Plötzlich war es, als erhebe er sich in die Lüfte, als hätte er die Schwerkraft abgestreift wie einen mit Wasser voll gesogenen Mantel und stiege einfach in die Höhe, immer höher, wie schwerelos. Dann klackte es vernehmlich, als der Schlüssel seine Drehung vollendete, Falk warf das Schwefelsalz in den Portalkreis, das Schloss schnappte auf – und …
Falk riss voll freudiger Erwartung die Augen auf, jetzt wieder ganz bei sich, überzeugt davon, es geschafft zu haben. Er war sicher, dass sich jetzt vor ihm das Tor öffnen würde, dass Funken sprühten und sich im Zentrum des Portalkreises ein flirrendes magisches Portal öffnen würde, eine Tür zu einem anderen, weit entfernten Ort.
Stattdessen geschah – nichts.
Schon wieder.
Falk konnte es nicht glauben. Fassungslos starrte er auf die Flamme der Kerze, die ebenso ruhig und kalt brannte wie zuvor, so als wäre nichts geschehen. Er blinzelte mehrmals, doch es nützte nichts.
Es passierte einfach nichts, so sehr er auch darauf hoffte.
Falk konnte es nicht begreifen. Dabei war er sich so sicher gewesen, dass es diesmal klappen würde ...
Mit einem resignierten Seufzen wandte er sich zu den anderen um. „Ich geb’s auf, sagte er niedergeschlagen, und seine Entschlossenheit war plötzlich wie fortgewischt. „Ich war mir so sicher, dass es diesmal funktionieren würde. Ich habe sie gefunden, die Tür – und den Schlüssel auch! Ich habe den Zauber gespürt – wie eine Kraft, die mich durchströmte und mich von Kopf bis Fuß erfüllt hat. Und ich habe Drakenschanze gesehen. Ich weiß nicht wie, aber ich hab’s gesehen!“ Er fluchte verhalten. Er konnte es noch immer nicht fassen, nichts von dem, was er gerade erlebt hatte. Dass er die Magie in sich gespürt hatte, schien ihm ebenso unwahrscheinlich wie der Umstand, dass es doch nichts bewirkt hatte. Wieder seufzte er enttäuscht. Er ließ die Schultern hängen. „Aber wie es scheint, bin ich wirklich nicht in der Lage, dieses verdammte Portal ...“
Bevor er den Satz zu Ende bringen konnte, ertönte hinter ihm mit einem Mal ein hohles Fauchen, wie von Luft, die in ein Vakuum gesaugt wurde. Falk wirbelte überrascht herum und wurde Zeuge, wie über der Kerze eine Art wabernder, undurchsichtiger Spiegel materialisierte, schillernd wie eine ovale Seifenblase, die aus der Flamme der Kerze in die Höhe stieg und zunehmend größer wurde, bis die sanft in allen Primärfarben schillernde ovale Fläche mannshoch war. Die Oberfläche des „Spiegels“ war in ständiger Bewegung.
Falk starrte das Portal mit großen Augen an. Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass es doch geklappt hatte, aber sobald es soweit war, kehrte das breite, spitzbübische Grinsen auf Falks Gesicht zurück. „Ich hab’s euch ja gesagt!“, rief er triumphierend. „Ich hab euch gesagt, dass ich’s schaffe!“
„Ja“, sagte Jael, und auch sie musste lächeln. „Ja, das hast du ...“
Zara schwieg. Fasziniert betrachtete sie das wabernde, in den verschiedensten Farben schillernde Oval, das vor ihnen in der Luft hing, scheinbar auf der Flamme der Kerze balancierend, und sie ging staunend und ehrfurchtig um das Portal herum. Es hatte keine Tiefe; wenn man direkt daneben stand, konnte man nicht einmal sehen, dass es überhaupt da war. Doch von hinten sah das Portal genauso schillernd aus wie von vorn.
Kein Laut drang aus dem Dimensionstor, und man konnte auch nicht erkennen, was sich dahinter befand. Neugierig streckte Zara die Finger aus und berührte versuchsweise die Oberfläche – und zog die Hand schnell wieder zurück!
„Was ist?“, fragte Falk respektvoll. „Wie fühlt es sich an?“
„Unbeschreiblich“, erwiderte Zara und streckte erneut die Hand nach der spiegelnden Fläche aus, um sie behutsam mit den Fingerspitzen zu berühren. Ein sanftes Wogen ging durch die schillernde bunte Oberfläche, als habe jemand einen Stein in einen See geworfen. „Es ist nicht warm und nicht kalt“, sagte die Vampirin nachdenklich. „Es fühlt sich an, als würde von dem Portal ein gewisser Sog ausgehen, der meine Finger anzieht. Ein bisschen wie Wasser, nur dass es nicht nass ist.“
Neugierig traten auch die anderen näher; selbst Thor verließ seinen Platz in der Ecke, wo er die ganze Zeit über gelegen und gelangweilt ihren erfolglosen Bemühungen, das Portal zu öffnen, zugeschaut hatte. Er trottete heran und schnüffelte interessiert an der geheimnisvollen Spiegelfläche.
