Kahlan konnte sich keinen Reim auf sein Geständnis machen. »Du hattest also vor, uns beide umzubringen, konntest dann aber nur Richard vergiften.«
»Umzubringen ...?« Die Vorstellung ließ Owen erschrocken aufsehen. Er schüttelte entschieden den Kopf. »Aber nein, ganz und gar nicht, Mutter Konfessor. Ich hatte schon vorher versucht, Euch zu erreichen, aber dann kamen mir diese Männer zuvor und überfielen Euer Lager. Ich mußte doch Lord Rahl das Gegenmittel bringen.«
»Verstehe. Du wolltest ihn retten – nachdem du ihn vergiftet hattest!«
Owen schien ihr gar nicht zuzuhören. »Und Ihr wart einfach fort – weitergezogen; ich wußte doch nicht in welche Richtung Ihr weitergereist wart. Es war schwierig, in der Dunkelheit Euren Wagenspuren zu folgen, aber ich hatte keine andere Wahl. Ich mußte laufen, um Euch einzuholen – noch dazu in ständiger Angst vor den Riesenkrähen. Aber ich wußte nur eins: Bis heute Abend mußte ich Euch eingeholt haben. Länger durfte ich auf keinen Fall warten. Ich hatte Angst, aber ich mußte unbedingt zu Euch.«
Die ganze Geschichte ergab in Kahlans Augen keinen Sinn.
»Du gehörst also zu den Zeitgenossen, die ein Feuer anzünden, Alarm schlagen und anschließend beim Löschen helfen – und das alles nur, um als Held dazustehen.«
Verwirrt schüttelte Owen den Kopf. »Nein, nein, nichts dergleichen. Ganz und gar nicht – ich schwöre es. Ich habe das nur äußerst ungern getan, wirklich. Äußerst ungern.«
»Wieso hast du ihn dann überhaupt vergiftet?«
Verzweifelt verknitterte Owen seine dünne Jacke mit beiden Händen, während ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Wir müssen ihm das Gegenmittel geben, Mutter Konfessor, jetzt gleich, sonst stirbt er. Die Zeit ist schon sehr knapp.« Er faltete die Hände wie zum Gebet und richtete den Blick gen Himmel. »Gütiger Schöpfer, bitte gib, daß es noch nicht zu spät ist, bitte.« Er streckte die Hand nach Kahlan aus, wie um sie in sein inständiges Gebet einzuschließen und sie von seiner Aufrichtigkeit zu überzeugen, doch ihr Gesichtsausdruck ließ ihn seine Hand wieder zurückziehen. »Wir dürfen nicht länger warten, Mutter Konfessor. Ich schwöre, ich habe versucht, Euch früher zu erreichen. Wenn Ihr nicht augenblicklich dafür sorgt, daß er seine Medizin einnimmt, bedeutet das sein Ende. Dann ist alles verloren – und alles wäre umsonst gewesen!«
Kahlan war unschlüssig, ob sie ihm trauen durfte; schließlich ergab es keinen Sinn, jemanden zu vergiften und ihn anschließend wieder zu retten. »Wo ist dieses Gegengift?«
»Hier.« Hastig zog Owen eine winzige Phiole aus der Innentasche seiner Jacke. »Hier ist es. Bitte, Mutter Konfessor.« Er hielt ihr das rechteckige Glasfläschchen hin. »Er muß es sofort einnehmen. Bitte, beeilt Euch, sonst stirbt er.«
»Oder aber dieses Mittel tötet ihn.«
»Wenn ich ihn hatte töten wollen, hätte ich es tun können, als ich das Gift heimlich in seinen Wasserschlauch füllte. Ich hätte eine größere Menge nehmen oder noch einfacher, ich hätte gar nicht erst mit dem Gegenmittel herzukommen brauchen. Ich bin kein Mörder, ich schwöre es Euch – deswegen mußte ich ja überhaupt zu Euch.«
Owens wirres Gerede war nicht eben dazu angetan, seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen. Kahlan war von seinem Angebot nicht überzeugt; andererseits konnte Richard sein Leben verlieren, wenn sie die falsche Entscheidung traf.
»Ich finde, wir sollten Richard das Gegengift geben«, sagte Jennsen leise.
»Wieder so ein Versuch mit ungewissem Ausgang?«, fragte Kahlan.
