Die Worte sollten den Todesritter verunsichern. Stattdessen stärkten sie ihn. Illidan mochte diese zugegebenermaßen mächtige Waffe schon länger führen – doch Frostgram war an Arthas gebunden und er an Frostgram. Es war weniger ein Schwert als eher eine Erweiterung seiner Selbst. Er kannte es, seit er es das erste Mal in einer Vision gesehen hatte, als er gerade erst in Nordend eingetroffen war. Er war sich der Verbindung sicher gewesen, als er es erblickt hatte. Und nun spürte er einen Sog in seiner Hand, der ihre Einheit bestätigte.
Die Klingen des Dämons leuchteten. Illidan stürzte wie ein Stein auf Arthas herab. Arthas schrie auf und konterte, sich des Schlages sicherer als jedes anderen, den er zuvor mit der Runenklinge ausgeteilt hatte. Er riss Frostgram hoch. Und als hätte er gewusst, was geschehen würde, spürte er, wie das Schwert tief in das Fleisch des Dämons eindrang. Er zog die Klinge über Illidans Torso und spürte eine tiefe Befriedigung, als der ehemalige Kaldorei vor Schmerz schrie.
Und dennoch starb der Bastard nicht. Illidans Flügel schlugen erratisch, irgendetwas hielt ihn immer noch in der Luft. Und dann schien sein Körper sich vor Arthas’ entsetztem Blick zu verändern und zu verdunkeln… fast so, als bestünde er aus schwarzem, violettem und grünem Rauch.
»Das habe ich von Euch bekommen«, schrie Illidan. Seine Stimme war tiefer geworden. Arthas spürte, wie sie ihn bis ins Mark erschütterte. Die Augen des Dämons leuchteten feurig in der Dunkelheit. »Dieses Geschenk – diese Macht. Und sie wird Euch vernichten!«
Ein Schrei erklang aus Arthas’ Kehle und er stürzte erneut auf die Knie. Grünes Feuer lief seine Rüstung entlang, verbrannte seine Haut und dämpfte selbst Frostgrams blaues Leuchten einen Augenblick lang. Über seinen eigenen Schmerzensschrei hörte er Illidan lachen.
Wieder traf ihn das Teufelsfeuer und Arthas stürzte vornüber und keuchte. Doch als das Feuer schwand und er sah, wie Illidan sich, zum Todesstoß bereit, auf ihn herabstürzte, spürte er, wie die alte Runenklinge ihm immer noch dabei half, sich zu konzentrieren.
Frostgram gehörte ihm und er gehörte Frostgram und derart vereint waren sie unbesiegbar.
Gerade als Illidan zum Todesstoß ansetzte, hob Arthas Frostgram an und stach mit aller Kraft zu. Er spürte, wie die Klinge Kontakt bekam, das Fleisch durchbohrte und tief in seinen Gegner eindrang.
Illidan stürzte schwer zu Boden. Blut lief aus seinem Körper und schmolz mit einem zischenden Geräusch den Schnee um ihn herum. Seine Brust hob und senkte sich, er keuchte. Die hochgelobten Zwillingsklingen waren nun völlig nutzlos. Eine hatte er fallen lassen, die andere lag in seiner Hand, die nicht einmal mehr den Griff umfassen konnte.
Arthas kam auf die Beine, sein Körper prickelte noch von den Nachwirkungen des Teufelsfeuers. Er starrte den Dämon einen Moment lang an und brannte den Anblick in sein Gedächtnis ein.
Er überlegte, ob er ihm den Todesstoß versetzen sollte. Doch dann entschied er sich dafür, dass er das dem gnadenlosen kalten Ort überlassen würde. Ein größeres Bedürfnis brannte nun in ihm. Er wandte sich um und richtete den Blick zum Gipfel, der vor ihm aufragte.
Er schluckte schwer und stand einen Augenblick einfach nur da, ohne zu ahnen, woher er wusste, dass sich etwas gerade fundamental änderte. Dann atmete er tief ein und betrat die Höhle.
Arthas ging wie in Trance den Tunnel entlang, der immer tiefer ins Innere der Erde führte. Seine Schritte schienen geleitet zu werden, und obwohl es kein Geräusch gab, niemand hier war, der ihm sein Recht, hier zu sein, streitig machen konnte, spürte er die tiefe dröhnende Macht, noch bevor er sie hören konnte. Er ging weiter, spürte, wie der Ruf der Macht ihn immer näher an seine Bestimmung heranführte.
Über und vor ihm war ein kaltes blauweißes Licht. Arthas ging darauf zu, rannte fast, und der Tunnel verbreiterte sich zu einer Art Thronsaal. Vor ihm befand sich ein Gebilde, das Arthas den Atem raubte.
