Doch das interessierte ihn im Augenblick nicht. Nur eine Sache war wichtig. „Aber... geht es Euch wirklich gut?“
Die Hohepriesterin unterbrach ihre Pflege und blickte Broll an, als hätte er den Verstand verloren. „Malfurion ist hier im Haus der Elune, und ich bin ihre Stellvertreterin auf dieser Welt... glaubt Ihr, da ginge es ihm schlecht?“
„Vergebt mir“, antwortete der Druide lachend. „Das habe ich ganz bestimmt nicht gemeint.“
Malfurion legte seine Hand auf ihr Knie. Tyrandes Gesichtsausdruck wurde sanfter. An Broll gewandt antwortete der Erzdruide: „Sie will mich nur beschützen. Ich habe ihr etwas versprochen, das ihr wichtig ist.“
„Ein Versprechen?“
„Ein Glück, dass Ihr gerade hier seid, Broll. Weil ich mir niemand anderen vorstellen kann, den ich bei mir haben will, wenn Tyrande und ich uns das Gelöbnis geben.“
Broll brauchte einen Moment, um zu verstehen, was er meinte. Shandris lachte wegen seiner verspäteten Reaktion.
„Ihr beide – Ihr wollt heiraten?“
„Jetzt seid doch nicht so erschrocken.“ Die Hohepriesterin lächelte. „Ich glaube, dass ich lange genug darauf warten musste, dass er endlich vernünftig wird.“
„Und ich glaube, dass Ihr schon längst jemanden mit mehr Verstand als mich hättet kriegen können“, antwortete Malfurion deutlich erholter. Er hielt ihre Hand und fragte Broll: „Nun, Broll Bärenfell, wollt Ihr das für mich tun?“
„Da gibt es sicherlich andere...“
„Es gibt viele gute Seelen, doch ich wähle Euch.“
Der Druide neigte den Kopf. „Dann fühle ich mich geehrt. Ich bete nur, dass ich keinen Fehler mache.“
Sein Shan’do lachte. „Ihr könnt keinen größeren Fehler machen als ich. Schließlich war ich es, der Tyrande über die Jahrtausende hinweg viel zu oft alleine ließ, mein Freund.“
„Wann findet die Feier denn statt?“
Wie aus einem Mund antworteten Malfurion und Tyrande: „So bald wie möglich!“
Obwohl Darnassus nicht unbedingt der praktischste Ort für eine solche Zeremonie war, gab es zugleich wohl auch keinen, der besser geeignet gewesen wäre. Denn für Malfurion Sturmgrimm, Anführer der Druiden, und Tyrande Wisperwind, Hohepriesterin der Elune und Herrscherin der Nachtelfen, kam nur die Hauptstadt in Frage.
Lange vor dem Abend der Zeremonie hatten die beiden bereits alle Fragen über ihre zukünftigen Rollen geklärt. Eigentlich hatte Tyrande das getan. Malfurion wusste, dass sie die beste Herrscherin war, die sein Volk sich wünschen konnte, zumal er selbst keine Ambitionen in dieser Richtung hatte. Dennoch bestand sie auf der Idee, dass sie Seite an Seite regierten, gleichberechtigt in allen Dingen, was ihr Volk betraf. Sie blieb zudem die Hohepriesterin der Elune und er der oberste Erzdruide. Aber von nun an würden diese beiden Ämter enger miteinander verbunden sein, was den Nachtelfen nur nützen konnte.
Die Zeremonie fand natürlich im Tempel der Elune statt. Doch das bedeutete auch, dass die anwesende Zuschauerschar etwas arrangiert werden musste. Generalin Shandris jedoch erwies sich bei der Organisation der Gäste als ebenso kompetent wie im Feld. Es gab manchen, der außerhalb ihrer Hörweite sogar tuschelte, dass sie diese Aufgabe mehr zu genießen schien als ihre normalen Pflichten.
Neben den Schwestern würden auch die Schildwachen aufpassen und sicherstellen, dass niemand Ärger bereitete. Das war notwendig, denn neben ihren eigenen Leuten hatten Malfurion und Tyrande noch König Varian, Erzmagier Rhonin und andere Anführer eingeladen. Natürlich erschien ein jeder von ihnen mit seinem eigenen Gefolge und seinen persönlichen Wachen.
Trotz der überall stattfindenden Aufbauarbeiten hatten Varian und die anderen es als ihre vorrangige Pflicht betrachtet, an diesem wegweisenden Ereignis teilzunehmen. Schließlich verdankten sie es Malfurion, dass Azeroth überhaupt noch existierte. Selbst der unabhängige Windhammerklan – die berühmten Greifenreiter vom Nistgipfel – war gekommen, angeführt von ihrem Hochthan Falstad.
