»Richard hat das Gegenmittel vollständig getrunken; jetzt muß es erst einmal wirken. Ich denke, in der Zwischenzeit sollten wir sehen, daß wir ein wenig Schlaf bekommen.« Kahlan machte Cara ein Zeichen mit dem Kopf. »Würdet Ihr Euch um die Einteilung der Wachen kümmern? Ich bleibe bei Richard.«
Cara nickte. Sie warf Tom einen Blick zu, der sofort verstand.
»Owen«, sagte Tom, »warum kommst du nicht her zu mir und schläfst heute Nacht hier drüben, gleich neben diesem Burschen.«
Owen erbleichte, als er den Gesichtsausdruck des D’Haraners sah und ihm klar wurde, daß dies kein Angebot war, das er ablehnen konnte. »Also gut, einverstanden.« Er wandte sich wieder Kahlan zu. »Ich werde beten, daß er das Gegenmittel rechtzeitig bekommen hat. Ich werde für ihn beten.«
»Bete lieber für dich selbst«, erwiderte sie.
Nachdem sich alle entfernt hatten, legte Kahlan sich neben Richard auf den Boden. Jetzt, endlich mit ihm allein, konnte sie ihre Tränen der Sorge nicht länger zurückhalten. Trotz der warmen Nacht zitterte Richard vor Kälte; sie zog die Decke hoch und wickelte ihn darin ein, dann legte sie ihm eine Hand auf die Schulter und schmiegte sich – ungewiss, ob er beim Anbruch des neuen Tages noch bei ihr sein würde – ganz eng an ihn.
Richard schlug die Augen auf, nur um sie gleich wegen der großen Helligkeit wieder zusammenzukneifen – dabei war es alles andere als sonnig. Nach den ineinander fließenden Violettönen, die dem stahlgrauen Himmel einen Hauch von Farbe verliehen, schien gerade die Morgendämmerung heraufzuziehen. Eine dichte, niedrige Wolkendecke überspannte den gesamten Himmel. Vielleicht ging die Sonne auch gerade unter – mit Gewissheit vermochte er das nicht zu sagen. Er fühlte sich seltsam orientierungslos.
Der dumpfe, pochende Schmerz in seinem Kopf setzte sich bis in den Nacken fort, seine Brust brannte mit jedem Atemzug. Seine Kehle war rauh, und das Schlucken schmerzte.
Der monströse Schmerz jedoch, der Schmerz, der ihn so ungeheuer belastet hatte, daß ihm jeder Atemzug zur Qual und ihm schwarz vor Augen geworden war, war abgeklungen. Auch das bis ins Mark reichende Kältegefühl hatte nachgelassen.
Richard kam sich vor, als hätte er eine Zeit lang jeden Kontakt zur Welt verloren – wie lange dieser Zustand gedauert hatte, wußte er jedoch nicht. Ihm kam es vor wie eine Ewigkeit. Doch trotz des Pochens in seinem Schädel und der Schmerzen bei jedem Atemzug entlockte ihm das warme Gefühl von Kahlans eng an ihn geschmiegten Körper ein Lächeln. Sogar jetzt, mit völlig zerwühltem Haar, sah sie einfach hinreißend aus. Ein Gefühl der Sehnsucht überkam ihn.
Vorsichtig beugte er sich über sie und gab ihr einen Kuß auf den Scheitel. Sie rührte sich sacht und schmiegte sich noch enger an ihn.
Plötzlich setzte sie sich mit einem Ruck senkrecht auf und starrte ihn, auf eine Seite gestützt, aus großen Augen an.
»Richard!«
Sie ließ sich neben ihn fallen, ihren Kopf gegen seine Schulter gelehnt, ein Arm quer über seiner Brust, und klammerte sich an ihn, als hinge ihr Leben davon ab. Ein Schluchzer, so erfüllt von Elend und Verzweiflung, daß ihm angst und bange wurde, entwich ihrer Kehle.
»Es geht mir gut«, beruhigte er sie und strich ihr sachte übers Haar.
Sie stemmte sich erneut hoch, langsamer diesmal, und starrte ihn an, als hätte sie ihn seit einer Ewigkeit nicht gesehen. Ihr ganz eigenes Lächeln, das sie sich für ihn allein aufsparte, breitete sich strahlend über ihr Gesicht.
»Richard ...« Sie schien ihn nur lächelnd anstarren zu können.
Richard, immer noch auf dem Rücken und bemüht, einen klaren Kopf zu bekommen, hob einen Arm und fragte: »Was ist denn eigentlich passiert?«
»Du bist vergiftet worden«, klarte Kahlan ihn auf und deutete mit dem Daumen über ihre Schulter. »Von Owen. Als er das erste Mal bei uns auftauchte, hast du ihm zu trinken gegeben, und als Dank dafür hat er Gift in deinen Wasserschlauch gefüllt. Mich wollte er auf dieselbe Weise vergiften, nur warst du der Einzige, der aus diesem Schlauch getrunken hat. Glücklicherweise ist er noch rechtzeitig mit einem Gegenmittel aufgetaucht.«
Richard zorniger Blick fiel auf den Mann zu Friedrichs Füßen, der zu ihnen herüberschaute. Dieser bestätigte die Geschichte mit einem freudigen Nicken, so als erwartete er, dafür auch noch gelobt zu werden.
