»Schick die Tauren los«, schlug der Zauberer vor.
»Ich brauche Hulns Leute da, wo sie momentan stehen.« Jarod dachte nach, aber die einzige Idee, die ihm kam, war eigentlich undurchführbar. Außer … »Ich muss Cenarius finden!«
Mit diesen Worten rannte er aus dem Zelt.
Die Zeit war gekommen, um diese Farce zu beenden.
Das dachte Archimonde, als er das Schlachtfeld mit all seinen Sinnen betrachtete. Er hatte erfahren, dass sein Herr einen sehr mächtigen Gegenstand erhalten hatte – die Scheibe, die der wahnsinnige Drache bei seinem beeindruckenden Massaker eingesetzt hatte. Sargeras schien davon überzeugt zu sein, dass die Scheibe ihm den Weg in diese Welt öffnete. Nach allem, was Archimonde gesehen hatte, glaubte er das sogar.
Nun, da Sargeras’ Ankunft in Kalimdor unmittelbar bevorstand, musste sein dämonischer Kommandant dafür sorgen, dass die Welt bereit für ihn war … er musste Sargeras einen Sieg bescheren. Sein Herr sollte sehen, dass Archimonde in der Lage war, ihm wie stets eine eroberte Welt zu präsentieren.
Und so ersann Archimonde mit der gleichen Tücke und Geschwindigkeit, die seit Urzeiten dafür sorgte, dass er an der rechten Seite Sargeras’ saß, einen Schlachtplan, mit dem er die lächerlichen Kreaturen auf dieser hinterwäldlerischen Welt endgültig auslöschen würde. Es würde keine Flucht geben, keinen Ausweg in letzter Minute. Er wusste, dass er einem neuen Gegner gegenüberstand, der immerhin ein wenig mehr Verstand besaß, als der aufgeblasene Narr, der die Armee vorher befehligt hatte. Dieser neue Kommandant hatte Archimonde eine Weile lang durch seine Glücksgriffe unterhalten. Aber Glück würde ihm auf lange Sicht nicht reichen.
Ich werde dir eine neue Trophäe bringen , dachte er. In seinen Gedanken sah er bereits, wie Hunderte von heulenden und klagenden Überlebenden in Ketten vor den Herrn der Legion gezerrt wurden. Ich werde dir viel Vergnügen bereiten , fügte Archimonde hinzu. Er freute sich auf die furchtbaren Foltermethoden, die Sargeras an den Gefangenen ausprobieren würde.
Ich werde dir diese Welt zu Füßen legen.
Der Keil der Dämonen stieß weiter vor, obwohl die Nachtelfen mit aller Macht dagegen hielten. Trotz der Unterstützung, die sie durch die Irdenen und die anderen Völker erhielten, konnten sie den Keil noch nicht einmal bremsen.
Eine Reihe von Höllenkreaturen befand sich an der Spitze des Keils. Mit monströser Effizienz warfen sie sich in den Kampf. Sie wurden von Eredar geschützt, die einen Schild um sie gelegt hatte, den keine normale Waffe durchdringen konnte. Selbst die Hämmer der Irdenen zeigten keine Wirkung. Ihre Träger wurden von den Höllenkreaturen einfach zerquetscht.
Die Soldaten in der Mitte der Front taten ihr Möglichstes, um den Keil aufzuhalten, doch die Dämonenhorden verdoppelten gleichzeitig ihre Anstrengungen an den Flanken, die nicht in der Schneise der Höllenkreaturen lagen. Die Soldaten dort waren bereits verängstigt und hatten ihnen nichts entgegenzusetzen.
Langsam aber stetig spaltete die Brennende Legion die Streitmacht in zwei Teile. Alle wussten, dass die Schlacht und mit ihr die Welt verloren waren, wenn ihnen das vollends gelang.
Rhonin und die Mondgarde taten, was sie konnten, doch sie waren nur Sterbliche und schneller erschöpft als die Eredar und anderen Zauberer der Legion. Außerdem mussten sie auf ihr eigenes Leben achten, denn Archimonde hatte sie zum Hauptziel erklärt.
Ein Nachtelfenzauberer, der neben Rhonin stand, schrie plötzlich auf und mumifizierte, als sauge etwas jegliche Flüssigkeit aus seinem Körper. Ein zweiter starb auf die gleiche entsetzliche Weise. Erst dann begriffen die anderen, was geschah.
Rhonin fühlte eine furchtbare Trockenheit in seinem Körper. Er taumelte, als Flüssigkeitsmangel ihn übermannte, konnte aber gerade noch rechtzeitig einen Schutzzauber sprechen.
Ein Zauberer der Mondgarde fing ihn auf, als er zusammenbrach. Rasch zerrte er ihn in die hinteren Reihen.
