Einer davon war Strov. Obwohl er noch jung war, vertraute sie ihm am meisten. Er versah seinen Dienst, ohne Fragen zu stellen und konnte, wenn nötig, auch improvisieren. Aber ansonsten befolgte er seine Anweisungen buchstabengetreu. Außerdem besaß er die Fähigkeit, jemanden verfolgen zu können, ohne ihn aus den Augen zu verlieren oder seine Zielpersonen überhaupt wissen zu lassen, dass er ihr auf den Fersen war.
Der andere war das genaue Gegenteil von Strov. Jalod war ein altgedienter Soldat, der schon gegen Orcs gekämpft hatte, als noch niemand wirklich wusste, was ein Orc war. Gerüchte besagten, dass er Admiral Proudmoore ausgebildet hatte, obwohl Lorena das nicht glaubte. Er hatte schon alles gesehen, alles getan... und alles überlebt. Nun konnte er ausschweifende Geschichten darüber erzählen, was er auch ausgiebig zu tun pflegte.
Strov sagte: »Wie ich schon im Wachbüro verlauten ließ, Ma'am, die andere Mannschaft hat bestätigt, was Kapitän Avinal meinte. Sie konnten da draußen nichts sehen. Ich bezweifle, dass sie etwas von der Orgath'ar und den Piraten mitbekommen haben.«
»Und wenn sie dort waren«, fügte ein anderer Soldat, ein Veteran namens Paolo, hinzu, »waren sie nicht in der Lage zu helfen. Die Seeleute, mit denen ich gesprochen habe, hatten alle Angst vor dem Nebel.«
Mal, der Jahre zuvor in der Marine von Azeroth gedient hatte, nickte. »Man kann's ihnen nicht verübeln. Nebel ist das Schlimmste. Keine Möglichkeit, den Kurs zu bestimmen. Normalerweise ist es das Beste, man setzt Anker, bis es vorbei ist. Bin überrascht, dass sie es nicht getan haben, um ehrlich zu sein.«
»Was macht das schon?« sagte Jalod.
Lorena runzelte die Stirn. »Was soll das jetzt...?«
»Diese Orcs haben Admiral Proudmoores Flotte vernichtet! Töteten einen der besten Männer. Hätte ich Avinals Boot unter meinem Kommando gehabt, ich hätte den Piraten geholfen. Es ist eine Schande, dass Lady Proudmoore die eigene Familie an diese Wilden verraten hat. Ihren eigenen Vater betrogen hat für solche...« Er suchte nach einem passenden Ausdruck, was ihm aber offenbar nicht rasch genug gelang, deshalb fuhr er fort: »Es ist beschämend, dass sie uns befohlen hat, diese Befragung durchzuführen. Wir sollten besser diese Monster jagen.«
Alle traten bei seinen Worten verlegen von einem Fuß auf den anderen.
Zumindest alle außer Lorena, die ihr Schwert zog und die Spitze direkt auf Jalods Kehle setzte. Der alte Mann schien überrascht zu sein, und mehr als das. Seine blauen Augen weiteten sich vor Angst, was man selbst unter den Falten sehen konnte, die sein Gesicht durchzogen.
Lorena sagte leise und gerade deshalb so bedrohlich: »Sprecht niemals wieder in meiner Gegenwart schlecht von Lady Proudmoore, Sergeant. Mich interessiert es nicht, mit wem Ihr zusammen gedient oder wie viele Trolle und Dämonen Ihr getötet habt. Wenn Ihr jemals so etwas auch nur wieder denkt, werde ich Euer Innerstes nach außen kehren und die Einzelteile an die Hunde verfüttern. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Strov trat vor. »Ich bin mir sicher, der Sergeant wollte Lady Proudmoore nicht beleidigen, Ma'am.«
»Natürlich nicht.« Jalods Stimme klang jetzt brüchig. »Ich zolle ihr höchsten Respekt, Ma'am, Ihr wisst das. Es ist nur...«
»Was?«
Jalod schluckte, sein Adamsapfel stieß gegen Lorenas Schwertspitze. »Diesen Orcs kann man nicht trauen. Das ist alles, was ich sage.«
Das war nicht alles gewesen, aber Lorena senkte ihr Schwert dennoch. Jalods jahrzehntelanger Dienst verschaffte ihm das Recht auf ein paar Zweifel, und seine Worte waren letztlich nur allzu verständlich für einen Mann, der wacker unter Lady Proudmoore gedient hatte. Dessen Dienst zurückreichte bis in die Zeit, bevor Arthas dem Bösen verfallen war. Wäre es irgendjemand anderes gewesen, hätte sie es nicht bei einer Verwarnung belassen, sondern ihn tatsächlich an Ort und Stelle ausgeweidet.
