Der Zorn und die Feindseligkeit, die die Soldaten der Imperialen Ordnung an den Tag legten, sei nur Ausdruck ihrer inneren Zerrissenheit, eine Art Hilferuf, weswegen man ihnen mit Mitgefühl und Verständnis begegnen müsse. Diese klaren Worte, wie sie nur aus dem Munde eines Weisen kommen konnten, hätten mich mit Demut erfüllen sollen, doch statt dessen ließ ich mich von dem Wunsch leiten, Marilee und all die anderen aus der Gewalt dieser Männer zu befreien, und forderte die Sprecher auf, mir dabei zu helfen.
Darauf erwiderte der Weise, Marilee werde auch ohne mich ihr Glück finden, und daß ich mich der Selbstsucht schuldig machte, wenn ich sie für mich allein beanspruchte. Die anderen, fuhr er fort, habe das Schicksal ereilt, und diesem Forderungen zu stellen, stünde mir nicht zu.
Ich versicherte den Sprechern und dem Weisen, die Soldaten der Imperialen Ordnung hätten sich nicht an die von Luchan für die Auslieferung Marilees getroffene Abmachung gehalten. Darauf erwiderte der Weise, Marilee habe recht gehandelt, im Frieden zu diesen Soldaten zu gehen, denn dadurch sei der Kreislauf der Gewalt durchbrochen worden. Ich dagegen würde mich des Eigennutzes und der Sünde schuldig machen, wenn ich mein persönliches Anliegen wichtiger nähme als den Frieden, für den sie sich selbstlos geopfert habe, und daß mein Benehmen gegenüber diesen Männern ihre Verärgerung vermutlich erst provoziert habe.
Darauf erklärte ich dem Weisen vor allen anderen Sprechern, ich hatte keineswegs die Absicht, diesen Männern zu verzeihen oder sie mit offenen Armen aufzunehmen, sondern wolle sie aus unserem Leben jagen. Und so wurde ich öffentlich bloßgestellt.«
Richard reichte Owen einen Becher Wasser, sagte aber noch immer nichts. Owen nippte daran, ohne auch nur hinzusehen.
»Schließlich trug die Versammlung der Sprecher mir auf, in meinen Heimatort zurückzukehren und den Rat meiner dortigen Mitbürger zu suchen, um wieder zu unseren Sitten und Gebräuchen zurückzufinden. Dies tat ich, fest entschlossen, mich auszusöhnen, mußte jedoch feststellen, daß mittlerweile alles noch viel schlimmer geworden war.
Denn in der Zwischenzeit war die Imperiale Ordnung zurückgekommen und hatte sämtliche Nahrungsmittel und Waren, die sie begehrten, aus der Stadt geschafft. Wir hätten ihnen, was immer sie verlangten, ja gerne freiwillig überlassen, doch sie haben nicht einmal gefragt, sondern sich einfach nur bedient. Zudem waren mittlerweile weitere männliche Ortsbewohner verschleppt worden – ein paar Knaben sowie einige der jüngeren, kräftigeren Männer. Andere, die die Soldaten der Imperialen Ordnung durch irgend etwas in ihrer Ehre gekränkt hatten, hatte man getötet.
Leute, die ich kannte, starrten leeren Blicks auf die Blutlachen, wo unsere Freunde umgekommen waren. An manchen dieser Stellen kamen die Ortsbewohner zusammen, um das Blut mit Erinnerungsstücken an die Verstorbenen zu bedecken. Diese Orte waren zu heiligen Gedenkstätten geworden, wo die Leute niederknieten, um zu beten. Überall hörte man Kinder weinen. Es gab niemanden mehr der noch bereit gewesen wäre, mir einen Rat zu geben.
Alle hatten sich zitternd hinter ihren Haustüren verbarrikadiert, aber sobald die Soldaten der Imperialen Ordnung anklopften, schlugen sie die Augen nieder und öffneten, um sie nicht noch zusätzlich zu kränken.
Ich hielt es nicht länger in unserem Ort aus und floh hinaus aufs Land, obwohl ich schrecklich Angst hatte, dort ganz auf mich gestellt zu sein. Aber dort draußen in den Hügeln stieß ich auf andere Männer, die ebenso egoistisch waren wie ich und die sich aus Angst um ihr Leben dort versteckt hielten. Gemeinsam beschlossen wir, etwas zu unternehmen und dem Elend ein Ende zu machen. Wir beschlossen, den Frieden wiederherzustellen.
Zuerst schickten wir Abgesandte los, die mit den Männern der Imperialen Ordnung sprechen und ihnen versichern sollten, daß wir ihnen kein Leid zufügen und mit ihnen in Frieden leben wollten; sie sollten in Erfahrung bringen, was wir tun konnten, um sie zufrieden zu stellen. Die Männer der Imperialen Ordnung hängten sie an unweit unserer Ortschaft aufgestellten Pfählen an den Fußgelenken auf und häuteten sie bei lebendigem Leibe.
