Nyda reichte die Laterne hinein, ehe sie dem Captain nach drinnen folgte; dann langte sie mit ihrem ganz in Rot gekleideten Arm noch einmal nach draußen, packte mit der Hand Anns Kleid und zog sie hinter sich hinein.
Der Captain war bereits damit beschäftigt, auf der anderen Seite des winzigen Vorraums eine zweite Tür aufzusperren. Deutlich spürte Ann, daß dies der Raum war, in dem sich der Schild befand. Die zweite Tür öffnete sich knarrend; dahinter befand sich eine aus dem massiven Muttergestein gehauene Zelle. Der einzige Weg nach draußen führte durch diese Tür anschließend durch den winzigen Vorraum mit dem Schild und schließlich durch die zweite Tür.
Im Hause Rahl wußte man, wie man ausbruchsichere Verliese baute.
Nydas Hand faßte sie beim Ellenbogen, eine unmißverständliche Aufforderung, bis in den hinteren Raum durchzugehen. Selbst Ann, klein, wie sie war, mußte sich ducken, als sie über die erhöhte Schwelle stieg, um durch die Tür zu treten. Das einzige Mobiliar drinnen bestand aus einer aus dem Gestein der gegenüberliegenden Wand gehauenen Bank, die gleichzeitig als Sitzgelegenheit und erhöhte Bettstatt diente. Am einen Ende der Bank stand eine Blechkanne mit Wasser, am anderen lag eine einzelne gefaltete braune Decke. In der Ecke stand ein Nachttopf, der, wenn schon nicht sauber, so doch wenigstens leer war.
Nyda stellte die Laterne auf der Bank ab. »Nathan hat Anweisung gegeben, sie Euch hier zu lassen.«
Offenbar handelte es sich um einen Luxus, den man anderen Gästen nicht gewährte.
Ein Bein bereits über der Schwelle, hielt Nyda noch einmal inne, als Ann ihren Namen rief.
»Würdet Ihr Nathan eine Nachricht von mir überbringen? Richtet ihm bitte aus, daß ich ihn gerne sehen würde. Und erklärt ihm, es sei wichtig.«
Nyda lächelte. »Er sagte, daß Ihr genau diese Worte gebrauchen würdet. Nathan ist Prophet, vermutlich ist es also ganz normal, daß er wußte, was Ihr sagen würdet.«
»Werdet Ihr ihm meine Nachricht nun überbringen oder nicht?«
Nydas kalte blaue Augen schienen Ann bis auf den Grund ihrer Seele auszuloten. »Nathan läßt Euch ausrichten, daß er einen ganzen Palast zu verwalten hat und nicht jedes Mal zu Euch heruntergeeilt kommen kann, sobald Ihr nach ihm schreit.«
Es waren fast genau dieselben Worte, die sie Nathan unzählige Male in seinen Gemächern hatte ausrichten lassen, sobald eine Schwester mit seiner Bitte, die Prälatin sprechen zu dürfen, zu ihr kam. Richte Nathan aus, daß ich einen ganzen Palast zu verwalten habe und nicht jedes Mal hinunterlaufen kann, wenn er nach mir verlangt. Wenn er eine Prophezeiung gesehen hat, notier sie dir, damit ich einen Blick darauf werfen kann, sobald ich Zeit dafür habe.
Bis zu diesem Augenblick war Ann nicht klar gewesen, wie grausam ihre Worte geklungen hatten.
Nyda zog die Tür hinter sich ins Schloß, dann war Ann allein in dem Gefängnis, aus dem sie, das wußte sie, nicht würde fliehen können.
Immerhin neigte sich ihr Leben dem Ende zu, so daß sie nicht den größten Teil ihres Leben gefangen gehalten werden konnte, so wie sie es mit Nathan getan hatte.
Ann stürzte an die winzige Türöffnung. »Nyda!«
Die Mord-Sith, an der zweiten Tür und bereits jenseits des für Ann unüberwindbaren Schildes, drehte sich noch einmal um.
»Sagt Nathan ... sagt Nathan, es tut mir leid.«
Nyda lachte einmal kurz auf. »Oh, ich denke, Nathan weiß, wie leid es Euch tut.«
Ann zwängte ihren Arm durch das winzige Fenster und langte nach der Mord-Sith. »Nyda, bitte. Sagt ihm ... sagt Nathan, daß ich ihn liebe.«
Nyda starrte sie lange wortlos an, ehe sie die äußere Tür schloß und den Riegel vorschob.
Die Stelle, an der sie ihr Lager aufgeschlagen hatten – unmittelbar vor einem steilen, felsigen Geländeanstieg mit einem kleinen Föhrenwäldchen und etwas dornigem Gestrüpp zur einen Seite hin –, war längst nicht so geschützt und gut zu verteidigen, wie es allen lieb gewesen wäre, aber Cara hatte Kahlan insgeheim anvertraut, sie befürchte, Richard werde, wenn sie nicht haltmachten, die Nacht nicht überleben.
