Bestürzung und Verwirrung griffen um sich. Während Gandalf sprach, hatte die Dunkelheit sich verdichtet. Die Zwerge waren stehen geblieben und blickten zum Himmel auf. Die Elben riefen vielstimmig durcheinander.
»Herbei!«, brüllte Gandalf. »Noch ist Zeit, Rat zu halten. Dain Nainssohn soll schnell zu uns kommen!«
So begann eine Schlacht, die niemand erwartet hatte. Sie wurde später die Schlacht der Fünf Heere genannt und war ein furchtbares Gemetzel. Auf der einen Seite kämpften die Orks und die wilden Wölfe, auf der andern Elben, Menschen und Zwerge. Und so war es dazu gekommen: Nach dem Tod ihres großen Führers in den Nebelbergen hatte sich der Hass der Orks auf die Zwerge neu entzündet. Zwischen allen ihren Städten, Kolonien und Festungen waren Boten hin- und hergeeilt; denn nun wollten sie die Herrschaft über die Nordlande erringen. Auf geheimen Wegen wurden Nachrichten gesammelt, und überall in den Bergen wurde zum Krieg geschmiedet und gerüstet. Sie sammelten sich in Tälern und unter Bergen, marschierten nur durch Tunnel oder bei Dunkelheit, bis schließlich unter dem großen Gundabadberg im Norden, wo ihre Hauptstadt war, und in der Gegend ringsum ein großes Heer bereitstand, um bei Gelegenheit eines Unwetters unversehens über den Süden herzufallen. Dann erfuhren sie vom Tod des Drachen, der sie von Herzen freute. Nacht für Nacht hetzten sie durch die Berge und kamen so ganz plötzlich von Norden herunter, Dain unmittelbar auf den Fersen. Selbst die Raben bemerkten sie erst, als sie schon in das offene, zerklüftete Land hinauskamen, das den Einsamen Berg von den Gebirgen im Norden trennte. Wie viel Gandalf wusste, ist schwer zu sagen, aber anscheinend hatte auch er den Angriff so bald nicht erwartet.
Dies nun ist der Schlachtplan, den er machte, als er sich mit dem Elbenkönig und mit Bard beriet – und mit Dain, denn der Zwergenfürst schloss sich ihnen nun an: Die Orks waren ihr gemeinsamer Feind, dessen Ankunft sie alle anderen Streitigkeiten vergessen ließ. Ihre einzige Hoffnung war, dass sie die Orks in das Tal zwischen den Berggraten locken und selbst die nach Süden und Osten vorspringenden Grate besetzen könnten. Auch dies war jedoch gefährlich, wenn die Orks zahlreich genug waren, um einen Teil ihrer Streitmacht über den Berg selbst steigen zu lassen. Dann würden sie die Verteidiger auch im Rücken und von oben angreifen. Aber um einen besseren Plan zu machen oder von irgendwo Hilfe herbeizurufen, blieb keine Zeit.
Bald war das Gewitter vorüber und rollte nach Südosten davon; aber die Fledermauswolke, die tiefer flog, kam über die Schulter des Berges und schwirrte über den Köpfen der Verteidiger, sperrte das Licht aus und erfüllte sie mit Furcht.
»An die Berghänge!«, rief Bard. »An die Hänge! Nehmt alle eure Plätze ein, solange noch Zeit ist!«
Auf den unteren Hängen des südlichen Berggrates und in den Felsen an seinem Fuß gingen die Elben in Stellung, am östlichen Grat die Menschen und Zwerge. Bard und einige der gewandtesten Menschen und Elben kletterten bis auf den Gipfel der östlichen Bergschulter, um einen Blick nach Norden zu bekommen. Bald sahen sie im Vorland des Berges das schwarze Gewimmel der heraneilenden Scharen. Die Vorhut bog schon um das Ende des Grates und stürmte ins Tal hinein. Dies waren die schnellsten Wolfreiter, und ihr Geschrei und Geheul zerfetzte die Luft. Einige wenige tapfere Männer waren in einer dünnen Kette gegen sie aufgestellt, um Widerstand vorzutäuschen, und nicht wenige von ihnen fielen, ehe die übrigen sich zurückzogen und zu beiden Seiten hin flohen. Wie Gandalf gehofft hatte, stürmte das Heer, das sich hinter der aufgehaltenen Vorhut gesammelt hatte, nun wutentbrannt ins Tal hinein zwischen die Berggrate, auf der Suche nach dem Feind. Mit ungezählten schwarzen und roten Bannern brandeten sie ungeordnet tobend wie eine Flutwelle heran.