»Du sagest doch selbst, daß man manchmal keine andere Wahl hat, als prompt zu handeln; aber auch dann muß man es nach bestem Ermessen und unter Berücksichtigung aller Erkenntnisse und Erfahrungen tun. Vorhin, im Wagen, hörte ich Cara zu dir sagen, sie wisse nicht, ob Richard die Nacht überleben wird. Und jetzt behauptet Owen, ein Gegenmittel zu besitzen; ich finde, dies ist eine jener Situationen, in denen unverzügliches Handeln geboten ist.«
»Falls jemand meine Meinung hören will«, setzte Tom in vertraulichem Ton hinzu, »dann muß ich ihr Recht geben. Ich sehe wirklich keine andere Möglichkeit. Aber wenn Ihr einen anderen Weg wißt, Lord Rahl zu retten, dann wäre dies wohl der rechte Augenblick, damit herauszurücken.«
Doch abgesehen von dem Besuch bei Nicci hatte Kahlan keine Alternative parat, und diese Hoffnung schien sich mehr und mehr als nichtig zu erweisen.
»Mutter Konfessor«, warf Friedrich begütigend ein, »Ich finde auch, er hat Recht. Wenn Ihr ihm das Mittel gebt, dann in der Gewißheit, daß wir uns alle einig waren, es sei die bestmögliche Lösung.«
Mit anderen Worten: Niemand würde ihr einen Vorwurf machen, wenn Richard durch das Gegengift ums Leben käme.
»Wie viel sollen wir ihm einflößen?«, fragte Jennsen.
Owen eilte zu ihr hin. »Das ganze Fläschchen. Zwingt ihn, alles hinunterzuschlucken.« Er drückte Kahlan die Phiole in die Hand. »Beeilt Euch.«
»Du hast ihm großes Leid zugefügt«, erklärte Kahlan im Tonfall einer unverhohlen Drohung. »Dein Gift hat ihm ungeheure Schmerzen bereitet. Er hat Blut gespuckt und vor Schmerzen mehrmals das Bewußtsein verloren. Es wäre ein Irrtum zu glauben, er werde dir das je vergessen oder womöglich sogar dankbar sein, daß du zurückgekommen bist, um ihm das Leben zu retten.«
Dann entfernte sie den Korken mit den Zähnen und spuckte ihn aus. Vorsichtig, um ja keinen Tropfen des Gegenmittels zu verschütten, setzte sie Richard das Fläschchen an die Lippen und kippte es. Sie sah zu, wie die Flüssigkeit seine Lippen benetzte, neigte seinen Kopf weiter nach hinten, so daß sein Mund sich ein wenig weiter öffnete, und neigte das Fläschchen stärker. Behutsam träufelte sie ihm einige Tropfen der klaren Flüssigkeit in den Mund.
Nichts deutete darauf hin, daß der Inhalt des Fläschchens tatsächlich ein Gegenmittel war; die Flüssigkeit war vollkommen farblos und hatte ebenso gut Wasser sein können. Als Richard die Lippen ein paar Mal schmatzend öffnete und schloß und die Menge, die sie ihm eingeflößt hatte, hinunterschluckte, roch Kahlan an der kleinen Phiole. Die Flüssigkeit verströmte einen zarten Zimtgeruch.
Sie träufelte noch etwas mehr in Richards geöffneten Mund. Er hustete, schluckte es aber schließlich hinunter. Mit dem Finger wischte Kahlan einen Tropfen auf, der ihm übers Kinn gelaufen war, und beförderte ihn in den Mund zurück. Mit ängstlich pochendem Herzen schüttete sie ihm die restliche Flüssigkeit hinter die halb geöffneten Lippen. Das leere Fläschchen zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte sie Richards Unterkiefer nach oben, legte seinen Kopf in den Nacken und zwang ihn so zu schlucken.
Sie seufzte erleichtert, als er das Mittel nach mehrfachem Schlucken vollständig zu sich genommen hatte.
»Habt Ihr ihm auch wirklich alles gegeben? Hat er das Fläschchen vollständig geleert?«, wollte Owen wissen.
Prompt war Caras Strafer zur Hand. Owen, in seiner übereifrigen Sorge um Richard, hielt inne, als Cara ihm den Strafer gegen die Schulter rammte.
Er torkelte einen Schritt zurück. »Entschuldigung.« Er rieb sich die Schulter, wo Caras Strafer ihn getroffen hatte. »Ich wollte doch nur nachsehen, wie es ihm geht. Ich hatte nichts Böses im Sinn. Mir ist sehr daran gelegen, daß er wieder gesund wird, das schwöre ich.«
Kahlan starrte ihn völlig entgeistert an. Caras Blick wanderte erst zu ihrem Strafer, dann wieder zurück zu ihm.
Der Strafer hatte bei ihm nicht funktioniert; seine Magie hatte ihm nichts anhaben können.
Selbst Jennsen starrte Owen unverhohlen an; offenbar war er vom gleichen Schlag wie sie – eine Säule der Schöpfung, von der Gabe völlig unbefleckt und immun gegen Magie.
Eigentlich hätte ihn der Strafer auf die Knie zwingen müssen.
Читать дальше