Die mit leiser Stimme geäußerte Warnung hatte sofort Kahlans Puls beschleunigt, ihr den kalten Schweiß auf die Stirn getrieben und sie an den Rand einer Panik gebracht.
Natürlich hatte sie geahnt, daß die holprige Fahrt im Wagen, so behutsam sie sich im Dunkeln einen Weg durch das offene Gelände gebahnt hatten, Richard das Atmen wahrscheinlich erschweren würde. Keine zwei Stunden nach ihrem Aufbruch und nach Caras Warnung hatten sie bereits wieder haltmachen müssen. Zur großen Erleichterung aller war Richards Atmung sofort nach dem Anhalten wieder gleichmäßiger geworden und hatte danach sogar etwas weniger angestrengt geklungen.
Es wurde höchste Zeit, daß sie zu einer Straße gelangten, damit die Fahrt für Richard weniger beschwerlich wurde und sie schneller vorankamen. Vielleicht ginge es ja schneller, wenn er sich die Nacht über ausgeruht hatte.
Sich immerfort einzureden, daß sie ihn ans Ziel bringen würden und mit dieser Reise nicht einer leeren Hoffnung nachjagten, die lediglich dazu diente, den Augenblick der Wahrheit hinauszuzögern, war ein steter Kampf.
Das letzte Mal, als Kahlan diese Hilflosigkeit verspürt und geglaubt hatte, Richards Lebensenergie entgleite ihm, hatte wenigstens noch eine konkrete Hoffnung auf Rettung bestanden. Damals hatte sie nicht wissen können, daß sie mit dem Ergreifen dieser einen Chance eine wahre Flut von Ereignissen auslösen würde, mit denen letztendlich die Vernichtung der Magie begann.
Sie selbst hatte damals den Entschluß gefällt, diese Chance zu ergreifen, folglich war sie auch verantwortlich für das, was jetzt geschah. Hätte sie damals gewußt, was sie jetzt wußte, hätte sie ebenso entschieden und Richard das Leben gerettet, doch das änderte nichts an ihrer Verantwortung für die Folgen.
Sie war die Mutter Konfessor und als diese verantwortlich für das Leben aller, die magische Kräfte besaßen – die Geschöpfe der Magie. Statt dessen war nun nicht mehr auszuschließen, daß sie zur Ursache ihres Untergangs wurde.
Augenblicklich war Kahlan mit dem Schwert in der Hand auf den Beinen, als sie Caras gepfiffenen Vogelruf hörte, mit dem sie ihre Rückkehr ankündigte. Den Vogelruf hatte Richard ihr beigebracht.
Kahlan schob den Verschluß an der Laterne ganz zurück, um mehr Licht zu haben, und sah Tom, eine Hand auf dem Silbergriff des Messers in seinem Gürtel, sich von einem nahen Felsen erheben, wo er gesessen hatte, um das Lager sowie den Mann, den Kahlan mit ihrer Kraft berührt hatte, zu bewachen. Der lag noch immer regungslos am Boden zu Toms Füßen, wo Kahlan ihm befohlen hatte, liegen zu bleiben.
In diesem Moment trat Cara aus der Dunkelheit; wie Kahlan vermutet hatte, stieß sie einen Mann vor sich her. Die Stirn gerunzelt, überlegte sie angestrengt, wo sie ihn schon einmal gesehen hatte. Dann erkannte sie ihn wieder und schloß kurz genervt die Augen – es war der junge Mann, dem sie vor etwa einer Woche begegnet waren, Owen.
»Ich hab versucht, Euch schon früher zu erreichen!«, rief er sogleich, als er Kahlan erblickte. »Ich hab’s versucht, ich schwöre.«
Cara hielt ihn bei den Schultern seiner dünnen Jacke gepackt und führte ihn näher heran, bis sie ihn mit einem Ruck zwang, genau vor Kahlan stehen zu bleiben.
»Wovon redest du überhaupt?«, fragte Kahlan.
Als Owen Jennsen hinter Kahlans Schulter stehen sah, hielt er, den Mund weit offen, einen kurzen Moment inne, ehe er antwortete.
»Ich schwöre, ich hatte vor, Euch schon früher aufzusuchen«, wandte er sich, offenkundig den Tränen nahe, an Kahlan. »Ich war in Eurem alten Lager.« Er raffte seine dünne Jacke vor der Brust zusammen und fing am ganzen Körper an zu zittern. »Da sah ich ... was Ihr dort ... zurückgelassen habt. Beim Gütigen Schöpfer, wie konntet Ihr nur so grausam sein?«
Читать дальше