Kaz stieß einen unablässigen Strom von Flüchen aus, bei denen auch der finsterste Bandit erbleicht wäre, doch in den Klauen des silbernen Drachen war er machtlos. Als sie etwas weiter weg waren, setzte der Drache den Minotaurus sanft auf die Erde und landete daneben.
Huma sprang ab und knüpfte sich Kaz auf der Stelle vor. Ohne den Schwur des Minotaurus, ihm zu dienen, hätte dieser den Ritter jetzt wohl umgebracht. In den tiefliegenden Augen des Minotaurus glühte Feuer. Er schnaubte pausenlos vor Wut.
»Kein Kampf!« befahl Huma.
»Sie bringen mich um! Laß mich wenigstens kämpfend sterben und nicht dastehen wie ein feiger Gossenzwerg!«
Sehr ruhig und mit einem kalten Zorn, der ihn selbst überraschte, wiederholte Huma: »Ich habe gesagt, kein Kampf.«
Der Minotaurus atmete heftig aus und schien in sich zusammenzusinken. Er starrte Huma an. »Wie du willst. Ich werde dir vertrauen, weil du mir schon zweimal das Leben gerettet hast.«
Das schon wieder! Huma gab einen entnervten Seufzer von sich und drehte sich um, da die wieder geordnete Patrouille zögernd auf das seltsame Trio zuritt. Ihr Anführer, der einzige, der vom Anblick des großen Drachen offenbar unbeeindruckt blieb, ließ sie anhalten und lehnte sich dann vor, um den jungen Ritter zu betrachten.
»Offenbar ist Bennett dich also doch noch nicht los, Huma.«
Etwa verspätet dämmerte es Huma. »Rennard!«
Rennard hob sein Visier. Ein paar der anderen Ritter rutschten unruhig hin und her. Rennards Gesicht war totenblaß, und wenn er sprach, bewegten sich seine Züge kaum. Er hätte ein schöner Mann sein können, doch sein Aussehen war in seiner Jugend der Pest zum Opfer gefallen, die ihn fast dahingerafft hätte. Sein Gesicht war hager und zerfurcht, und manche seiner Gegner machten sich einen Spaß daraus zu behaupten, Rennard sei in Wirklichkeit an der Krankheit gestorben und hätte es bloß nie gemerkt. So phantasievolle Kommentare wurden allerdings nie in seiner Gegenwart geäußert.
Huma freute sich, Rennard zu sehen. Der ältere Ritter hatte Huma von Anfang an unter seine Fittiche genommen, als er damals mit seinem Gesuch um Aufnahme in die Ritterschaft nach Vingaard gekommen war. Rennard hatte ihn unterstützt, als die anderen ihn zurückweisen wollten – einen Jungen, der nur behaupten konnte, daß sein Vater ein Ritter gewesen war, und dessen Mutter keinen Beweis dafür erbracht hatte.
Inzwischen hatten die Ritter ihre Ehrfurcht vor dem Drachen überwunden und starrten jetzt auf Kaz. Es gab viel Gemurmel, vor allem darüber, was ein so seltsames Geschöpf wie der Minotaurus hier zu suchen hatte. Rennard winkte einem der Reiter. »Fessel den Minotaurus. Ich bin sicher, Fürst Oswal wird großes Interesse an ihm und dem Grund für seine Anwesenheit so weit ab von der Schlacht haben.«
Kaz wich mit erhobenen Fäusten zurück. »Versucht es doch! Der erste, der mich anfaßt, wird das nie wieder tun!«
Einer der Ritter zog sein Schwert. »Unverschämtes Vieh! Du wirst nicht lange genug leben!«
»Nein!« Huma trat zu Rennard hin. »Er ist kein Feind. Er hat mit den Ogern gebrochen. Ich habe ihn als Gefangenen von Goblins gefunden und gerettet. Er hat einen Oger getötet, um Menschenleben zu retten!«
Mehrere Männer machten abfällige Bemerkungen über die Leichtgläubigkeit des jungen Ritters, und Huma wußte, daß sein Gesicht knallrot anlief.
Kaz schnaubte. Der Fleck auf Humas Ehre war ebenso ein Fleck auf der seinen, da er diesem Menschen sein Leben verdankte. »Ist das die Ehre der Ritter von Solamnia? Behandeln sie so einen der Ihren? Vielleicht war es ein Fehler, daß ich die Ritter für genauso ehrenhaft gehalten habe wie meine eigene Rasse!«
Der Ritter, der sein Schwert gezogen hatte, begann sein Pferd anzuspornen. »Das kostet dich den Kopf, Minotaurus!«
»Nichts dergleichen, Ritter Konrad.« Der aufgebrachte Ritter versuchte, Rennards Blick zu bezwingen, doch – wie schon unzählige Male zuvor – es war der blasse Ritter, der siegreich hervorging. Niemand konnte die eisblauen Augen niederringen.