»Wasser«, krächzte Rhonin. »Ich brauche Wasser.«
Sie brachten ihm einen ganzen Schlauch voll, den er bis auf den letzten Tropfen leerte. Aber auch danach fühlte sich Rhonin noch, als habe er einen ganzen Tag lang nichts getrunken.
»Kir’altius ist tot«, sagte der Zauberer, der ihm geholfen hatte. »Es geschah so schnell, dass niemand einschreiten konnte.«
»Also drei … wie viele wohl an anderer Stelle?« Der menschliche Magier verzog das Gesicht. »Wir haben keine Chance. Wir können den Soldaten nicht helfen, wenn wir wie die Fliegen sterben … und wenn wir uns nur gegenseitig helfen, wird die Legion auch die letzten Linien durchbrechen.«
Der Nachtelf hob ratlos die Schultern. Beide wussten, dass sie diese Situation nicht ändern konnten.
»Hilf mir auf. Wir müssen ein gemeinsames Raster bilden. Dann können wir uns gegenseitig besser schützen, und vielleicht können …«
Hinter ihm riefen Hörner die Soldaten zur Schlacht. Rhonin und der Nachtelf sahen verwirrt in diese Richtung, da sie wussten, dass jeder Soldat bereits an der Front kämpfte.
Und dann sahen sie einen Angriff, wie ihn noch niemand in der Geschichte Kalimdors gesehen hatte. Es gab keine Kavallerie, keine Regimenter kampfgestählter Soldaten. Und es gab nur einen Nachtelf unter ihnen, und das war Jarod Shadowsong, der den Angriff auf seinem Nachtsäbler anführte.
Rhonin schüttelte den Kopf, konnte nicht glauben, was er sah. »Er greift den Keil mit den Wächtern Kalimdors an!«
Cenarius folgte dem Nachtelf, dann kamen die beiden Bären, Ursoc und Ursol, wenn Rhonins Erinnerung ihn nicht täuschte. Über ihnen flog Aviana, die Herrin der Vögel. Dahinter sah der Zauberer einen geflügelten Panther mit menschlichen Händen und einen Reptilienkrieger, der einen Schildkrötenpanzer trug. Und das war nur die erste Welle. Ihr folgten viele Wesen, die Rhonin noch nie erblickt hatte. Er kannte weder ihre Namen, noch ihre Titel, aber er spürte klarer als jeder andere die Macht, die sie ausstrahlten.
Der Zauberer lächelte voller Hoffnung.
»Mach die Mondgarde bereit«, befahl er. »Vergiss den Keil. Konzentriere dich nur auf die Zauber der Legion.« Rhonins Grinsen wurde breiter. »Dieser verdammte Jarod. Niemand außer ihm wäre naiv genug, als Anführer von Halbgöttern in die Schlacht reiten zu wollen und auch noch damit durchzukommen.«
Seine Stimmung wurde düsterer, als er an die Angriffe der Legion dachte. »Ich hoffe nur, ihre Hilfe reicht aus …«
»Vorwärts!«, rief Jarod, obwohl es überflüssig war. Sein Blickfeld war voller Höllenkreaturen und anderer Dämonen. Stumm übergab er seine Seele an Elune und bereitete sich auf den Tod vor. Er hoffte nur, dass dieser Akt des Wahnsinns den Feind so lange aufhalten konnte, bis irgendein Wunder geschah.
Die Höllenkreaturen verkörperten die Urgewalten. Sie existierten nur, um alles, was ihnen im Weg stand – ob Ding oder lebendiges Wesen – niederzutrampeln, zu zerstören, auszulöschen. Die Zauber der Hexenmeister und der anderen dunklen Magier der Legion machten sie zu einem unaufhaltsamen Gegner.
Bis sie auf Jarods Angreifer prallten.
Der Schildzauber der Eredar hatte keine Bedeutung für Cenarius und die anderen seiner Art. Sie kannten die natürliche Magie dieser Welt seit ihrer Entstehung. Sie durchbrachen den Schild, als wäre er Luft und walzten mit der gleichen Leichtigkeit die Höllenkreaturen nieder.
Agamaggan lief an allen anderen vorbei. Er schleuderte Erde mitsamt den Dämonen hoch, spießte Teufelswachen mit seinen Stoßzähnen auf und warf sie achtlos zur Seite. Verdammniswachen, die über ihm flatterten, versuchten ihn mit ihren Lanzen zu treffen, aber die, die sich zu nahe an den Dornenwald auf seinem Rücken wagten, wurden selbst aufgespießt.
Tote Dämonen hingen in seiner Mähne. Der Halbgott fuhr herum und trampelte einige Höllenkreaturen nieder. Die anderen wichen vor ihm zurück, wussten nicht, was sie tun sollten. Ihre Verwirrung übertrug sich auf die Teufelswachen, die noch nie in einer Situation gewesen waren, in der sich das Kriegsglück so schnell gewandelt hatte.
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