„Unglaublich“, murmelte Jael fasziniert, während sie das Portal umrundete und die schillernde Oberfläche betrachtete. „Wer hätte das gedacht.“ Sie wandte sich an ihre Begleiter. „Sagte ich schon, dass beim Öffnen solcher Portale eine Menge schief gehen kann? Wer weiß, ob dieses Portal wirklich nach Drakenschanze führt. Vielleicht fuhrt es irgendwo in die Luft, tausend Fuß über dem Boden, oder auch nirgendwohin .“ Sie wiegte den Kopf. „So froh ich bin, dass es Falk gelungen ist, das Tor zu schaffen, so sehr beunruhigt mich der Gedanke, hindurchzugehen.“
„Doch es ist unsere einzige Möglichkeit, das Grauen doch noch zu verhindern“, sagte Falk ernst, „und schließlich ... ist es nicht gerade die Ungewissheit darüber, was auf der anderen Seite der Tür liegt, die das Leben lebenswert macht?“
Jael zog eine Grimasse. „Schwätzer.“
Falk grinste.
„Ich unterbreche euer Geplänkel ja nur ungern“, mischte sich Zara ein. „Aber wenn wir da jetzt durchgehen, gleichgültig, wohin das Portal führt – wie kommen wir dann wieder hierher zurück?“
Jael schnalzte mit der Zunge. „Ich glaube nicht, dass dies der richtige Zeitpunkt ist, um sich darüber Gedanken zu machen. Ich will aber deutlich zum Ausdruck bringen, dass niemand dazu gezwungen ist, durch dieses Portal zu gehen und sich dem zu stellen, was auch immer uns auf der anderen Seite erwartet. Ihr seid niemandem irgendetwas schuldig. Im Gegenteil. Ihr habt bereits mehr für diese Welt getan, als man von euch erwarten konnte. Nicht, weil man euch dazu gezwungen hat, sondern weil ihr euch dazu verpflichtet fühltet; weil ihr gute Menschen seid, die nicht einfach untätig die Augen vor dem Unheil verschließen, das Ancaria droht, auch wenn ihr dafür weder Ruhm noch Reichtümer erhaltet. Vermutlich wird nie jemand erfahren, dass all dies überhaupt passiert ist – zumindest wenn es uns gelingt, den Kult aufzuhalten.“
Sie hielt inne und starrte einen Moment lang intensiv auf das Portal, als würde sie versuchen, durch die schillernde Oberfläche zu spähen, um zu sehen, was dahinter lag. Doch schließlich schüttelte sie nur unmerklich den Kopf und sah Zara und Falk direkt an.
„Auch wenn es euch freisteht zu gehen“, sagte sie leise, „wäre ich froh und dankbar, euch an meiner Seite zu wissen, denn egal, was uns auf der anderen Seite erwartet – man wird uns kaum mit offenen Armen empfangen.“
„Ein Portal, das überall und nirgends hinfuhren kann“, brummte Zara. „Eine Schar verrückter Zauberer, die das Höllentor zu öffnen versucht. Geringe Aussicht auf Erfolg. Der Tod als Gewissheit ...“ Sie grinste verschmitzt. „Worauf warten wir noch?“
Ihr Blick ruhte auf dem flirrenden Portal, und ihr Grinsen fiel ein wenig in sich zusammen. Jael hatte Recht: Die Götter allein wussten, wohin das Portal führte oder was sie auf der anderen Seite erwartete. Doch warum machte sie sich überhaupt Gedanken darüber? Es gab nur zwei Alternativen: sich dem Kampf stellen oder sich von den Dämonenheeren, die Ancaria überschwemmen würden, abschlachten lassen.
Und doch wagte sie es nicht, als Erste durch das Portal zu treten. Ebenso wenig Jael, die nervös auf ihren Lippen kaute.
Schließlich war es Falk, der sich einen Ruck gab und mit unsicheren Schritten vor das Dimensionstor trat, das seinem inneren Zauber entsprungen war. Lange hatte er davon geträumt, ein Held zu sein; etwas Besonderes zu schaffen und Taten zu vollbringen, an die sich die Welt erinnern würde. Jetzt war seine Chance gekommen, sich selbst zu beweisen.
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