»Einer von deinen typischen kleinen Fehlern«, bemerkte Jennsen.
Richard sah sie verwirrt an. »Was?«
»Du hast gesagt, selbst dir würden bisweilen Fehler unterlaufen, und schon ein kleiner könnte einen in große Schwierigkeiten bringen. Weißt du nicht mehr? Cara sagte noch, du würdest ständig Fehler machen, vor allem bei den einfachsten Dingen, weshalb du sie ständig um dich haben mußt.« Jennsen ließ ihn ein neckisches Lächeln sehen. »Ich glaube, da hatte sie wohl Recht.«
Richard verzichtete darauf, die Geschichte richtig zu stellen, statt dessen sagte er, bereits im Aufstehen: »Was einfach nur beweist, wie leicht einen etwas so Simples wie der Kerl dort drüben überraschen kann.«
Kahlan ließ Owen nicht aus den Augen. »Ich habe den bösen Verdacht, so simpel ist er gar nicht.«
Cara reichte Richard ihren Arm, damit er sich daran festhalten und auf ihn stützen konnte.
»Cara«, sagte er und mußte sich auf eine nahe Kiste aus dem Wagen setzen, »seid so nett und bringt ihn her, ja?«
»Mit Vergnügen«, sagte sie und machte sich auf den Weg quer durch ihr Lager. »Vergesst nicht, ihn über Owen aufzuklären«, rief sie Kahlan noch zu.
»Mich aufklären worüber?«
Kahlan beugte sich ganz nah zu ihm, während sie Cara zusah, die Owen unsanft auf die Beine half. »Owen ist von der Gabe völlig unbefleckt – wie Jennsen.«
Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte zu begreifen, was sie da soeben gesagt hatte. »Willst du damit etwa andeuten, er ist ebenfalls mein Halbbruder?«
Kahlan zuckte die Achseln. »Das wissen wir nicht, bisher wissen wir nur, daß er völlig unbefleckt von der Gabe ist.« Ihre Stirn legte sich in kleine Falten. »Übrigens, drüben, in unserem vorherigen Lager, wo uns diese Kerle überfallen haben, wolltest du mir gerade etwas Wichtiges erzählen, auf das du beim Verhör des Mannes, den ich berührt hatte, gestoßen warst, bist aber nicht mehr dazu gekommen.«
»Richtig.« Richard kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zu erinnern, was der Mann ihnen erzählt hatte. »Es ging um den Mann, der ihm seiner Darstellung gemäß den Befehl gegeben hatte, uns zu überfallen: Nicholas ... Nicholas irgendwie.«
»Der Schleifer«, half Kahlan ihm. »Nicholas, der Schleifer.«
»Richtig. Dieser Nicholas hat ihm offenbar erklärt, wo er uns finden kann – am Ostrand der Wüste, unterwegs in nördlicher Richtung. Ich frage mich, woher er das wissen konnte.«
Kahlan ließ sich die Frage ausgiebig durch den Kopf gehen. »Wenn ich es mir recht überlege, konnte er es eigentlich gar nicht wissen. Wir sind keiner Menschenseele begegnet – jedenfalls nicht wissentlich –, die ihm unseren Standort hätte verraten können. Selbst wenn uns jemand gesehen hätte, wären wir zum Zeitpunkt, da der Betreffende unseren Standort gemeldet und Nicholas diese Männer geschickt hätte, längst schon wieder ganz woanders gewesen. Es sei denn, dieser Nicholas befindet sich ganz in der Nähe.«
»Die Riesenkrähen«, sagte Richard. »Es kann nur so sein, daß er selbst es ist, der uns mit Hilfe der Riesenkrähen beobachtet. Sonst haben wir niemanden gesehen. Dadurch konnte er, als er den Befehl zum Überfall gab, den Männern gleichzeitig unsere Position angeben.«
Richard erhob sich, als der Mann sich näherte.
»Lord Rahl«, rief Owen, die Arme in einer erleichterten Geste ausgebreitet, und beschleunigte seine Schritte. Cara hielt ihn mit der Hand an der Schulter seiner Jacke fest, um ihn zurückzuhalten. »Ich bin so erleichtert, daß es Euch wieder besser geht. Es war nicht meine Absicht, Euch mit dem Gift so große Schmerzen zu bereiten – es wäre nie so weit gekommen, wenn Ihr das Gegenmittel eher erhalten hättet. Ich hatte schon früher versucht, zu Euch zu stoßen – es war meine feste Absicht, ich schwöre es.« Er legte ein verhaltenes Lächeln in den bittenden Blick, mit dem er Kahlan ansah. »Die Mutter Konfessor ist bereits im Bilde; sie weiß, wovon ich rede.«
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