»Zauberer Rahl wird Euch nicht empfangen.«
»Ihr meint, nicht heute Abend; er wird mich ... heute Abend nicht mehr empfangen?«
Ann war bemüht, so höflich wie möglich zu bleiben, dabei wollte sie diesen Mann, der nichts als Ärger machte, am liebsten niederschlagen oder würgen, und zwar je eher desto besser.
»Mein Name ist Nyda«, erklärte die Frau in Rot.
»Freut mich, Euch kennen ...«
»Wißt Ihr nicht, was ich bin?« Sie wartete Anns Antwort gar nicht erst ab. »Ich bin eine Mord-Sith. Betrachtet es als reine Gefälligkeit, daß ich Euch diese Warnung gebe. Es ist die einzige Warnung oder Gefälligkeit, die Ihr je von mir erhalten werdet, also hört aufmerksam zu. Ihr seid in feindlicher Absicht gegenüber Zauberer Rahl hergekommen. Ihr seid jetzt meine Gefangene. Solltet Ihr Eure Magie gegen eine Mord-Sith einsetzen, wird diese Magie von mir oder einer meiner Mord-Sith-Schwestern eingefangen und als Waffe gegen Euch verwendet werden; und das ist überaus unangenehm, wie ich hinzufügen möchte.«
»Ich fürchte«, erwiderte Ann, »meine Magie ist an diesem Ort nicht sonderlich hilfreich. Um genau zu sein, kaum der Rede wert. Ihr seht also, ich bin ziemlich harmlos.«
»Es interessiert mich nicht, für wie hilfreich Ihr Eure Magie haltet. Wenn Ihr auch nur versucht, eine Kerze mit ihr zu entzünden, geht Eure Kraft auf mich über.«
»Verstehe.«
»Ihr glaubt mir nicht?« Nyda beugte sich zu ihr hinunter. »Nun, dann fordere ich Euch auf, mich anzugreifen. Ich habe schon seit geraumer Zeit keine Magie einer Hexenmeisterin mehr eingefangen. Wäre vielleicht ganz unterhaltsam.«
»Vielen Dank. Aber ich bin im Augenblick zu erschöpft von der Reise, um jemanden anzugreifen. Später vielleicht?«
Nyda lächelte; es war ein Lächeln, das Ann sofort begreiflich machte, warum die Mord-Sith so gefürchtet waren. »Einverstanden, also später.«
»Und was gedenkt Ihr in der Zwischenzeit mit mir zu machen, Nyda? Werdet Ihr mich in einem der eleganten Gemächer des Palasts unterbringen?«
Nyda überhörte die Frage und gab mit einer Kopfbewegung ein Zeichen. Sofort kamen zwei der wenige Schritte hinter ihr wartenden Soldaten herbeigeeilt, die die zierliche Ann wie zwei mächtige Eichen überragten. Jeder von ihnen packte sie unter einem Arm.
»Gehen wir.« Nyda marschierte los und schritt den Flur entlang vor ihnen her.
Hinter ihr setzten sich auch die Wachen in Bewegung und schleiften Ann wenig behutsam mit; ihre Füße schienen nur bei jedem dritten oder vierten Schritt den Boden zu berühren. Die Passanten im Flur machten der Mord-Sith augenblicklich Platz; bereits in einiger Entfernung drückten sie sich seitlich an die Wände. Nicht wenige verschwanden in den Ladengeschäften, um sie hinter geschlossenen Schaufenstern zu beobachten. Jeder starrte die zierliche Frau in dem dunklen Kleid an, die von zwei Palastwachen in polierten Rüstungen und glänzenden Kettenpanzern abgeführt wurde. Ann vernahm das Klirren metallener Rüstungen hinter ihrem Rücken, als sich ihnen auch die übrigen Soldaten anschlossen.
Sie bogen in einen schmaleren Seitenkorridor ein, der von einen vorspringenden Balkon stützenden Säulen gesäumt wurde. Einer der Soldaten eilte ein Stück voraus, um eine Tür aufzusperren. Ehe sie sich’s versah, war die Gruppe, wie Wein durch einen Trichter, durch die winzige Tür geströmt.
Der dahinterliegende Gang war dunkel und von beklemmender Enge – nichts erinnerte mehr an die marmorverkleideten Flure, die die meisten Besucher zu Gesicht bekamen. Ein kurzes Stück den Flur entlang bogen sie auf eine Treppe ein, deren Eichentritte bei jedem Schritt knarrten. Einige Soldaten reichten ihre Laternen nach vorne durch, so daß Nyda ihnen den Weg leuchten konnte. Aus dem Dunkel unten hallte ihnen das Echo der vielen Schritte entgegen.
