Als wir so entlang eines schmalen, staubigen Ackerweges wanderten, zu beiden Seiten eingeschlossen von Zuckerrohr, das schon höher als mein Kopf stand, ertappte ich mich dabei immer wieder zu überlegen, wie sehr ich sie in der kurzen Zeit, die ich sie kannte, begehrt hatte. Das Gedächtnis, so vollkommen und lebhaft, daß es mich stärker in seinen Bann schlug als jedes Opiat, führte mir die Frau vor Augen, die ich zu sehen geglaubt hatte, als Dorcas und ich eines Nachts um ein Gehölz kamen und in einer Wiese auf Dr. Talos’ lichtüberströmte Bühne stießen. Wie seltsam hatte es mich angemutet, daß sie sich, als wir am strahlendsten Morgen, den ich je erlebte, gen Norden aufbrachen, im Tageslicht als ebenso makellos erwies wie am Abend zuvor im flackernden Schein der Fackeln.
Liebe und Verlangen, sagt man, seien lediglich Kusinen, und ich habe diese Ansicht geteilt, bis ich, Jolentas schlaffen Arm um meinen Hals geschlungen, an ihrer Seite gegangen bin. Denn eigentlich stimmt’s gar nicht. Meine Liebe zu Frauen war vielmehr die dunkle Seite eines weiblichen Ideals, das ich in mir genährt hatte an Träumen von Valeria und Thecla und Agia, von Dorcas und Jolenta und Vodalus’ Buhlin mit dem herzförmigen Gesicht und der Säuselstimme, der Frau, die ich nun als Theclas Halbschwester Thea kannte. Als wir denn so durch die Mauern aus Zuckerrohr zogen, als alles Verlangen gewichen war und ich Jolenta nur mit Mitleid betrachten konnte, fand ich, der ich geglaubt hatte, an ihr nur das betörende, rosige Fleisch und die täppische Grazie ihrer Gebärden zu mögen, daß ich sie liebte.
Fast den ganzen Morgen lang wanderten wir durch das Zuckerrohrfeld, ohne jemandem zu begegnen. Jolenta wurde weder schwächer noch stärker, soweit ich das beurteilen konnte; aber ich bekam das Gefühl, der Hunger, das anstrengende Stützen und die unbarmherzig niederbrennende Sonne gingen nicht ohne Wirkung an mir vorüber, denn als ich hin und wieder zu ihr schielte, war mir, als sähe ich überhaupt nicht Jolenta, sondern eine ganz andere Frau, die mir bekannt vorkam, die ich aber nicht einzuordnen vermochte. Drehte ich den Kopf und sah ich sie direkt an, verschwand dieser (stets flüchtige) Eindruck ganz.
So zogen wir also dahin, ohne daß viel gesprochen worden wäre. Zum ersten Mal, seit ich es von Meister Palaemon erhalten hatte, wurde mir Terminus Est zu einer lästigen Bürde. Das Gehenk hatte mir die Schulter wundgerieben.
Ich schnitt uns Zuckerrohr, und wir kauten es wegen seines süßen Saftes. Jolenta war dauernd durstig, und da sie ohne Hilfe nicht gehen und nicht einmal den Zuckerrohrstengel allein halten konnte, waren wir gezwungen, häufig Rast einzulegen. Es war sonderbar, daß diese schönen, wohlgestalteten Beine mit den grazilen Knöcheln und den drallen Schenkeln sich als so nutzlos erwiesen.
In einem Tag gelangten wir an den Rand des Feldes und erreichten den Saum einer richtigen Steppe, ein Meer aus Gras. Hier gab es noch vereinzelt Bäume, aber sie standen so weit verstreut, daß jeweils nur ein paar davon in Sicht waren. An jedem dieser Bäume waren Raubtiere mit Rohleder festgebunden, die Vorderpfoten wie Arme ausgestreckt. Meist handelte es sich um die gefleckten Jaguare dieser Gegend; aber darunter sah ich ab und zu auch Ungetüme mit einer Mähne wie Menschenhaar, oder einen säbelzahnigen Smilodon. Die meisten bestanden nur mehr aus Haut und Knochen, einige lebten aber noch und gaben Laute von sich. die andere Raubkatzen angeblich in Angst und Schrecken versetzen und sie abhalten, über das Vieh herzufallen.
Diese Viehherden stellten für uns eine viel größere Gefahr als die reißenden Tiere dar. Der die Herde anführende Bulle würde alles angreifen, was in seine Nähe käme, so daß wir genötigt waren, so großen Abstand zu halten, daß ihre kurzsichtigen Augen uns nicht erfaßten, und jede gegen den Wind zu passieren. Dabei mußte Dorcas die schwere Jolenta jedesmal allein stützen, damit ich voraus und den Tieren am nächsten gehen konnte. Einmal rettete mich nur ein Satz zur Seite vor den Hörnern eines anrennenden Stiers, dem ich mit einem Schwertstreich flugs den Schädel abhackte. Wir machten ein Feuer aus dürrem Gras und brieten uns ein Stück Fleisch.
