Glühwürmchen kamen mit ihnen und spendeten ihr grüngelbes Licht. Überall auf ihrem Kleid ließen sie sich nieder. Aneinandergekauert wurden sie zu einer lebenden Schleppe. Blütenduft haftete ihnen an. Der Duft des Frühlings. Des Erwachens. Sie sollten ihre Ehrengarde sein. Ihr festliches Geleit.
Das tausendfache Flügelsirren machte ihre Stute unruhig. Sie ließ sie in Schritt verfallen. Nebel griff wie Geisterfinger nach ihr. Sie wob ihn in ihren Zauber. Gab ihm das magische Leuchten der Glühwürmchen.
Die Stute ging in leichten Trab über. Die schmalen Wege zwischen den Reisfeldern waren verwaist. Alles, was Beine hatte, war in der Stadt.
Die Gefühle von Tausenden überwältigten sie, als sie in die Stadt einritt. Sie hielten Frieden. Trolle und Kentauren gingen nebeneinander. Kobolde sangen ihre anzüglichen Lieder. Einige Blütenfeen mischten sich aufgeregt unter die Schmetterlinge, als sie sie erkannten.
Eine Gasse bildete sich vor ihr in den überfüllten Straßen. Die Menge teilte sich vor ihr.
Sie hörte ihren Namen flüstern. Sah die ungläubigen Blicke und auch jene, die beschämt ihr Haupt senkten. Das Raunen wurde lauter. Dann eilte es ihr voraus und wuchs zu einem wahren Stimmensturm.
»Emerelle!«
Der Saal der fallenden Wasser
»Ist es noch weit bis zum Hafen? Wir sind spät!«
»Wir sind ganz nah«, log Anderan und lauschte auf das Lied des Wassers. Er deutete auf einen kleinen Durchgang, der vom Kanal abzweigte. »Dort vorne liegt mein Palast.
Das Herz des verborgenen Reichs des Herrn der Wasser von Vahan Calyd.« Warmes Licht fiel von dort in den Kanal.
»Ein Palast ... Hier unten?«
»Du solltest ihn gesehen haben, Elija. Es gibt keinen zweiten Ort wie diesen in Albenmark.«
»Wir sind spät«, drängte jetzt auch der Spinnenmann, der ihren kleinen Trupp anführte. Elijas Leibwächter achteten darauf, dass stets einer von ihnen zwischen dem Lutin und ihm stand.
Anderan duckte sich durch die Öffnung. Er trat auf einen kleinen Balkon, der hoch über dem Kuppelsaal lag, und nahm das einzigartige Bild in sich auf.
Ein Spinnenmann erschien neben ihm. Er blickte in die Tiefe. Es war gerade genug Platz für sie beide auf dem Balkon. Anderan bemerkte, dass auch der kaltherzige Meuchler länger verharrte, als notwendig gewesen wäre. Niemand entzog sich leicht diesem Anblick.
Elija trat auf den Balkon. Feine Wasserperlen legten sich auf sein Fell. Es war angenehm kühl hier.
Vor ihnen erstreckte sich ein weiter Kuppelsaal, dessen Wände aus makellos weißem Stein gefügt waren. Unter ihnen ging es mehr als zwanzig Schritt in die Tiefe. Die De-ckenwölbung lag vielleicht fünf oder sechs Schritt höher als ihre Aussichtsplattform.
Hell leuchtende Barinsteine waren darin eingelassen. Überall aus den Wänden ragten goldene Rohre, aus denen sich Kaskaden klaren Wassers in die Tiefe ergossen. Die meisten Rohre hatten kunstvoll geschmückte Mündungen. Sie zeigten Vogelköpfe mit gebogenen Schnäbeln, Delfine oder auch Wölfe. Sogar einige Drachenköpfe waren zu sehen. Die weit aufgefächerten Wasserfontänen, die sich aus ihren goldenen Rachen ergossen, schillerten im hellen Licht wie flüssiges Kristall. Die Luft war erfüllt vom feinen Dunst winziger Wasserperlchen. Schillernde Regenbögen spannten sich zwischen den Kaskaden.
Im Becken tief unter ihnen gab es mehr als zwanzig große Abflüsse. Das Wasser dort unten war zu schäumender Gischt aufgewühlt.
Die Stimmen des Wassers erhoben sich hier mit solcher Macht, dass man sich selbst schreiend kaum verständigen konnte. Manche empfanden das als einen Makel an diesem magischen Ort. Anderan sah das nicht so. Hier sprach das Wasser zu den Holden. Er mochte es, dem kraftvollen Lied zu lauschen. Der Kuppelsaal war das Herz der unterirdischen Stadt. All der Kanäle und Zisternen, der Sammelbecken und Verteiler. Einst hatten die Normirga, jenes Elfenvolk, dem die Königin entstammte, große Pumpen erschaffen, die das Wasser in Bewegung hielten wie riesige Herzen.