Thrall, der Vertreter der Horde, ließ Grußworte an Malfurion und Tyrande übermitteln. Das seit jeher fragile Bündnis zwischen Horde und Allianz fiel allmählich auseinander, weil persönliche Animositäten nun, nachdem die Hauptgefahr gebannt war, offensichtlich wurden. Auf mehr hätte das Paar auch nicht hoffen können, denn beide wussten, wie flüchtig dieser Friede war. Das einzig Gute an den Grüßen war, dass Thura sie überbrachte. Sie hatte den Kriegshäuptling gebeten, sie übermitteln zu dürfen. Für sie waren der Erzdruide, die Hohepriesterin und all die anderen Blutsverbündete.
Obwohl die eigentliche Zeremonie stattfinden würde, wenn die Weiße Lady – der große silberne Mond, der für die Nachtelfen Elune selbst verkörperte – im Zenit stand, gab es auch andere Beleuchtung, die der Feier Glanz verleihen würde und für die weniger nachtaktiven Gäste gedacht war. Tausende Glühwürmchen zierten die Bäume, und kleine silberblaue Kugeln aus Mondlicht schwebten über den Besuchern. Rhonin – der das Paar auf einzigartige Weise schon länger kannte als jeder andere – hatte angeboten, dass seine Magier eine Reihe von herrlichen Regenbogen erzeugten, die am dunklen Himmel die zehn Jahrtausende symbolisierten, die Malfurion und Tyrande nun schon zusammen waren.
Neben Rhonin standen seine Frau, die Hochelfe Vereesa – Anführerin der Hochelfen des Silberbundes, der aus Protest gegen die Aufnahme der Blutelfen bei den Kirin Tor gegründet worden war – und ihre Zwillingssöhne. Die beiden Jungen wirkten bedrückt. Sie hatten das rote Haar ihres Vaters und trugen seine breiten Gesichtszüge. Doch sie waren schlanker gebaut und hatten ein wenig längere Ohren. Die Mischung aus Elf und Mensch hätte sich als nicht so vorteilhaft erweisen können, aber beide waren gut aussehend.
Die Hörner verkündeten schmetternd den Eintritt der Hochzeitsgesellschaft. Zuerst kam eine Ehrenwache aus Schildwachen mit Lanzen, die abwechselnd das Mondbanner der Schwesternschaft und den Wappenrock vom Zirkel des Cenarius trugen, ein großes Blatt, aus dem ein riesiges Geweih erwuchs. Ihnen folgte eine feierliche Prozession von Druiden und Mitgliedern der Schwesternschaft. Hinter ihnen kamen ernst blickende Veteranen der Schildwachen, ausnahmslos handverlesen von Generalin Shandris.
Und dann – zuletzt – erschienen Malfurion Sturmgrimm und Tyrande.
Malfurion hatte das Kinn hoch erhoben, das Geweih war himmelwärts gerichtet. Er trug einen langen Umhang aus Waldblättern und einen Brustpanzer, der aus herabgefallenem Holz gefertigt war. Darauf war der Weltenbaum eingraviert, mit dem Zeichen vom Zirkel des Cenarius darüber. Dazu trug der Erzdruide einen knielangen grünen Kilt und Sandalen.
Tyrande leuchtete im liebevollen Licht von Elune. Mutter Mond gab dieser Vereinigung ganz offensichtlich ihren Segen. Als sie vorbeiritt, knieten viele Nachtelfen automatisch nieder. Tyrande war wie eine Hohepriesterin gekleidet. Sie trug zudem ein großes Cape aus silberblauem Licht, das über ihr Reittier hinaus floss. Ihr mitternachtsblaues Haar war offen und lang, und obwohl sie so weise wie eine Herrscherin wirkte, schien doch ein wenig Jugend ihre gewaltige Schönheit zu veredeln, die, da waren sich alle sicher, von der Freude des Augenblicks herrührte.
Shandris und Broll ritten hinter dem Paar her, beide auch in lange Mäntel gekleidet, die denen des Erzmagiers und der Hohepriesterin glichen, aber nicht ganz so prachtvoll waren. Ihre Aufgabe war es, ihren jeweiligen Kameraden als Zeugen beizustehen. Eine Aufgabe, auf die sie ganz offen stolz waren.
In der Mitte blieb die Gruppe stehen. Malfurion und Tyrande stiegen ab und ergriffen die ausgestreckte Hand des jeweils anderen, dann schritten sie feierlich weiter. Broll und Shandris stiegen ebenfalls ab, traten zur Seite und hinter das Paar, wobei der Druide nahe bei seinem Mentor stand und die Generalin bei ihrer Herrscherin.
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