Staub rieselte auf ihn herab. Malfurion wandte das Gesicht ab, um seine Augen zu schützen.
Er blinzelte den restlichen Staub weg und blickte im Höhleneingang auf einen lang gezogenen Kopf, dessen Ohren so spitz wie die eines Nachtelfs waren und dessen Haar wild vom Haupt abstand. Zwei gelbe Stoßzähne ragten aus dem Unterkiefer. Ein schwarzer, leuchtender Edelstein saß in der Mitte der Stirn. Wahrscheinlich kontrollierte Deathwing seine Wächterkreaturen auf diesem Weg. Die Kreatur war ein wenig größer als Malfurion. Ihre dunkelgraue Haut verschmolz mit der Felswand.
»Hallo, Abendessen …«, zischte der Troll. Er beugte sich nach unten, um Malfurion nach hinten zu stoßen.
Der Druide lehnte sich so weit wie möglich zurück. Die scharfen Klauen des Trolls wischten an seinem Gesicht vorbei. Malfurion versuchte die Höhle zu umgehen, aber der Troll schob sich heraus und kletterte seiner Beute wie eine Spinne entgegen.
Er hörte Brox’ wütendes Knurren und sah aus dem Augenwinkel, dass sich ein zweiter Troll von unten auf den Orc zu bewegte. Aus anderen Löchern krochen ein dritter, dann ein vierter Troll. Alle eilten den Eindringlingen entgegen.
»Ihr kommt genau richtig zum Essen«, sagte der erste Troll grinsend. »Eure Gehirne werden wir roh verspeisen und eure Leber kochen.«
Er griff erneut nach Malfurion und schloss seine Klaue um dessen Handgelenk. Mit bemerkenswerter Kraft versuchte er, den Druiden von der Felswand zu pflücken.
Es schien keinen Zauber zu geben, der Malfurion in dieser Situation beistehen konnte. Er hielt sich mit aller Macht an der Felswand fest und krallte seine Finger so tief in den Stein, dass die Haut aufriss.
Ein Schrei, der von unten ertönte, lenkte den Troll ab. Brox hatte seinen Dolch eingesetzt und die Klinge in die Schulter seines Angreifers gerammt. Der Troll löste sich von der Wand und stürzte in den Tod. Dabei nahm er jedoch die Klinge des Orcs mit.
Der Troll, der das Handgelenk des Druiden gepackt hielt, zischte und zog noch stärker daran.
Malfurion kämpfte gegen den Druck an. Erschreckt sah er, dass sich ein zweiter Angreifer von unten auf ihn zu bewegte. Wahrscheinlich wollte der Troll nach den Füßen des Druiden greifen. In diesem Fall hätte er sich nicht länger halten können.
Malfurion fiel ein kleiner Käfer auf, der über dem Troll an der Wand entlang kroch. Er konzentrierte sich, hoffte, dass er sich noch lange genug festhalten konnte.
Der Käfer wandte sich dem Gegner des Druiden zu. Andere krochen ebenfalls aus dem Fels hinaus und sammelten sich unter dem Troll.
Im ersten Moment bemerkte Malfurions Feind nichts von dem Angriff, doch dann begann er sich zu winden. Er versuchte die Käfer zu ignorieren, die über seinen Körper liefen, aber die Ablenkung war zu nachhaltig. Der Troll zischte wütend, ließ Malfurions Hand los und begann nach den Insekten zu schlagen, die über seine Brust krochen.
Malfurion holte mit der Faust aus. Er traf seinen Gegner nur am Arm, aber das reichte. Die Insekten hatten den Troll so sehr abgelenkt, dass er abrutschte und sich nicht mehr halten konnte.
Mit einem Aufschrei stürzte der Troll in die Tiefe. Der Druide hatte Glück, denn sein Gegner riss auch den zweiten Gegner mit sich.
Malfurion wandte den Blick ab, bevor sie auf dem Felsboden aufschlugen. Dann sah er zu dem Orc hinüber.
»Rasch!«, brüllte Brox, der sich gerade gegen den letzten Troll zur Wehr setzte. »Die Scheibe! Hol sie dir.«
Malfurion zögerte einen Moment, dann gehorchte er. Brox hatte sich schon gegen ganz andere Wesen zur Wehr gesetzt. Er würde auch einen einzelnen Troll besiegen.
Sei vorsichtig … , meldete sich Krasus’ Stimme. Ich konnte einige Schutzzauber entfernen, aber es gibt andere, um die du dich kümmern musst.
Der Druide spürte sie bereits. Einige waren leicht zu erkennen, andere geschickt versteckt. Er untersuchte den Ursprung eines jeden Zaubers und entfernte oder umging ihn. Es überraschte ihn, dass sich dieser Teil seiner Aufgabe so mühelos erledigen ließ. Malfurion hatte von Deathwing mehr erwartet.