Es wurde eine furchtbare Schlacht, das Schlimmste, was Bilbo je erlebt hatte. Jedenfalls fand er die Schlacht zu der Zeit, als sie im Gange war, äußerst unerfreulich – was ihn nicht hinderte, später mächtig stolz darauf zu sein, dass er an ihr teilgenommen hatte, und sich nach vielen Jahren noch liebevoll an sie zu erinnern. Dabei spielte er im Kampfgeschehen keine bedeutende Rolle. Ich darf nicht verschweigen, dass er gleich, als die Sache ungemütlich zu werden begann, seinen Ring aufsteckte, und damit war er außer Sicht, allerdings nicht außer Gefahr. Ein Zauberring dieser Art bietet keinen absolut sicheren Schutz gegen einen Orkangriff; er hält herumfliegende Pfeile und verirrte Speerstöße nicht auf, aber immerhin hilft er, ihnen auszuweichen, und bewahrt den Kopf vor gezielten Schwerthieben.
Den ersten Angriff unternahmen die Elben. Ihr Hass auf die Orks ist kalt und bitter. Ihre Speere und Schwerter leuchteten im Halbdunkel wie eisige Flammen, so tödlich war der Zorn in den Händen, die sie führten. Sobald die Scharen der Feinde sich im Tal drängten, schossen sie einen Hagel von Pfeilen auf sie ab, und jeder Pfeil blitzte im Flug wie eine Stichflamme auf. Dann sprangen tausend ihrer Speerträger die Hänge hinunter und griffen an. Das Gebrüll war ohrenbetäubend. Von den Felsen troff schwarzes Orkblut.
Gerade als die Orks sich zu geordneter Gegenwehr aufrafften und der Ansturm der Elben ins Stocken kam, erhob sich von der andern Talseite ein Gebrüll von tiefen Bassstimmen. »Moria!«, riefen die Zwerge von den Eisenbergen und »Dain! Dain!«, als sie mit ihren Streitäxten gegen die hinteren Reihen der Orks vorgingen; und Seite an Seite mit ihnen kamen die Seestädter mit langen Schwertern.
Panik erfasste die Orks, und als sie kehrtmachten, um dem neuen Angriff zu begegnen, stießen die Elben mit frisch aufgefüllten Reihen von neuem vor. Schon rannten viele der Orks am Fluss entlang davon, um aus der Falle zu entkommen, und manche ihrer Wölfe wandten sich gegen sie und zerfleischten die Toten und Verwundeten. Der Sieg schien nahe, aber da kam ein Gejohl von den Höhen des Berges herab.
Ein Teil der Orks hatte den Berg von der anderen Seite her überstiegen, und nun waren viele schon auf den Hängen über dem Tor und strömten herab, ohne Rücksicht auf die Verluste, die sie erlitten, wenn manche brüllend von den Klippen und Vorsprüngen in die Tiefe stürzten. Sie griffen die Ausläufer des Berges von oben an. Jeder dieser Berggrate war auf Pfaden zu erreichen, die vom zentralen Hauptmassiv herabführten; und die Verteidiger waren zu wenige, um diese Zugänge lange zu sperren. Jede Siegeshoffnung verflog. Sie hatten nur dem ersten Anbranden der schwarzen Flut standgehalten.
Der Tag rückte vor. Die Orks sammelten sich von neuem im Tal. Ein Trupp heißhungriger Warge erschien auf dem Schlachtfeld, und mit ihnen kam Bolgs Leibwache, Orks von riesigem Wuchs, mit stählernen Krummschwertern bewaffnet. Bald färbte der Abend den wolkenschweren Himmel noch dunkler. Immer noch wirbelten die großen Fledermäuse den Elben und Menschen um die Ohren oder sogen sich vampirgleich an den Gefallenen fest. Bard hatte nun Mühe, den östlichen Ausläufer zu verteidigen, und musste langsam zurückweichen; und auf dem südlichen Grat, wo sie sich in der Nähe des Wachtpostens auf dem Rabenberg um ihren König scharten, kamen die Elben in Bedrängnis.
Plötzlich hörte man vom Tor lautes Geschrei und einen Trompetenstoß. Thorin hatten sie vergessen! Ein Teil der Mauer, von Hebelarmen bewegt, stürzte krachend nach außen in den Teich. Hervor sprang der König unter dem Berge, gefolgt von seinen Gefährten. Sie hatten die Mäntel und Kapuzen abgelegt und kamen in schimmernder Rüstung, und rote Funken glommen in ihren Augen. Wie Gold in erlöschender Glut schimmerte der König im Abenddunkel.
Von hoch oben warfen die Orks Steine auf sie herab, aber sie ließen sich nicht aufhalten, eilten zum Fuß des Wasserfalls hinab und stürzten sich in die Schlacht. Wolf und Reiter fielen unter ihren Schlägen oder flüchteten. Thorin teilte gewaltige Hiebe mit seiner Axt aus, und nichts schien ihm etwas anhaben zu können.
Читать дальше