»Nein!» rief er. Er stürzte durch die Tür, seitlich am Wagen entlang und blickte zu dem Mann auf dem Heuboden empor.
Der Mann stieß die Gabel ins Heu neben sich und hob es über den Rand auf den Wagen, wo noch immer die beiden Jungen rangelten. »Ich habe euch hierher gebracht, um zu arbeiten, ihr beiden Bärenjungen, und nicht, damit ihr miteinander balgt.«
Der Mann lächelte. Er blinzelte Geschichtentauscher zu. Ganz so, als hätte ihm nicht einen Moment zuvor die Mordlust in den Augen gestanden.
»Seid gegrüßt, junger Bursche«, sagte der Mann.
»Nicht ganz so jung«, erwiderte Geschichtentauscher. Er nahm seine Mütze ab, so daß sein kahler Schädel sein Alter verriet.
Die Jungen gruben sich wieder aus dem Heu hervor. »Weshalb habt Ihr gerufen, Mister?» fragte der Jüngere.
»Ich hatte befürchtet, daß jemand zu Schaden kommen würde«, antwortete Geschichtentauscher.
»Oh, wir ringen immer so«, meinte der ältere Junge. »Mein Name ist Alvin, genau wie mein Pa.«
Das Grinsen des Jungen wirkte ansteckend. So verängstigt er heute auch von soviel dunklen Dingen war, blieb Geschichtentauscher doch nichts andere übrig, als das Lächeln zu erwidern und die angebotene Hand zu nehmen. Alvin Junior besaß einen Handschlag wie ein erwachsener Mann, so kräftig war er. Geschichtentauscher lobte ihn deswegen.
»Oh, er hat Euch seine Fischhand gegeben. Wenn er erst einmal mit Euch ringt und kämpft, dann liebt er es, Eure Hand zusammenzuquetschen wie eine Himbeere.«
Auch der Jüngere gab ihm die Hand. »Ich bin sieben Jahre alt, und Al Junior ist zehn.«
Jünger, als sie aussahen. Beide hatten sie diesen unangenehmen, bitteren Körpergeruch, den kleine Jungen bekamen, wenn sie sehr angestrengt spielten. Aber Geschichtentauscher machte das nichts aus. Doch der Vater verwirrte ihn. War es nur eine Einbildung gewesen, daß Geschichtentauscher gedacht hatte, er wollte die Jungen töten? Welcher Mann konnte eine Mörderhand gegen solch prächtige Jungen erheben?
Der Mann hatte die Heugabel auf dem Boden gelassen, war die Leiter heruntergeklettert und kam nun mit ausgestreckten Armen auf Geschichtentauscher zu, als wollte er ihn an sich drücken.
»Willkommen, Fremder«, sagte er Mann. »Ich bin Alvin Miller, und da hier sind meine beiden jüngsten Söhne, Alvin Junior und Calvin.«
»Cally«, berichtigte ihn der Jüngere.
»Er mag es nicht, daß unsere Namen sich reimen«, meinte Alvin Junior. »Alvin und Calvin. Ihr müßt wissen, daß man ihn ähnlich genannt hat wie mich, in der Hoffnung, daß er auch mal so ein prachtvoller Mann wird. Wirklich schade, daß es nicht funktioniert hat.«
Calvin verpaßte ihm in gespieltem Zorn einen Stoß. »Soweit ich das sehe, war er nur ein erster Versuch, und als ich kam, da haben sie es endlich richtig gemacht.«
»Wir nennen sie meistens Al und Cally«, warf der Vater ein.
»Meistens nennt ihr uns ›Halt's Maul!‹ und ›Komm gefälligst her!‹«, sagte Cally.
Al Junior verpaßte ihm einen Hieb auf die Schulter und warf ihn zu Boden. Woraufhin sein Vater seinem Hinterteil den Stiefel gab und ihn kopfüber durch die Tür trat. Alles nur zum Spaß. Es wurde niemand verletzt. Wie konnte ich nur glauben, daß hier ein Mord stattfindet? dachte Geschichtentauscher.
»Habt Ihr eine Nachricht zu überbringen? Einen Brief?» fragte Alvin Miller. Nun, da die Jungen draußen waren und einander über die Weide hinweg anbrüllten, konnten die Erwachsenen sich miteinander unterhalten.
»Ich bedaure«, erwiderte Geschichtentauscher. »Ich bin nur ein gewöhnlicher Reisender. Eine junge Dame in der Stadt meinte, daß ich hier oben einen Ort zum Schlafen finden könnte. Im Austausch für irgendwelche gute, harte Arbeit, die Ihr für mich haben mögt.«
Alvin Miller grinste. »Dann laßt mich doch erst einmal sehen, wieviel Arbeit Ihr leisten könnt.«
Er schob einen Arm vor, doch nicht um seine Hand zu schütteln, und packte Geschichtentauscher am Vorderarm, gleichzeitig stemmte er seinen rechten Fuß gegen den rechten Fuß von Geschichtentauscher. »Meint Ihr, Ihr könntet mich umwerfen?» fragte Alvin Miller.