Er hörte einen weiteren Schrei, den Schrei eines Trolls. Der Nachtelf sah nicht einmal mehr zu Brox hinüber, denn er hörte bereits, dass der Orc weiter nach oben kletterte.
Malfurion stoppte vor dem falschen Vorsprung. Er untersuchte ihn mit seinem Geist. Es gab einige neue Zauber, die sich jedoch recht leicht überwinden ließen.
Er sah nach unten. Brox hatte inzwischen die Höhle erreicht und blickte hinein.
»Wind … vielleicht ein Weg nach draußen, Druide.«
Alles, was ihre Aufenthaltsdauer in den Höhlen verkürzte, freute Malfurion. Er nickte und wandte sich wieder dem falschen Vorsprung zu. Bisher hatten sie Glück gehabt, denn der Lärm der Arbeiten, die in der Haupthöhle stattfanden, hatte die Todesschreie der Trolle übertönt. Doch dieses Glück würde nicht ewig halten …
Er umging die letzten beiden Schutzzauber und zog an dem falschen Fels. Er war sehr schwer, aber Malfurion gelang es, ihn so weit zur Seite zu schieben, dass er durch die entstandene Lücke ins Innere des Verstecks klettern konnte.
»Ich beeile mich!«, rief er.
Brox nickte.
Malfurion hatte im Inneren mit Dunkelheit gerechnet, statt dessen strahlte ihm ein helles Licht entgegen, das seine Augen im ersten Moment reizte, sie dann aber zu erfrischen schien.
Der Nachtelf blinzelte. Die Dämonenscheibe lag unweit entfernt auf einem königlich wirkenden, roten Tuch, das so groß war wie ein Schiffssegel. Die Scheibe war so klein, dass sogar Malfurion sie in eine Hand nehmen konnte. Trotz des Leuchtens, das von ihr ausging, wirkte sie unspektakulär. Doch der Nachtelf, der wusste, welche Macht in der Schöpfung des schwarzen Drachen steckte, behandelte sie mit größtmöglichem Respekt und Vorsicht.
Malfurion beugte sich über die Scheibe. Wie viel Kraft in etwas so Kleinem stecken konnte … In der Klaue des Drachen hatte sie größer gewirkt, dabei wusste er, dass sich ihre Größe nicht verändert hatte.
»Druide!«, hörte er Brox rufen. »Etwas nähert sich. Ich glaube, es ist der Steinerne.«
Malfurion dachte an den monströsen Golem und ermahnte sich zur Eile. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er die Scheibe von ihrer Ruhestätte.
Erst dann erkannte er seinen furchtbaren Fehler.
Ein Schrei wie von Hunderten sterbenden Drachen erfüllte die Kammer. Malfurion brach zusammen, als die Schreie durch seine Seele hallten. Die Essenz eines jeden Drachens, die in der Dämonenseele steckte, schien nach Freiheit zu rufen, doch in Wirklichkeit handelte es sich bei den Lauten nur um einen letzten Schutzzauber. Er war so subtil angelegt, dass er selbst den feinen Sinnen des Druiden entgangen war.
Die Schreie verebbten, doch ein neuer, schrecklicherer Laut hallte durch die Höhlen.
Der wütende, wahnsinnige Schrei von Deathwing.
Der Schmerz bereitete Neltharion Vergnügen, denn jeder Nagel, der in sein geschupptes Fleisch geschlagen wurde, brachte ihn der Unverwundbarkeit einen Schritt näher. Mit dieser Rüstung und der Scheibe konnte er jeder vorstellbaren Bedrohung trotzen …
»Beeilt euch!«, drängte der Drache. »Beeilung!«
Die Goblins hatten die Hammermaschine fast wieder in Position gebracht. Meklo hielt sich daran fest und bereitete die Arbeiter auf den nächsten Schlag vor.
Und dann hallte ein Laut durch die Höhlen, mit dem der Erdwächter niemals gerechnet hätte. Es war ein so entsetzlicher Ton, dass der Drache erschrocken aufsprang und die Maschine mitsamt Meklo und den anderen Goblins umwarf.
»Meine Scheibe! Meine Drachenseele! Jemand versucht sie zu stehlen!« Er brüllte wutentbrannt. Die restlichen Goblins zogen sich hektisch aus der Höhle zurück.
Neltharion wandte sich dem Gang zu. Da die meisten Metallplatten erst unzureichend an seinem Körper befestigt waren, hingen sie von den Nägeln herab und baumelten hin und her. Füße und Schwanz des schwarzen Riesen zertrümmerten Tische und Stühle und schleuderten Formen und Ambosse durch die Höhle. Feuer brachen aus, ein Ofen explodierte. Glühendes Metall spritzte durch die Luft.
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