Er fuhr herum. Sein Krötengesicht verriet, wie überrascht er über eine solche Unverschämtheit war. »Kleine Kreatur, du solltest besser gehen. Meine Geduld neigt sich ihrem Ende zu. Für diese Störung sollte ich dir den Kopf abreißen und dein Blut trinken!«
Azshara antwortete nicht, sondern sah ihn nur verärgert an.
Zischend holte Mannoroth aus. Seine Absicht war klar: Er hatte keine weitere Verwendung für die Nachtelfe.
Aber obwohl Mannoroth kurz davor stand, ihr den Kopf abzuschlagen, kam es nicht dazu. Das lag nicht etwa daran, dass er glaubte, Sargeras habe noch etwas mit der silberhaarigen Kreatur vor, sondern daran, dass er einfach nicht zuschlagen konnte . Die Macht der Königin war so groß, dass nur Sargeras sich gegen sie zu stellen vermocht hätte. Mannoroth wäre es leichter gefallen, sich selbst zu köpfen als sie.
Er wich zurück. Er fühlte sich unwohl in der Gegenwart einer Kreatur, die er so sehr unterschätzt hatte. Gleichzeitig musste er sich der Gefahr widmen, die dem Portal drohte.
»Da du Lord Sargeras’ Diener bist«, erklärte Azshara königlich, »vergebe ich dir deinen Ausbruch … dieses Mal.«
Mannoroth wandte sich von ihr ab, damit sie nicht sehen konnte, wie verstört er war. »Ich habe keine Zeit. Das Portal muss geschützt …«
Ihre Augenbrauen hoben sich. »Das Portal ist gefährdet? Wodurch?«
Der Dämon biss seine gelben Fänge zusammen. »Wegen der Verzweiflungstat einiger Nichtsnutze. Alles wird gut … wenn ich nicht mehr unterbrochen werde.«
Azshara schürzte die Lippen, als sie seinen beleidigenden Tonfall hörte, verstand jedoch den Grund dafür. »Nun gut, Lord Mannoroth. Ich werde in meine Räumlichkeiten zurückkehren … aber ich erwarte, dass dieser Zwischenfall ein baldiges Ende findet und Lord Sargeras zu mir geleitet wird. Wir sind hier fertig, Vashj.«
Die Königin der Nachtelfen verließ den Raum mit königlicher Würde. Mannoroth sah ihr nach. Er konnte immer noch nicht fassen, wie mächtig sie war. Dann riss er sich zusammen und widmete sich wieder seiner Aufgabe. Die Rebellen mussten besiegt werden. Das Tor, das den Herrn der Brennenden Legion in diese Welt bringen würde, durfte nicht geschlossen werden. Er fühlte, wie sich Sargeras dem Portal näherte, das trotz des Diebstahls der Drachenseele immer noch offen stand.
Bald … es würde nicht mehr lange dauern …
Malfurion und Illidan kämpften weiter gegen die Dämonen in den Ruinen. Gleichzeitig versetzten sie sich selbst in die Scheibe. Illidan wollte sich mit aller Kraft hineinstürzen, aber Malfurion hielt seinen Zwilling zurück. Sie mussten vorsichtig handeln, auch wenn jede Sekunde so wertvoll wie ein letzter Atemzug war.
Dann endlich waren sie bereit.
Doch als sie ihren abschließenden Zauber beginnen wollten, spürte Malfurion, wie etwas entsetzlich Böses seinen Geist berührte, etwas, das nicht identisch mit Sargeras war. Stimmen flüsterten in seinem Kopf und versprachen ihm die Erfüllung aller Wünsche. Er würde über Kalimdor herrschen, mit Tyrande an seiner Seite und der Brennenden Legion als seiner Armee. Alle würden sich vor ihm verneigen. All das würde geschehen, wenn er seinen Zauber nur ein wenig veränderte.
Der Druide kämpfte gegen die Stimmen an. Er wusste, was sie tatsächlich wollten. Mühsam setzte er seinen Zauber fort.
Aber im gleichen Moment versuchte Illidan, das zu tun, was die Stimmen von Malfurion verlangt hatten. Dem Druiden war es gelungen, der Versuchung zu widerstehen, Illidan hingegen war ihr Opfer geworden.
Illidan! Malfurions Gedanken waren wie ein Schlag ins Gesicht des Bruders. Er spürte, wie sich die Dunkelheit, die seinen Zwilling festgehalten hatte, löste.
Ich bin wieder ich selbst , versicherte Illidan ihm einen Moment später.
Malfurion traute ihm zwar nicht völlig, setzte seine Arbeit jedoch fort. Sie hatten nur noch wenig Zeit. Die Drei waren zwar zurückgeschlagen worden, aber wenn niemand das Portal schloss, würden sie Sargeras früher oder später nach Kalimdor folgen.
