Doch in einem kleinen Winkel des Smaragdgrünen Traums, in einem tiefen Spalt, den die Druiden als Spalt von Aln kannten, der der Legende nach am Ausgangspunkt des magischen Reiches lag, konnten selbst die vereinten Kräfte des Erzdruiden und der Hohepriesterin den Kampf nicht völlig beenden.
Der Albtraum hielt sich hartnäckig an diesem Ort, von dem die Druiden annahmen, dass er bis in den Wirbelnden Nether und das Dunkle Jenseits hineinreichte.
Malfurion blickte hinein und sah nur einen bodenlosen Spalt, der die urzeitlichen Energien ausstrahlte, die selbst er nicht zu untersuchen wagte. Der Spalt an sich schien halb ein Traum zu sein. Eine surreale Aura umgab ihn, und der Erzdruide meinte, immer wieder eine Verschiebung zu erahnen, als wollte er schwinden oder sich zumindest verwandeln.
Merkwürdigerweise spürte Malfurion erst da, dass das uralte Böse aus den Tiefen von Azeroths Ozeanen heraus agierte. Auch ohne Xavius’ Verbindung zum Traumreich war es noch mächtig genug, diesen Ort unter seiner schrecklichen Herrschaft zu halten.
Schließlich wurde klar, dass es sonst nichts mehr zu tun gab. Malfurion versiegelte die Umgebung um den Spalt. Er traf ein stilles Abkommen mit Tyrande. Sie hatten die Welt gerettet... und dieser andere Krieg würde auf andere, bessere Zeiten warten müssen.
Nachdem die akute Gefahr vorbei war, spürte der Nachtelf, wie ihm die unglaublichen Energien wieder entglitten. Eigentlich störte es ihn nicht, doch er hatte noch einige Dinge zu erledigen, bevor sie völlig verschwanden. Er eilte über beide Reiche und suchte nach überlebenden Korrumpierten. Es waren nur wenige, und davon konnte er nur eine Handvoll erlösen. Knorre gehörte dazu, weil er noch nicht so lange unter dem Einfluss des Bösen gestanden hatte. Remulos war bereits gereinigt worden. Doch viele andere waren bedauernswerterweise wie Lethon und Smariss geworden und konnten nicht ohne den Albtraum überleben. Sie vergingen wie die Schattensatyre. Malfurion trauerte um sie, ganz gleich, was auch immer sie gewesen sein mochten.
Als nächstes stellte er die Körper von Varians Traumgestaltarmee wieder her, egal, von woher sie gerufen worden waren. Nachtelfen, Orcs, Trolle, Draenei, Blutelfen, Tauren, Zwerge, Gnome, Goblins, Menschen... sie alle hatten ihren Teil dazu beigetragen, sogar einige der Untoten waren dabei. Er verweilte nur einen Augenblick, um zuzusehen, wie ein König zu seinem Sohn lief und die beiden sich umarmten. Die Verteidiger, die nicht in eine physische Gestalt zurückkehren konnten, verband der Erzdruide mit dem Smaragdgrünen Traum, damit sie dort leben konnten.
Für seine engsten Verbündeten nahm er sich ein wenig Extrazeit. Thura brachte er zurück zu ihrem Volk und berichtete ihrem Anführer Thrall, wie wichtig sie im Kampf gewesen war. Lucan Fuchsblut, der Mensch mit den besonderen Fähigkeiten, wurde der Schüler von Hamuul Runentotem. Der Tauren fand sich bereit, eine Zeit lang in Darnassus zu bleiben, um dem Kartografen beizubringen, wie er seine einzigartigen Fähigkeiten am besten kontrollieren konnte. Die beiden passten auf eine merkwürdige Weise zueinander, und Malfurion hegte große Hoffnung, dass beide Seiten davon profitieren würden.
Dann spürte er, wie Tyrande die Schwestern der Elune dazu aufrief, hinaus in die von der Allianz besetzten Gebiete zu ziehen, um den Opfern zumindest Ruhe und Ordnung zu bringen. Die Schamanen und Druiden setzten ihre Fähigkeiten auch ein, um den ehemaligen Sklaven des Albtraums zu helfen. Dabei achteten sie darauf, dass jeder sich vornehmlich um das eigene Volk kümmerte, um weitere Spannungen zu vermeiden. Selbst Malfurion war es unmöglich, alle Wunden zu heilen. Es waren viel zu viele gestorben, als dass irgendeine Macht all diese Erinnerungen zu löschen vermocht hätte.
Obwohl das Böse in den Spalt von Aln verbannt worden war – wo es hoffentlich auch bleiben würde -, würde das Erbe des Albtraums die Welt noch über Jahre heimsuchen.
Malfurion wusste noch viele andere Dinge, für die er gern die Gaben von Azeroth und dem Smaragdgrünen Traum verwendet hätte. Doch ihm war klar, dass es für ihn an der Zeit war, dem allen ein Ende zu setzen. Dankbar erlaubte er den Druiden, den Zauber einzustellen. Sie hatten viel mehr gegeben, als er hätte verlangen können. Er war stolz auf sie alle.