»In Wahrheit gibt es nichts, was irgend einer von euch gegen Humas Urteilsvermögen vorbringen könnte«, fuhr Rennard fort. »Und das wißt ihr. Benehmt euch wie Ritter, nicht wie armselige Ergodianer oder übermächtige Elfen.«
Die anderen Ritter sagten nichts mehr, obwohl es ihnen sichtlich mißfiel, wie Kinder gescholten zu werden. Rennard kümmerte das nicht, wie Huma wußte. Rennard kümmerte nur Rennard.
Zu Huma sagte er: »Du bürgst für den Minotaurus. Ich weiß mehr über dieses Volk als die anderen. Wenn er gelobt, in Frieden mit uns zu ziehen, ist das alle Sicherheit, die ich brauche.«
Huma sah Kaz an, welcher erst die gesamte Patrouille an sich, dann den hageren Ritter anstarrte. Nach reiflicher Überlegung stimmte der Minotaurus zu. »Ich gelobe, daß ich in Frieden mit euch gehen werde und daß ich Humas Urteil in allen Fragen hinnehme.«
Letzteres war eine Kritik am mangelnden Vertrauen der Ritter zu einem von ihnen. Die Ritter rutschten wieder unbehaglich herum. Die Vorstellung, daß ein so starker Gefangener frei mit ihnen reiten sollte, gefiel ihnen nicht. Der Silberdrache sah mit leicht belustigter Miene zu. Rennards Gesicht zeigte keine Regung, doch Huma glaubte, daß der unverlangte Zusatz ihn amüsierte.
Der Anführer der Patrouille wies mit dem Daumen nach hinten. »Wir haben ein paar Pferde übrig, die wir eine Meile von hier aufgelesen haben. Eins davon ist stark genug für den Minotaurus, denke ich. Wenn ihr einverstanden seid, will ich euch beide an der Spitze haben. Wir haben viel zu besprechen, und du, Ritter Huma, wirst sicher interessante Dinge berichten können.«
Die anderen Ritter machten Platz, als Huma und Kaz zwischen sie traten. Es gab fünf überzählige Pferde – vier Kriegspferde und ein Zugpferd, das augenscheinlich von seinem Besitzer zurückgelassen worden war. Das Zugpferd und zwei von den anderen erwiesen sich als ungeeignet zum Reiten und kamen nur mit, weil sie etwas Fleisch auf den Knochen hatten. Das größte Pferd und damit das einzige, das die massige Gestalt des Minotaurus tragen konnte, war ein nervöses Tier, doch Kaz konnte es durchaus beherrschen. Huma bekam ein silbergraues Pferd, das er sofort mochte. Als sie oben saßen, schlossen sie sich wieder Rennard an.
Huma überblickte die Verwüstung. »Was ist hier passiert?«
Rennards Gefühlslosigkeit machte seine Worte noch erschreckender. »Was passiert normalerweise, Huma? Zauberer tragen ihre Privatfehden aus und reißen das Land auf, hinterlassen den Erdbewohnern nichts als Steine und Krater. Drachen verbrennen oder gefrieren das grüne Land oder verwüsten die noch verbliebenen fruchtbaren Regionen. Wenn dann die Armeen aufeinanderprallen, gibt es kaum noch etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt.«
Zauberer waren Rennards wunder Punkt. Niemand wußte, weshalb. Huma hatte ihm gegenüber nie Magus erwähnt, weil er ihn nicht verärgern und damit einen seiner wenigen Gönner vergraulen wollte.
»Haben wir verloren?«
»Patt. Der Krieg hat sich einfach nach Norden verlagert, obwohl wir ausgeschickt wurden, um uns davon zu überzeugen, daß der Rückzug nach Norden keine Finte war. Wir wollten gerade umkehren, als wir euch sahen.«
Der Silberdrache, der die ganze Zeit über geduldig geschwiegen hatte, mischte sich nun doch noch ein. »Dann habt ihr die Drachenreiter also nicht gesehen?«
Rennards Kopf fuhr hoch. Die anderen Reiter merkten auf. »Drachenreiter, sagtest du?«
»Sechs an der Zahl. Alle in Schwarz und alle auf roten Drachen. Nur der Anführer ritt einen riesigen, schwarzen Drachen. Sie schienen etwas zu suchen, bis sie uns bemerkten. Ich habe versucht, Zeit zu schinden, doch dein Ritterkumpan hat sich geweigert, mich zu verlassen. Er bestand darauf, am Kampf teilzunehmen.«
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