Lorena steckte ihr Schwert zurück. »Lasst uns zu den Docks zurückkehren. Es ist eine lange Reise bis nach Hause.«
Als sie zu der Stelle marschierten, wo ihr Schiff vertäut lag, fragte sich Lorena, was eigentlich los war. Sie war ihr ganzes Erwachsenenleben lang Soldat gewesen. Als jüngstes von zehn Kindern, das einzige Mädchen, hatte sie Soldat werden wollen, genau wie ihre Brüder und ihr Vater. Sie hatte sich dafür sogar selbst davon überzeugt, ein Junge zu sein – bis ihr Körper sie in ihrem dreizehnten Sommer mit der Realität konfrontierte, dass sie genau das eben nicht war. Sie war so geschickt mit Schwert und Schild, dass ihr Vater seinen Widerstand schließlich aufgab und ihren Wunsch unterstützte, der Stadtwache von Kul Tiras beizutreten. Über die Jahre arbeitete sie sich in den Rängen nach oben, um schließlich im Krieg gegen die Brennende Legion Oberst unter Lady Proudmoore zu werden.
Im Laufe der Zeit hatte sie ihren Instinkt geschärft. Den Instinkt eines Soldaten, der einer Familie von Soldaten entstammte. Und dieser Instinkt sagte ihr jetzt, dass hinter der Sache mit dem Patrouillenboot, das weder das Handelsschiff noch die angreifenden Piraten im Nebel gesehen hatte, mehr steckte. Der Verdacht war schon von dem Moment an in ihrem Hinterkopf herumgegeistert, da sie in Northwatch angekommen war. Aber Jalods Worte hatten ihn noch bestätigt.
Sie war sich nicht sicher, was genau nicht stimmte. Aber sie hatte vor, genau das herauszufinden.
Als sie zum Rand der Lichtung marschierten, war Strov darauf bedacht, Sergeant Jalod die ganze Zeit im Auge zu behalten. Er wusste nicht, was in den alten Bussard gefahren war, aber Strov gefiel es nicht, kein bisschen.
Es war eine Sache, sich über die Orcs zu beschweren. Das war angesichts der Ereignisse vielleicht zu erwarten und verständlich. Wenngleich Strov selbst die Orcs eher für Opfer des dämonischen Einflusses hielt. Es war genauso sinnvoll, sie zu hassen wie Medivh, und der wurde als Held verehrt, trotz allem, was die Dämonen ihm angetan hatten.
Dennoch konnte Strov verstehen, warum einige Menschen die Orcs nicht ausstehen konnten.
Aber Lady Proudmoore? Die Einzigen, die berechtigten Grund hatten, schlecht von ihr zu denken, waren die Brennende Legion und deren Sympathisanten.
Jalod hatte solche Ansichten in der Vergangenheit nie geäußert. Was Strov auf den Gedanken brachte, dass der Sergeant vielleicht allmählich verrückt wurde.
Das war nichts Ungewöhnliches. So etwas passierte den besten Leuten. Aber es konnte alle anderen in Gefahr bringen. Was man in der Ausbildung beigebracht bekam, war, dass man sich auf die Leute in seiner Einheit verlassen können musste. Strov war sich nicht sicher, ob er sich auf Jalod noch verlassen konnte.
Strov war so damit beschäftigt, den Sergeanten im Blick zu halten, dass ihm nur langsam etwas auffiel, das er eigentlich schon früher hätten bemerken müssen. Die Bäume und Felsen bildeten zusammen mit ein paar Lagerhütten eine fast kreisförmige Grenze. Als sie sich dem Rand des Kreises näherten, sah Strov vier Gestalten in Kutten, die sich hinter den Lagerhütten, den Bäumen und Steinen versteckt hielten. Sie waren gut verborgen, aber Strov hatte schärfere Augen als die meisten.
»Hinterhalt!«
Auf Strovs Ruf hin gingen alle sieben Soldaten in Kampfposition und zogen ihre Schwerter. Gleichzeitig sprangen sieben Gestalten – Strov waren also drei entgangen – aus der Deckung.
Die Gestalten waren massig, ihre Kutten konnten kaum verbergen, dass es sich um Orcs handelte. Aber der Stoff verhinderte, dass man erkennen konnte, um wen es sich genau handelte.
Strov fiel noch etwas auf, während er den Knüppel abwehrte, der gegen seinen Kopf schwang: Die Kutten hatten ein Emblem auf der Brust, ein brennendes Schwert. Strov kam es bekannt vor, aber er hatte keine Zeit, den Gedanken zu Ende zu führen, weil der vermummte Orc sein Bestes gab, um Strovs Leben auszulöschen.
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