Nur widerstrebend trennte sich Malfurion selbst von dem Zauber und gab ihn den beiden Reichen zurück. Der Erzdruide konzentrierte sich wieder auf die reale Welt. Sein Blick blieb auf der Frau liegen, die von Anfang bis Ende bei ihm gewesen war. Trotz der großen Fehler, die letztlich zu seiner Gefangennahme und Folter geführt hatten, und trotz aller Mühen, die sie seinetwegen hatte erleiden müssen. Malfurion erkannte die Liebe in ihr, und obwohl er wusste, dass er ihrer nicht würdig war, wollte er nie wieder von ihr getrennt werden.
Er legte seine Hand sanft auf Tyrandes Wange.
Erschöpfung überkam ihn.
Malfurion brach in ihren Armen zusammen.
30
Eine Zusammenkunft der Hoffnung
Broll Bärenfell nahm die Nachricht von Malfurions Erwachen mit einer ausgelassenen Freude auf, wie sie bei den meisten Nachtelfen nur selten vorkam – bei den Druiden schon gar nicht. Er stieß einen leidenschaftlichen Schrei aus, der durch die Enklave bis zum Tempel des Mondes hallte. Dabei rannte er an denen vorbei, die deutlich gesitteter zum Heim der Schwesternschaft schritten.
Ihm war nur wichtig, dass sein Shan’do gesund zu sein schien.
Zwei bewaffnete Schwestern verstellten ihm den Weg, bis ihn eine von ihnen erkannte. „Unsere Befehle lauten, dass wir nur wenige bestimmte Personen einlassen dürfen“, erklärte sie. „Damit der Tempel nicht von allen überrannt wird, die sich um die Gesundheit des Erzdruiden sorgen.“
Broll nickte, dankbar, dass er zu den Auserwählten gehörte, denen Tyrande den Zugang gestattete. Er wusste, wo er Malfurion finden würde. Er lief durch den Tempel und verneigte sich mehr als einmal vor Mutter Monds Abbild.
Man hatte Malfurion unter der großen Statue aufgebahrt, wo das Mondlicht immer schien. Die Hohepriesterin hatte darauf bestanden, dass er zum Tempel gebracht wurde, obwohl die Druiden ihren geschätzten Shan’do eigentlich zur Mondlichtung hatten tragen wollen. Doch Tyrande hatte es einfach nicht gestattet. Schließlich war sie nicht nur die Herrscherin der Nachtelfen, sondern auch Malfurions Geliebte. Ihr konnte sich niemand widersetzen.
Mit geschlossenen Augen lag Malfurion auf miteinander verflochtenen Blättern und Kräutern, um letztlich auch die Druiden zufriedenzustellen. Tyrande kniete neben ihm und hielt ein weiches, feuchtes Tuch in der Hand. Sie hatte sich um ihn gekümmert, als wäre sie eine Novizin und nicht die Herrin des Ordens. Hinter ihr stand Wache haltend die ebenfalls recht stille Shandris Mondfeder. Die Generalin machte ein Gesicht, wie es Broll eher von einem Kind erwartet hätte, das sich um seine Eltern sorgte, aber nicht von einer erfahrenen Kämpferin.
„Mylady“, murmelte Broll, als er sich näherte. Shandris warf ihm einen kurzen Blick zu. Sie hatte seine Gegenwart schon vorher gespürt und war deshalb unbesorgt. „Ich habe gehört, dass er... dass er wach sei...“
„Und das... und das bin ich auch“, antwortete Malfurion, dessen Augen sich langsam öffneten. Sie strahlten wie die Sonne... und würden es von nun an immer tun. Er schenkte dem Nachtelfen ein kurzes Lächeln. „Doch sie...“ Mit einem Blick wies er auf Tyrande, „... besteht darauf, dass ich mich etwas mehr ausruhe. Ein Befehl, dem ich mich nicht verweigern kann... nachdem ich schon einmal... schon einmal erfolglos versucht habe... aufzustehen.“ Malfurions Grinsen wurde breiter. „Aber ich bin nachlässig. Ich sehe, dass der Kampf auch Euch verändert hat, Broll...“
Der Erzdruide bezog sich auf Brolls Augen, die zwar nicht so leuchteten wie die seines Shan’dos, aber nun ebenfalls golden erstrahlten. Indem er in sich selbst und nach Azeroth hineingeschaut hatte, hatte Broll schließlich den Damm gebrochen – eine selbst errichtete Barriere – und war wahrlich der große Druide geworden, den so viele schon viel früher in ihm gesehen hatten. Die Veränderung reichte bis tief in ihn hinein. Brolls Unsicherheit war verschwunden. Ihm war klar geworden, dass er jetzt endlich so war, wie er schon immer hätte sein sollen. Mit jeder Bewegung strahlte er nun die unvergleichliche Selbstsicherheit eines echten Druiden aus.
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