Am Fuß der Stufen geleitete Nyda sie durch labyrinthartige, völlig verdreckte Gänge aus nacktem Mauerwerk. Ann drängte sich die Frage auf, wie viele Menschen bereits diese Wege entlanggeführt worden und auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Richards Vater Darken Rahl sowie dessen Vater Panis waren begeisterte Anhänger der Kunst des Folterns gewesen; diesen Männern bedeutete ein Menschenleben nichts. Zwar hatte Richard dies alles inzwischen geändert, nur weilte er derzeit – im Gegensatz zu Nathan – nicht im Palast.
Ann kannte Nathan nun schon fast eine Ewigkeit – seit nahezu eintausend Jahren. Den größten Teil dieser Zeit hatte sie ihn kraft ihres Amtes als Prälatin in seinen Gemächern hinter Schloß und Riegel gehalten, da man Propheten unter keinen Umständen frei herumlaufen lassen durfte. Jetzt aber war er frei, und damit nicht genug: Es war ihm sogar gelungen, sich im Palast – dem Stammsitz der Geschlechtes Rahl – eine Stellung von höchster Machtbefugnis zu verschaffen. Er war ein Vorfahr Richards und ein Rahl – und er war ein Zauberer.
Auf einmal erschien Ann ihr Plan doch reichlich töricht und naiv: Sie hatte geglaubt, den Propheten einfach überrumpeln, ihn in einem unbedachten Augenblick erwischen und ihm den Halsring wieder umlegen zu können. Die Gelegenheit dazu würde sich gewiß ergeben, und dann wäre er wieder in ihrer Gewalt.
»Erwartet Nathan uns bereits?«, fragte sie, um einen unbekümmerten Ton bemüht. »Ich würde wirklich sehr gerne mit ihm reden; es gibt einige Dinge, die wir dringend besprechen müssen.«
An einem ungemütlich engen Quergang, der sich rechts in das Felsgestein bohrte, führte die schweigsame Nyda sie noch tiefer in die Dunkelheit ...
Vor einer eisenbeschlagenen Tür linker Hand wartete ein kräftiger Soldat in Uniform, der aus demselben Stein gemeißelt schien wie die Wände. Unter anderen Umständen hätte Ann ihn möglicherweise für einen gar nicht übel aussehenden Burschen gehalten.
»Nyda«, brummte er. Es sollte wohl eine Begrüßung sein. Als er nach seiner höflichen Verbeugung den Blick wieder hob, fragte er mit tiefer Stimme: »Was haben wir denn hier?«
»Eine Gefangene für Euch, Captain Lerner.« Nyda packte den losen Stoff an der Schulter ihres Kleides, zerrte Ann nach vorn und präsentierte sie wie einen erlegten Fasan nach erfolgreicher Jagd. »Eine gefährliche Gefangene.«
Der Captain musterte sie abschätzend von Kopf bis Fuß, ehe er seine Augen wieder auf Nyda richtete. »Zauberer Rahl möchte auf keinen Fall, daß sie entkommt; er sagte, sie macht nichts als Ärger.«
Dazu fielen ihr mindestens ein halbes Dutzend passende Erwiderungen ein, Ann zog es jedoch vor, den Mund zu halten.
»In dem Fall wäre es besser, Ihr begleitet uns«, sagte Captain Lerner, »und sorgt persönlich dafür, daß sie sicher hinter den Schilden weggeschlossen wird.«
Nyda legte wartend den Kopf auf die Seite; augenblicklich sprangen zwei ihrer Soldaten vor und rissen Fackeln aus den Halterungen. Zu guter Letzt hatte auch der Captain den richtigen Schlüssel gefunden – aus dem guten Dutzend, das er an einem Ring bei sich trug. Der Riegel schnellte mit einem scharfen Klirren zurück, dessen Hallen die niedrigen Gänge in der Nähe füllte. In Anns Ohren klang es, als werde eine Glocke für die Verdammten angeschlagen.
Mit einem angestrengten Ächzen zerrte der Captain an der schweren Tür, bis diese sich widerstrebend öffnen ließ.
Er nahm eine kleine Laterne aus einer Nische, entzündete sie an einer danebenstehenden Kerze, und ging vor, um eine weitere Tür aufzusperren. Hinter der nächsten Tür wurde der Gang noch niedriger und war jetzt kaum breiter als Anns Schultern. Sie versuchte ihren rasenden Puls zu beruhigen, während sie dem unebenen, gekrümmten Durchgang folgte. Nyda und die Wachen mußten, die Arme eng am Körper, beim Gehen die Köpfe einziehen.
»Hier ist es«, sagte Captain Lerner und blieb stehen.
Er hielt seine Laterne hoch und spähte durch die winzige, in die Tür eingelassene Öffnung. Beim zweiten Versuch fand er den richtigen Schlüssel, schloß auf und reichte Nyda seine kleine Laterne, um den Riegel mit beiden Händen zurückziehen zu können. Ächzend zog er unter Aufbietung seines ganzen Körpergewichts daran, bis sich die Tür schließlich knirschend einen Spalt weit öffnen ließ. Durch diesen zwängte er sich und verschwand im Innern der Zelle.
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