Es waren Männer darunter, die ich schon mein Leben lang kannte, die mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden, mit mir die Fastenzeit gebrochen hatten, die mich vor Freude über meine bevorstehende Hochzeit mit Marilee umarmt hatten. Die Soldaten der Imperialen Ordnung ließen diese Männer an ihren Fußgelenken schreiend in der sengenden Sommersonne hängen, bis die Riesenkrähen erschienen und sie fanden.
Ich ermahnte mich, daß das, was ich an jenem Tag dort sah, nicht wirklich sei und daß ich diesen Bildern nicht trauen dürfe, daß meine Augen mich womöglich als Bestrafung für meine unreinen Gedanken trogen und mein Verstand unmöglich wissen könne, ob diese Bilder wirklich waren oder nur ein Hirngespinst.
Nicht jeder, der ausgezogen war, um mit den Männern der Imperialen Ordnung zu sprechen, wurde umgebracht: einige schickte man mit einer Nachricht zu uns zurück. Darin hieß es, wenn wir nicht aus den Hügeln herabkämen – zum Beweis, daß wir nicht beabsichtigten, sie anzugreifen – und unter ihre Herrschaft in unseren Heimatort zurückkehrten, würden sie dazu übergehen, jeden Tag ein Dutzend Personen zu häuten, bis wir entweder als Zeichen unserer Friedfertigkeit zurückkehrten oder die Bewohnerschaft des Ortes bis auf den letzten Einwohner gehäutet wäre.
Viele von uns brachen in Tränen aus; die Vorstellung, Auslöser eines Teufelskreises der Gewalt zu sein, war für sie unerträglich, also kehrten sie zum Zeichen, daß sie nichts Böses im Schilde führten, in den Ort zurück.
Aber nicht alle folgten ihrem Beispiel; ein paar von uns blieben in den Hügeln. Da jedoch die meisten zurückkehrten und die Imperiale Ordnung unsere genaue Zahl nicht kannte, war man dort überzeugt, wir alle wären ihrer Aufforderung nachgekommen.
Die wenigen von uns, die in den Hügeln geblieben waren, ernährten sich von den Nüssen, Früchten und Beeren, die wir fanden, oder von den Nahrungsmitteln, die wir auf unseren heimlichen Raubzügen im Ort erbeuteten. Nach und nach legten wir so einen Vorrat an, der uns zu überleben half. Ich schlug den anderen Männern aus der Gruppe vor, in Erfahrung zu bringen, was die Imperiale Ordnung mit den Ortsbewohnern machte, die verschleppt worden waren. Da die Soldaten uns nicht persönlich kannten, konnten wir uns ab und zu unter die Leute mischen, die auf den Feldern arbeiteten oder die Tiere versorgten, und so unerkannt in unseren Ort zurückschleichen. Das ermöglichte es uns, die Soldaten während der nächsten Monate zu verfolgen und im Auge zu behalten.
Die Kinder waren fortgeschickt worden, die Frauen aber hatten sie an einen eigens für diesen Zweck errichteten Ort gebracht – ein Lager, wie sie es nannten –, das sie gegen Angriffe von außen befestigten.«
Wieder verbarg Owen sein Gesicht in den Händen, während er schluchzend weitersprach. »Sie mißbrauchten unsere Frauen als Zuchttiere. Ihr Ziel war es, sie Kinder gebären zu lassen – so viele wie nur irgend möglich –, Kinder, gezeugt von den Soldaten. Die meisten, die nicht bereits ein Kind unter dem Herzen trugen, wurden dort schwanger. In den folgenden anderthalb Jahren kamen zahllose Kinder zur Welt. Eine Zeit lang bekamen sie die Brust, anschließend wurden sie, nachdem ihre Mütter erneut geschwängert worden waren, samt und sonders fortgebracht.
Wohin diese Kinder verschleppt wurden, weiß ich nicht – auf jeden Fall außerhalb unseres Reiches. Auch die aus unseren Ortschaften verschleppten Männer wurden außerhalb unserer Reichsgrenzen verbracht.
Die Soldaten der Imperialen Ordnung bewachten ihre Gefangenen nicht eben aufmerksam, da unsere Leute jegliche Gewaltanwendung ablehnten. Deshalb konnten einige Männer in die Berge fliehen, wo sie schließlich zu uns stießen. Von ihnen erfuhren wir, daß die Soldaten sie den Frauen zugeführt und ihnen erklärt hatten, wenn sie nicht alle ihnen erteilten Befehle buchstabengetreu befolgten, würden sämtliche Frauen, die sie dort sahen, sterben – man werde sie bei lebendigem Leibe häuten. Die Geflohenen wußten weder, wohin man sie schaffen werde, noch was sie dort tun sollten, nur daß sie, wenn sie die ihnen erteilten Anweisungen nicht befolgten, schuld daran sein würden, daß man unseren Frauen Gewalt antat.
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