Nach einem letzten Blick zum Lord-Berater griff Malfurion mit seinen magischen Kräften in das Diagramm ein. Zuerst manipulierte er einen wichtigen Bestandteil des Zaubers und sorgte so dafür, dass seine Stabilität in jedem Fall verloren ging, ganz gleich, was noch geschehen würde.
Dann beschwor Malfurion die Kraft der Welt, die Macht der Natur. Er benutzte sie, um dem Diagramm eine neue Form aufzuzwingen, eine, die seinem ursprünglichen Zweck widersprach und für seine letztendliche Auflösung sorgen würde.
Der Schutzzauber begann zu flackern …
Lord Xavius spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Etwas Schreckliches geschah mit seinem Schutzzauber.
Im Portal spürte auch Sargeras, dass sich etwas verändert hatte.
Suche! , befahl er seinem Werkzeug.
Der Berater fuhr herum. Seine dunklen, magischen Augen starrten auf das kostbare Diagramm – und auf den geisterhaften Eindringling, den er zuvor gefangen hatte.
Der Ungläubige mischte sich in den Zauber ein!
»Haltet ihn auf!«, brüllte Lord Xavius.
Der Schrei riss Malfurion beinahe aus seiner Konzentration. Mühsam gelang es ihm, die Kontrolle zurück zu gewinnen. Dann sah er zu Xavius, der wütend auf ihn zeigte und die Hochgeborenen und Dämonen anbrüllte. Sie wirkten verwirrt, denn sie konnten Malfurions Geistkörper weder sehen, noch berühren.
Lord Xavius jedoch vermochte beides.
Als dem königlichen Berater klar wurde, dass die anderen ihm nicht helfen konnten, warf er sich selbst auf Malfurion. Seine magischen Augen sonderten dunkle Energie ab, und Malfurion spürte den bevorstehenden Angriff. Instinktiv hob er die Hand, bat Wind und Luft um Unterstützung.
Rote Lichtblitze schossen auf den jungen Nachtelf zu. Sie hätten ihn vernichtet, hätten sie ihn getroffen. Doch nur eine Handspanne von ihm entfernt schlugen sie gegen eine unsichtbare Wand und wurden von einem starken Wind umgelenkt.
Mit tödlicher Präzision trafen die Blitze die riesigen Krieger neben dem Portal.
Die Dämonen wurden umher gewirbelt wie Blätter im Sturm. Einige krachten gegen die Wände, während zwei von ihnen mit den Zauberern, die das Portal offen hielten, zusammenstießen. Ihre Konzentration wurde unterbrochen, Chaos entstand. Das Portal ächzte, als könne es atmen, öffnete und schloss sich in wildem Wechsel.
Die hochgeborenen Zauberer kämpften um die Kontrolle des Portals. Einige Dämonen, die hindurch treten wollten, verschwanden wieder in der dahinter liegenden Dunkelheit.
Eine der großen, geflügelten Gestalten, die neben der Öffnung stand, lief auf Malfurion zu. Der gewaltige Dämon konnte den Nachtelf offensichtlich nicht sehen, schwang jedoch seine Waffe in der Hoffnung, einen zufälligen Treffer landen zu können, wild hin und her. Malfurion wich der Waffe so gut es ging aus, unsicher, ob sein Zustand als Geist ihn auch davor schützte.
Lord Xavius hatte sich unter dem umgelenkten Zauber hinweg geduckt, doch nun griff der Berater wieder in den Kampf ein. Aus einer Tasche an seiner Hüfte zog er einen weiteren Kristall.
»Aus dem wirst du nicht entkommen …«
Die magischen Augen glommen auf.
Malfurion bewegte sich schnell und brachte den Dämon zwischen sich und den Berater. Nicht das beabsichtigte Opfer, sondern der überraschte Dämon wurde auf den Kristall zugezogen. Die grässliche Gestalt brüllte vor Zorn und versuchte nach Malfurion zu greifen, wurde aber unaufhaltsam in den Kristall gerissen. Keine Gegenwehr fruchtete.
Xavius fluchte und schleuderte den Kristall von sich. Das Schicksal seines unbeabsichtigten Gefangenen interessierte ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit richtete sich allein auf den Geistkörper, den niemand außer ihm zu sehen vermochte.
