Aegwynn sah die Lady an. »Die Zeit drängt. Ihr habt selbst gesagt, Zmoldor weiß, dass wir ihm auf der Spur sind. Wir müssen jetzt zuschlagen, bevor er die Möglichkeit hat, sich eine Strategie gegen Euch einfallen zu lassen. Und Ihr könnt nicht an zwei Orten zugleich sein.«
Da lächelte die Lady. Es war ein strahlendes Lachen, das Lorena als Ausdruck von Erleichterung auffasste, nach all dem Zorn, den Kristoff in ihr entfacht hatte.
»Ich muss nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.« Sie ging zum Eingang ihrer Kammer und trat hinein.
Lorena und Aegwynn tauschten erstaunte Blicke miteinander. Dann folgten sie ihr. Als sie drinnen ankamen, sahen sie, wie Lady Proudmoore in ihren Schriftrollen wühlte. Plötzlich hielt sie inne und rief: »Ah! Da ist er ja!«
Sie drehte sich um und hielt einen Stein, den ein verschlungenes Symbol zierte, in der Hand. Einen Stein, der plötzlich und warnungslos zu glühen begann...
»Sir, die Orcs haben ihr Lager aufgeschlagen.«
Major Davin begann Haarbüschel aus seinem Bart zu reißen – zum Teufel mit der Kleiderordnung. »Wie viele?«
Korporal Rych zuckte mit den Achseln »Unmöglich, mit Gewissheit zu sagen, Sir.«
Davin schloss resigniert die Augen und zählte insgeheim bis fünf. »Dann ratet «, quetschte er schließlich hervor.
Noch ein Achselzucken. »Der Späher behauptet, dass es mindestens sechshundert sind. Es ist schwer abzuschätzen, Sir. Sie halten weit genug Abstand, um keine Grenze zu verletzen, aber...«
Als Rych zögerte, seufzte Davin. »Aber was?«
»Nun, Sir, im Moment sitzen sie da nur rum. Aber ich glaube nicht, dass das so bleiben wird. Besonders nicht, wenn die Boote eintreffen.«
Wieder seufzte Davin. Es schien, als wäre dieses Seufzen alles, was er in diesen Tagen wirklich in Perfektion beherrschte. Dutzende Boote, die Orcs und Trolle transportierten, waren tags zuvor gesichtet worden, wie sie auf der Großen See nach Süden fuhren – Richtung Northwatch. In wenigen Stunden würden sie ihr Ziel erreichen. Und spätestens dann würde Davin eine Entscheidung treffen müssen .
Die Anweisungen von Kämmerer Kristoff, der den Oberbefehl innehatte, während Lady Proudmoore von diesen Flammendes-Schwert-Leuten gefangen gehalten wurde, lauteten, Northwatch um jeden Preis zu halten.
Davin wusste nicht, wie er das schaffen sollte.
Eigentlich hatte er nie Soldat werden wollen. Zugegebenermaßen hatte er jedoch einen Hang zur Gewalt, der dem Anwerber aufgefallen war, als er in seinem Dorf nach Nachwuchs gesucht hatte. Dazu war er allerdings auch ein entsetzlicher Feigling, der es aber schaffte, diesen Umstand während der Ausbildung zu verbergen. Hauptsächlich deshalb, weil er niemals in wirklich ernsthafte Gefahr geriet. Er musste nur etwas schauspielern, und das fiel Davin leicht. Sein Schwert an einer Strohpuppe einsetzen? Kein Problem. Aber ein echter Kampf gegen einen Feind aus Fleisch und Blut? Darin war er hoffnungslos schlecht.
Deshalb hatte er beim ersten Mal, als er einem echten Gegner gegenüberstand, auch gedacht, er sei verloren. Aber er hatte Glück gehabt, weil er einer wirklich fähigen Truppe angehörte. Davin hatte sehr wenig für den Sieg getan, als es gegen die aufständischen Zwergen gegangen war. Diese waren auf der Flucht vor der Justiz in sein Dorf gekommen, nachdem ein Putsch gegen die Regierung der Zwerge gescheitert war. Aber der Rest seines Trupps hatte exzellente Arbeit geleistet und die Zwerge gefangen genommen oder getötet.
Davin konnte sich im Ruhm seiner Kameraden sonnen.
Dann war die Brennende Legion auf den Plan getreten. Es war schrecklich gewesen. Leute um ihn her waren gestorben. Lordaeron war zerstört worden. Menschen und Orcs hatte Seite an Seite gekämpft. Die ganze Welt war in Chaos versunken. Davin hatte nie verstanden, warum Lady Proudmoore das Bündnis mit den Orcs eingegangen war. Das waren Teufel, nicht viel besser als die Dämonen selbst.