»Sagt mir eins, bevor wir anfangen«, erwiderte Geschichtentauscher, »bekomme ich ein besseres Abendessen, wenn ich Euch umwerfe oder wenn ich es nicht tue?«
Alvin Miller legte den Kopf zurück und heulte wie ein Roter. »Wie lautet Euer Name, Fremder?«
»Geschichtentauscher.«
»Nun, Mr. Geschichtentauscher, ich hoffe, daß Euch der Geschmack von Erde behagt, denn die werdet Ihr hier als erstes zu essen bekommen.«
Geschichtentauscher spürte, wie der Griff an seinem Unterarm sich verstärkte. Seine eigenen Arme waren durchaus kräftig, aber nicht so wie der Griff dieses Mannes. Doch ein Wurfwettkampf war nicht nur eine Frage der Kraft. Es gehörte auch Witz dazu. Unter Alvin Millers Druck sackte er langsam freiwillig zusammen, lange bevor er den Mann dazu gezwungen hatte, seine ganze Kraft einzusetzen. Dann riß er plötzlich mit aller Macht in dieselbe Richtung, in die Miller schob. Meistens genügte das, um einen größeren Mann zum Sturz zu bringen — doch Alvin Miller war vorbereitet, riß in die andere Richtung und schleuderte Geschichtentauscher so weit, daß er mitten zwischen den Steinen landete, die das Fundament für den fehlenden Mühlstein bildeten.
Es hatte keine böse Absicht darin gelegen, sondern nur die reine Freude am Wettkampf. Kaum lag Geschichtentauscher am Boden, als Miller ihm auch schon wieder aufhalf und fragte, ob er sich irgend etwas gebrochen habe.
»Ich bin ja nur froh, daß Euer Mühlstein noch nicht an Ort und Stelle war«, meinte Geschichtentauscher, »sonst könntet Ihr mir nämlich jetzt wieder das Gehirn in den Kopf zurückschieben.«
»Wie bitte? Ihr seid hier im Wobbish-Land, Mann! Hier draußen braucht man kein Gehirn!«
»Nun, Ihr habt mich also geworfen«, sagte Geschichtentauscher. »Bedeutet das jetzt, daß Ihr es mir nicht gestatten werdet, mir ein Bett und eine Mahlzeit zu verdienen?«
»Zu verdienen? Nein, mein Herr. So etwas dulde ich nicht.«
Doch das Grinsen auf seinem Gesicht sprach der Härte seiner Worte Hohn. »Nein, nein, Ihr könnt arbeiten, wenn ihr mögt, weil ein Mann gerne das Gefühl hat, sich sein Auskommen zu verdienen. Aber die Wahrheit ist, daß ich Euch auch bleiben ließe, wenn Ihr zwei gebrochene Beine hättet und uns keinerlei Hilfe wärt. Wir haben ein Bett, das für Euch bereit steht, und ich verwette eine Sau gegen eine Heidelbeere, daß die Jungs Faith bereits gesagt haben, sie soll noch eine Schüssel für das Abendessen bereitstellen.«
»Das ist gütig von Euch, Sir.«
»Nicht der Rede wert«, erwiderte Alvin Miller. »Seid Ihr sicher, daß Ihr Euch nichts gebrochen habt? Ihr seid wirklich ziemlich hart auf die Steine geprallt.«
»Dann nehme ich an, daß Ihr wohl lieber nachsehen solltet, ob keiner von diesen Steinen zerbrochen ist, Sir.«
Alvin lachte wieder, klopfte ihm auf den Rücken und führte ihn zum Haus.
Und was für ein Haus das war! Nicht einmal in der Hölle hätte es mehr Gekreische und Gebrüll geben können. Miller versuchte, ihm alle Kinder einzeln vorzustellen. Doch seine vier älteren Töchter waren mit einem halben Dutzend Aufgaben so beschäftigt, wie man es sich nur denken konnte, jede von ihnen im Streit mit allen anderen, von einer Zankerei zur anderen wandernd, während ihre Arbeit sie von einem Zimmer ins andere führte. Das schreiende Baby war ein Enkelkind, ebenso die fünf Kleinkinder, die auf und unter dem Eßtisch Rundköpfe und Cavaliers spielten. Die Mutter, Faith, schien das laute Drumherum gar nicht zu bemerken, während sie in der Küche arbeitete. Gelegentlich streckte sie den Arm vor, um irgendein Kind zu knuffen, doch ansonsten ließ sie sich bei ihrem Werk nicht unterbrechen — und ebensowenig in ihrem ständigen Strom von Befehlen, Zurechtweisungen, Drohungen und Beschwerden. »Wie bewahrt Ihr Euch in alledem noch den Verstand?» fragte Geschichtentauscher sie.
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