Das Gefängnis des Lichkönigs lag auf einem gewundenen Turm, die Spitze bestand aus blaugrün schimmerndem Eis, das eigentlich kein Eis war. Sie ragte hoch auf und schien die Decke der Höhle durchstoßen zu wollen. Ein enger Pfad wand sich serpentinenartig um die Spitze herum und führte Arthas nach oben. Immer noch von der Energie erfüllt, die der Lichkönig ihm gewährt hatte, ermüdete er nicht.
Doch unwillkommene Erinnerungen schienen ihn wie Fliegen zu piesacken, als er weiterging und einen Schritt vor den anderen setzte. Worte, Sätze, Bilder fielen ihm ein.
»Denk daran, Arthas, wir sind Paladine. Rache gehört nicht zu unseren Tugenden. Wenn wir zulassen, dass unsere Leidenschaft sich in Blutrünstigkeit verwandelt, dann werden wir genauso widerwärtig wie die Orcs.«
Jaina… oh Jaina…
»Niemand scheint dir irgendetwas abschlagen zu können. Am wenigsten ich.«
»Weise mich nicht zurück. Weise mich niemals zurück. Bitte.«
»Das würde ich niemals, Arthas. Niemals.«
Er ging unaufhaltsam weiter nach oben.
» Wir wissen so wenig – wir können sie nicht nur aus unserer eigenen Angst heraus wie Tiere abschlachten!«
»Das ist eine üble Sache, Junge. Lasst das Schwert hier, wo es verloren und vergessen ruht… Wir werden einen anderen Weg finden, Euer Volk zu retten. Wir sollten jetzt gehen, zurückgehen und diesen Weg suchen.«
Ein Schritt folgte dem anderen. Hoch, immer weiter nach oben. Das Bild schwarzer Flügel drang in seine Gedanken.
»Ich verkünde Euch eine letzte Prophezeiung. Erinnert Euch daran. Je stärker Ihr Euren Feind bekämpft, desto schneller liefert Ihr ihm Euer Volk aus.«
Selbst als diese Erinnerungen an ihm zerrten und sein Herz ergriffen, gab es ein Bild und eine Stimme, die stärker und unwiderstehlicher als alle anderen waren. Die Stimme flüsterte und ermutigte ihn. »Du nahst, mein Held. Mein Moment der Freiheit kommt… und mit ihm dein Aufstieg zu wahrer Macht.«
Er kletterte höher, sein Blick war auf die Spitze gerichtet. Auf das große Stück blauen Eises, das denjenigen einsperrte, der Arthas Fuß zuerst auf diesen Pfad gelenkt hatte. Immer näher zog es ihn heran, bis Arthas ein paar Meter davor stehen blieb. Lange betrachtete er die teilweise verborgene Gestalt, die darin gefangen war. Nebel stieg von dem großen Eisblock auf und verhüllte das Bild auch weiterhin.
Frostgram leuchtete in seiner Hand. Tief aus dem Innern trat ein schwaches Leuchten von zwei Punkten strahlend blauen Lichts.
»BRINGE DIE KLINGE ZURÜCK«, erklang eine tiefe, kratzende Stimme in Arthas’ Geist. Sie war fast unerträglich laut. »SCHLIESSE DEN KREIS. BEFREIE MICH AUS DIESEM GEFÄNGNIS!«
Arthas trat einen Schritt vor, dann einen weiteren. Er hob Frostgram an, dabei wurde er schneller, bis er rannte. Dies war der Augenblick, auf den alles hinausgelaufen war, und ohne es zu merken, brüllte er, als er mit aller Kraft zuschlug.
Ein lautes Knacken erschütterte den Saal, als Frostgram traf. Das Eis zersprang, große Stücke flogen in alle Richtungen davon. Arthas hob die Arme, um sich selbst zu schützen, doch die Splitter flogen harmlos an ihm vorbei.
Das Eis gab den gefangenen Körper frei, der Lichkönig schrie und reckte seine Arme zum Himmel. Weitere ächzende, knackende Geräusche drangen aus der Höhle, teilweise stammten sie auch von dem Wesen selbst. Sie waren so laut, dass Arthas wimmerte und seine Ohren bedeckte. Es war, als würde die Welt selbst entzwei gerissen.
Plötzlich schien die Gestalt des Lichkönigs genauso zu zerspringen wie sein Gefängnis. Vor Arthas’ gebanntem Blick löste sie sich auf.
Es war nichts – niemand – darinnen!
Nur die Rüstung, eisig und schwarz, fiel klappernd zu Boden. Der Helm, vom Kopf seines Besitzers befreit, blieb vor Arthas’ Füßen liegen.
Читать дальше