Aber niemand hatte Davin nach seiner Meinung gefragt.
Sein schlimmster Tag war in einem Wald im Nirgendwo gewesen. Davin hatte nicht gewusst, wo er sich befand, nur dass er sich dort mit den angeschlagenen Resten seines Trupps aufgehalten hatte. Sie waren unterwegs, um eine Dämonenburg zu finden, damit ein Zauberer oder jemand anderes dort nach Geheimnissen suchen konnte. Davins Job war simpel gewesen, er lautete: Beschütze den Zauberer!
Alle anderen suchten nach der Festung.
Unglücklicherweise hatten sie sie auch gefunden. Und die Dämonen reagierten nicht gerade nett darauf.
Kaum dass sie mit ihren glosenden Augen angriffen, war Davin von Panik gepackt worden. Er versteckte sich hinter ein paar Eichen, ließ den Zauberer unbeschützt zurück. Und während der Magier sein Bestes gab, um sich zu verteidigen, setzte ihn schließlich einer der Dämonen in Brand.
Davin sah aus der Sicherheit seines Baumverstecks zu, wie der Zauberer, den er hatte schützen sollen, vor Schmerzen brüllte und sehr, sehr langsam starb.
Irgendwie – Davin hatte nie begriffen, warum – übersahen ihn die Dämonen. Vielleicht betrachteten sie Davin nicht als Bedrohung, was sicherlich auch stimmte. Als sein Trupp ausgelöscht war und die Dämonen davonzogen – wohin auch immer Dämonen ziehen mochten –, lief Davin zum Basislager zurück und erwartete, scharf für seine Feigheit gerügt zu werden. Er war bereit, die Konsequenzen zu tragen, wenn er nur nicht wieder hinaus musste, um so etwas noch einmal durchzumachen.
Stattdessen feierten sie ihn als Helden, weil er das Gemetzel überlebt hatte und zurückgekommen war, um darüber zu berichten.
Und dann beförderten sie ihn.
Davin stand alldem fassungslos gegenüber. Er war kein Held, ganz gewiss nicht, eher das genaue Gegenteil. Aber jeder Versuch dies klarzustellen, brachte ihm nichts anderes ein, als dass er für übermäßig bescheiden gehalten wurde.
Es war verrückt. Statt vom Kampf befreit zu werden, erhielt er das Kommando über Truppen.
Bald darauf jedoch war der Krieg so freundlich, vorbei zu sein. Was Davin die Peinlichkeit ersparte, tatsächlich eine Armee in eine Schlacht führen zu müssen, die er unmöglich siegreich hätte beenden können.
Die Brennende Legion wurde zurückgeschlagen nach Woher-auch-immer-sie-gekommen-war, und Davin erhielt noch eine weitere Beförderung. Dieses Mal zum Major. Nach Admiral Proudmoores Ankunft und anschließendem Tod wurde Davin schließlich das Kommando über die Feste Northwatch übertragen.
Bis vor kurzem hatte er dieses Leben gemocht. Northwatch war ein friedlicher Flecken, und auch wenn Davins Feigheit ihm das Kämpfen unmöglich machte, war er in Verwaltungsdingen durchaus talentiert.
Jedenfalls so lange nichts passierte, was das geregelte Tagwerk ins Chaos stürzte.
Davin mochte Oberst Lorena nicht sonderlich. Dennoch wünschte er, sie wäre jetzt hier gewesen. Sie konnte eine Garnison im Ernstfall bei weitem besser befehligen als er, denn im Gegensatz zu Davins Karriere basierten Lorenas Beförderungen auf echten Verdiensten.
Und wenn die Streiter des Flammenden Schwerts schon sie erwischt hatte, ganz zu schweigen von Lady Proudmoore, welche Hoffnung blieb dann ihm noch, Davin?
Oreil kam hereingestürmt, seine zu große Rüstung schepperte bei jedem Schritt. »Major Davin! Major Davin! Die Orcs rücken an. Ihre Boote haben bereits angelegt.«
Davin seufzte ein weiteres Mal. »Die Boote haben bereits angelegt?«
»Hat Euch niemand informiert?« Oreil blinzelte unruhig. »Oh, wartet, ich sollte das ja tun. Es tut mir Leid, Sir, aber ich war so aufgeregt. Bitte bestraft mich dafür nicht.«
Davon stand hinter seinem Tisch auf und ging zur Tür. »Gefreiter, im Moment sollte ein Militärgericht die geringste Eurer Sorgen sein!«
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