Beim nächsten Mal fiel mir die Klaue ein, und wie sie dem Angriff der Menschenaffen ein Ende gesetzt hatte. Also zog ich sie hervor, und der grimmige schwarze Bulle trottete zu mir und leckte mir die Hand. Wir setzten ihm Jolenta auf den Rücken, und Dorcas nahm dahinter Platz, um sie zu halten, während ich neben seinem Kopf ging und die Klaue so trug, daß er ihr blaues Licht sehen konnte.
Am nächsten Baum, den wir erreichten, war ein lebender Smilodon festgebunden, einer der letzten, denen wir begegneten, und ich fürchtete, der Bulle würde vor ihm scheuen. Beim Vorüberziehen spürte ich förmlich die gelben, taubeneiergroßen Augen in meinem Rücken. Meine Zunge war angeschwollen vor Durst. Ich gab Dorcas das Juwel zum Halten und ging zurück, um ihn abzuschneiden, wobei ich die ganze Zeit dachte, er griffe mich bestimmt an.
Er sackte, zu geschwächt zum Stehen, auf die Erde, und ich, der ich selbst kein Wasser hatte, konnte nichts weiter tun als wieder zu gehen.
Kurz nach Mittag bemerkte ich einen Aasvogel, der hoch über uns seine Kreise zog. Angeblich wittern sie den Tod, und mir fiel wieder ein, wie wir Lehrlinge uns, wenn die Gesellen im Verhörsaal alle Hände voll zu tun hatten, hin und wieder aus dem Fenster beugen und jene mit Steinwürfen verjagen mußten, die sich auf der verfallenen Ringmauer niedergelassen hatten, damit die Zitadelle nicht einen noch schlechteren Ruf bekäme als sie bereits hatte. Die Ahnung, daß Jolenta sterben müsse, war mir ein Greuel, und ich hätte viel für einen Bogen gegeben, um den Vogel vom Himmel zu schießen; aber ich besaß nichts dergleichen und konnte nur wünschen.
Nach einer endlos langen Weile gesellten sich zum ersten Vogel zwei weitere, viel kleinere, und an ihrem bunten Kopfgefieder, das gelegentlich sogar von so weit unten sichtbar wurde, erkannte ich sie als Cathariden. Also mußte es sich beim ersten, der eine dreimal so große Flügelspannweite hatte, um einen Teratornis der Berge handeln, der angeblich Bergsteiger anfällt, ihnen mit giftigen Krallen das Gesicht zerfleischt und mit den Handknöcheln seiner mächtigen Schwingen auf sie einschlägt, bis sie in den Tod stürzen. Hin und wieder kamen ihm die beiden anderen zu nahe, so daß der sie angriff. Wenn dies geschah, vernahmen wir manchmal einen schrillen Schrei, der durch das Bollwerk ihrer luftigen Burg herunterdröhnte. Einmal winkte ich den Vögeln in einer grausigen Laune, sich uns anzuschließen. Alle drei glitten herab, und ich schwang mein Schwert gegen sie und winkte nicht mehr.
Als der westliche Horizont sich fast bis zur Sonne gehoben hatte, gelangten wir zu einem niedrigen Haus, einem hüttenartigen Erdbau aus Grassoden. Ein sehniger Mann mit ledernen Überhosen saß auf einer Bank davor, trank Matetee und tat so, als betrachte er das Farbenspiel der Wolken. In Wirklichkeit mußte er uns viel eher als wir ihn gesehen haben, denn er war klein von Statur und sonnengebräunt und verband sich harmonisch mit dem Hintergrund seines kleinen, braunen Heims, während wir uns in der Ebene deutlich vom Himmel abzeichneten.
Ich steckte die Klaue weg, als ich diesen Hirten erblickte, obschon ich mir nicht sicher war, wie der Bulle sich verhielt, wenn sie nicht mehr vor seinen Augen baumelte. In diesem Fall änderte sich sein Verhalten nicht; ruhig trottete er weiter, die Frauen auf dem Rücken tragend. Am Häuschen angekommen, hob ich sie herunter, woraufhin er die Schnauze hob und witterte und mich dann aus einem Auge anstierte. Ich deutete auf das sich wiegende Gras, sowohl um ihm zu zeigen, daß ich seiner nicht mehr bedurfte, als auch um ihm sichtbar zu machen, daß meine Hand leer war. Er wendete und stapfte davon.
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