Man musste das Wasser hegen, sonst gäbe es in Vahan Calyd nur eine fahle abgestandene Brühe wie in den Mangroven rings um die Stadt. Die Holden waren die Hüter des Wassers, sie hielten das Wasser lebendig. Hier in diesem weiten Saal atmete es, wenn es aus großer Höhe stürzte und in brodelnder Gischt aufschäumte. Hier zeigte es sich in all seiner Schönheit.
Der Lutin tastete nach dem verborgenen Hebel unter dem Geländer.
»Schön. Wir sollten jetzt gehen«, rief Elija gegen das Donnern des Wassers an, als ein Laut wie ein dutzendfacher Gongschlag ertönte. Überall senkten sich zolldicke goldene Schotte und versperrten alle Abflüsse aus dem Saal.
»Hier, im Saal der fallenden Wasser, haben, als ich ein Kind war, all meine Träume begonnen. Hier sollen sie enden«, rief Anderan. Er blickte hinab. Man konnte zusehen, wie das Wasser stieg. Es würde nicht lange dauern, bis sich der ganze Saal gefüllt hatte.
»Was redest du da?«, fuhr Elija ihn an. »Bist du verrückt geworden?« Der Lutin drehte sich um. Jetzt erst sah er die massive, goldene Wand, die den Durchgang zu den Kanä-
len versperrte. »Mach das sofort auf!«
»Es gibt keine Möglichkeit, die Schotte von innerhalb des Saals zu öffnen.« Anderan fühlte zum ersten Mal seit vielen Monden inneren Frieden. Den ganzen Tag hatte er überlegt, ob er es wirklich tun sollte.
Elija hämmerte mit seinen Fäusten gegen das Metall. Es war hoffnungslos. Schließlich wandte er sich um. »Warum?«
Anderan hob die Pfeilspitze auf seiner Brust. »Du hast den Pfeil bezahlt, der dem Leben meines Sohnes ein Ende setzte. Durch dich sind Hunderte unserer treuesten Weggefährten im Windland zu Tode gekommen.«
Das Donnern des Wassers ließ langsam nach. Fast die Hälfte der goldenen Wasserspeier war bereits in den steigenden Fluten versunken.
»Du weißt, ich hatte keine Wahl.«
»Nein, ich weiß es nicht! Seit dem ersten Verdacht versuche ich zu begreifen, warum du es getan hast. Warum?«
»Es war eine historische Notwendigkeit. Die Königsherrschaft der Trolle konnte nur eine Übergangsphase auf dem Weg zur vollkommenen Gesel schaft sein. Um die Herrschaft der Trolle zu verkürzen, musste ich sie destabilisieren. Deshalb habe ich offiziell ihren Gesetzeskodex unterstützt und auch die Snaiwamark-Karawane. Sie mussten sich dadurch unter den entscheidungstragenden Schichten der Bevölkerung diskreditieren. Außerdem sollte ein siegloser Krieg im Windland ihren Willen zur Herrschaft aushöhlen. Auch ich habe Opfer gebracht. Von meiner ganzen Sippe leben nach dem Untergang der ersten Snaiwamark-Karawane nur noch Liza und mein Bruder Nikodemus. Versteh doch, Anderan! Diese Opfer waren notwendig, damit wir schneller den nächsten Schritt tun konnten. Jetzt öffne die Schotten! In einer Stunde wirst du König sein! Dann können wir endlich die Gesel schaft erschaffen, von der wir träumen! Ja, wir mussten Hunderte opfern. Ich habe diese Entscheidung bewusst allein getroffen, um niemanden aus dem Kreis der Kommandanten mit dieser Seelenqual zu belasten. Aber Tausende werden gerettet sein, wenn wir die Herrschaft der Trolle in dieser Nacht beenden. Jetzt öffne die verdammten Tore! Wenn du es so enden lässt, dann sind alle vergebens gestorben. Verhöhne nicht den Tod deines Sohnes, mein Freund! Lass uns gehen!«
Die Macht seiner Worte war ungebrochen, dachte Anderan. Alles erschien ganz plausibel, wenn Elija so sprach. Er durfte sich dieser Art des Denkens nicht öffnen!
Welche einsamen Entscheidungen würde Elija als Nächstes fällen? Dass die Elfen eine latente Gefahr für den Frieden innerhalb der neuen Gesellschaft waren? Dass Städte den Verfall der Moral förderten und alle Albenkinder in kleinen Siedlungen auf dem Lande leben sollten?
Es gab viele Streitschriften Elijas, denen er selbst jetzt noch mit ganzen Herzen anhing.
Читать дальше