Malfurion wusste, welches Leid sie über die Welt bringen würden. Selbst sein gefährlicher Zauber war im Vergleich dazu nur ein laues Lüftchen.
Stille hing über der Landschaft. Es war, als existiere kein Geräusch in der Welt. Der Wind war so lautlos wie die aufgepeitschten Wellen und der unhörbare Donner.
Dann erschütterte ein gewaltiges Heulen Zin-Azshari und den Rest von Kalimdor. Ein furchtbarer Sturm erfasste Malfurion, aber Ysera stemmte sich rasch dagegen. Der neue Wind tobte wütender als jeder Sturm, den Malfurion jemals erlebt hatte. Die anderen Drachen wurden im ersten Moment taumelnd mitgerissen, gewannen die Kontrolle über ihren Flug aber schon bald zurück, so als existiere der Sturm für sie nicht länger.
Die Verdammniswachen und die anderen fliegenden Dämonen hatten nicht so viel Glück. Sie wurden hinweg gerissen, konnten weder gegen den Sturm, noch gegen ihre anderen Feinde ankämpfen. Einige stießen zusammen und brachen sich die Knochen. Viele starben, stürzten aber nicht in die Tiefe, da der Wind ihre Leichen durch die Luft wirbelte. Sie sahen aus wie makabre Tänzer.
Der Sturm steigerte sich um das Zehnfache, das Hundertfache, aber die Drachen und ihre Reiter blieben davon verschont. Nur die Dämonen wurden von ihm umhergewirbelt …
… und Stück für Stück zu dem Portal gezogen.
Wer noch atmen konnte, heulte, schrie und biss um sich, doch es half alles nichts. Aus allen Richtungen flogen die Dämonen dem Tor entgegen, hinter dem ihre Brüder kampfeslustig warteten.
»Es funktioniert!«, rief Illidan und lachte triumphierend. »Es funktioniert!«
Malfurion jubelte nicht, denn er spürte den Widerstand, der sich gegen den Zauber aufbaute. Er wusste nicht, ob Sargeras oder die Drei dafür verantwortlich waren. Der Druide wusste nur, dass er nicht aufgeben durfte, sonst war die Welt verloren.
Der Wind wurde immer noch stärker. Er riss die Dämonen in das Portal im Zentrum des Brunnens. Innerhalb weniger Sekunden flog kein Dämon mehr am Himmel, doch der Sturm flaute nicht ab.
Malfurion, der sich immer noch an zwei Orten gleichzeitig aufhielt, sah zu, wie die Dämonen, die sich ihm, Illidan und Tyrande genähert hatten, plötzlich in Panik gerieten. Riesige Teufelswächter und monströse Dämonenhunde klammerten sich am Boden fest. Eine Höllenkreatur kämpfte sich ein paar Schritte auf die Nachtelfen zu, kam dann aber auch nicht mehr weiter.
Dann flog die erste Teufelsbestie aus der Ruine heraus. Ihr Jaulen hallte durch Zin-Azshari. Sie verschwand im Brunnen.
Eine weitere Teufelsbestie folgte, dann die Teufelswachen. Als sei nun ein Damm gebrochen worden, flogen Dämonen gleich dutzendweise zum Himmel auf. Es war, als sähe man einem bizarren, umgedrehten Regen zu. Sie wurden über die dunklen Wasser gerissen, und Malfurion beobachtete, wie ihre Körper flüssiger, fast schon durchscheinend wurden.
Schwindel erfasste ihn. Beinahe hätte der Nachtelf die Kontrolle über den Zauber verloren. Die Ruinen Zin-Azsharis verschwanden. Malfurion drehte sich zur Seite und entdeckte, dass sein Bruder nicht mehr neben ihm saß. Die Verbindung zwischen ihm und Illidan existierte zwar noch, aber sie war wesentlich schwächer geworden.
Der Druide konzentrierte sich weiter. Die natürliche Kraft der Welt floss wie Blut durch seine Adern. Die Bäume, das Gras, die Felsen, die Fauna … alle opferten einen Teil ihrer selbst, um ihm die Stärke zu geben, die er benötigte. Malfurion ahnte, dass das, was er hier tat, weit über die Lehren des Cenarius hinausging und weit über alles, das er jemals versucht hatte. Illidans Magie war noch immer mit der seinen verschmolzen und verstärkte sie.
Er schrie auf, als tausend Nadeln seinen Geist zu treffen schienen. Sargeras griff ihn an. Die Aura des Dämonenlords erfüllte ihn, versuchte ihn von innen heraus zu verzehren.
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