ich verstehe, was Sie meinen. Entweder ich ergreife jetzt selbst die Macht und versuche, den ganzen Laden als Polizeistaat zu führen. Oder ich… ich weiß auch nicht… setze mich nach Boston ab. Ende der Geschichte. Schließlich ist das eine hübsche Hackerstory, oder? Eine gute Geschichte, um sie in ‘ner Bar zu erzählen.«
»Sie allein können den Laden nicht zusammenhalten, Kevin. Die Leute vertrauen Ihnen nicht.«
»Das weiß ich, Mann. Die Wohltaten teilen Sie alle selber aus, und mit mir schüchtern Sie die Leute ein. Ich weiß, dass ich der böse Mann war. Mein Dad war auch böse. Die Gründerväter sind ein Haufen toter Weißer; die Typen vom Mount Rushmore sind mittlerweile alle furchteinflößende Anglos. Wir sind die Bösen. Ich hab mich an die Rolle gewöhnt. Hey, ich war froh, Arbeit zu haben.«
»Ich möchte, dass Sie mir helfen, Kevin.«
»Wobei, Mann?«
»Hier rauszukommen.«
»Kein Problem, Boss. Ich bin immer noch Captain Scubbly Bee. Scheiße, ich hab mich mächtig angestrengt, Colonel Scubbly Bee zu werden. Ich kann Sie hier rausbringen. Wo wollen Sie hin?«
»Nach Baton Rouge. Oder wo immer Huey sich versteckt.«
»Oho! Nicht, dass ich Ihrem Urteil misstrauen würde, Mann, aber ich habe da einen prima Gegenvorschlag. Wie wär’s mit Boston? Das gute alte Drecknest! Beacon Hill, Charlestown, Cambridge… Wir beide sind schließlich Nachbarn, Mann. Wir wohnen in derselben Straße! Wir könnten zusammen nach Hause gehen. Wir könnten in einer Bar in Boston ein richtiges Bier trinken. Wir könnten uns ein Hockey-Spiel ansehen.«
»Ich muss mit Huey reden«, erklärte Oscar kategorisch. »Ich habe etwas Persönliches mit ihm zu klären.«
Green Huey hatte sich halb zur Ruhe gesetzt. Er nahm an einer Menge Einweihungsfeierlichkeiten teil und schnibbelte Seidenbänder durch. Die öffentliche Imagepflege wurde dadurch erschwert, dass er von einer militanten Phalanx von Regulatoren-Bodyguards umgeben war, aber Huey genoss die Show. Der Ex-Gouverneur war schon immer für einen Lacher gut gewesen. Er wusste, wie man die Leute bei Laune hielt.
Oscar und Kevin verkleideten sich als Obdachlose, ließen sich durchs soziale Netz hindurchfallen und pirschten sich an den Gouverneur heran. Sie reisten bei Nacht und schliefen in den miesesten Hotels; sie schlugen ihre neu erworbenen Militärzelte in Parks auf. Sie verbrannten ihre Ausweise und trugen Strohhüte, Gummistiefel und Overalls. Kevin trat als Oscars Aufpasser auf, ein humpelnder Typ mit einer Gitarre. Oscar gab sich als Kevins etwas unterbelichteter Cousin aus, der ständig vor sich hinbrummelte. Oscar hatte ein Akkordeon dabei. Obwohl Akkordeonmusik in der Gegend mal sehr beliebt gewesen war, ging man ihnen meistens aus dem Weg. Als geistig gestörte Straßenmusikanten, die jeden Moment einen Song anstimmen mochten, boten sie einen furchteinflößenden Anblick.
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