»Milord!«, schrie einer der Zauberer. »Sollen wir –«
»Unternehmt nichts! Widmet euch nur eurer Aufgabe. Achtet darauf, dass das Portal geöffnet und der Schildzauber funktionsfähig bleibt. Ich kümmere mich um den unsichtbaren Eindringling!«
Xavius bereitete einen weiteren Zauber vor. Malfurion blieb jedoch nicht untätig. Er drehte sich um und lief aus dem Raum, wurde von den Wachen noch nicht einmal bemerkt, als er durch die geschlossene, äußere Tür brach.
Der wütende Berater folgte ihm. »Öffnet die Tür!«
Die Wachen gehorchten. Xavius eilte aus dem Raum und folgte seinem Gegner die Treppe hinunter.
Malfurion hatte die Treppe allerdings gar nicht benutzt. Er befand sich in der Innenmauer des Turmes. Dort konnte er unbemerkt vom Lord-Berater abwarten, bis sich der Aufruhr legte.
Sodann kehrte Malfurion in die Kammer zurück und schwebte zum Diagramm. Er musste es schnellstens zerstören, bevor die Hochgeborenen es verstärken konnten.
Aber als er danach griff, spürte er ein vertrautes mulmiges Gefühl. Malfurion erschauderte und blickte fast gegen seinen Willen zum Portal.
Du wirst den Schild nicht berühren! , sagte die furchtbare Präsenz inmitten seines Geistes. Du willst es nicht. Du willst nur mir dienen … mich anbeten …!
Malfurion kämpfte gegen den Zwang an, der Stimme zu gehorchen. Er wusste, was mit einem jeden geschehen würde, wenn der, der zu ihm sprach, erst einmal die Welt betrat. All das Böse, das die Dämonen bisher über die Welt gebracht hatten, war nichts im Vergleich zu ihrem Herrn.
Ich werde … werde nicht zu deinem Werkzeug! Malfurion schrie beinahe, so sehr strengte es ihn an, den Blick von dem Portal abzuwenden.
Er spürte die Wut des anderen, während er um Atem rang. Das Böse konnte ihn nicht direkt angreifen, es vermochte nur mit seinen Gedanken zu spielen. Malfurion musste ihn ignorieren, musste sich stattdessen auf seine Freunde konzentrieren und darauf, was sein Versagen für sie alle zur Folge hätte.
Nur ein paar Augenblicke …
Sein Geistkörper krümmte sich zusammen, wurde plötzlich von entsetzlichem Schmerz durchdrungen. Er fuhr herum, brach in die Knie.
»Keine weiteren Spiele«, murmelte Lord Xavius, der im Türrahmen stand. Neben ihm suchten mehrere verwirrte Wachen vergeblich nach dem Eindringling, zu dem er sprach. »Keine weiteren Halbkatastrophen! Ich werde deinen Geist zerfetzen, dein Innerstes über die Welt verteilen … und erst dann werde ich dich dem Erhabenen überreichen, damit er mit dir anstellen kann, was immer ihm beliebt …«
Mit dieser Drohung zeigte er auf Malfurion.
Die Brennende Legion drängte die Reihen der Nachtelfen immer weiter zurück. Lord Ravencrest führte seine Soldaten so gut er es vermochte, aber sie konnten die Stellung nicht halten.
Ein Rammbock, von Rhonin erschaffen, prallte gegen die Dämonen. Er fegte einige zur Seite und grub sich tief in die Horde. Ihr Angriff geriet an dieser einen Stelle ins Stocken, aber an allen anderen rückte die Legion weiter vor.
Irgendwo schrie Lord Ravencrest Befehle. »Verstärkt die rechte Flanke! Bogenschützen! Kümmert euch zuerst um die geflügelten Wesen! Latosius, wo bleibt deine Mondgarde?«
Es war nicht genau auszumachen, ob der oberste Zauberer die Frage gehört hatte, aber die Mondgarde blieb, wo sie war. Latosius stand vor ihnen und befahl seinen Zauberern, auf die unterschiedlichen Situationen zu reagieren. Rhonin verzog das Gesicht. Der alte Nachtelf verstand nichts von Taktik. Er vergeudete die geringe Kraft seiner Gruppe auf wirkungslose Einzelangriffe, anstatt sie zu einem großen Zauber zusammenzufassen.
Auch Illidan bemerkte dies. »Der verfluchte alte Narr verschwendet ihre Möglichkeiten! Ich könnte sie besser anleiten.«
»Vergiss sie und konzentriere dich auf deine eigene Magie.«
Der Zauberer hatte den Satz noch nicht beendet, als Latosius plötzlich taumelte und sich an die Kehle griff. Er ging in die Knie. Blut quoll aus seinem Mund. Seine Haut wurde schwarz, als er tot zusammenbrach.
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