Nathan schmunzelte über ihren privaten Scherz. »Ich sagte doch, sie sind immun gegen Magie.«
»Nathan«, warf Richard ein, »ich verstehe noch immer nicht ...«
»Komm her, meine Teure«, unterbrach ihn Nathan, drehte sich um und machte ein Zeichen. Sogleich kam Jennsen hinter dem Gebäude hervorgelaufen und schlang ihre Arme um Richard.
»Ich bin so froh, daß du wohlauf bist«, sagte sie. »Du bist hoffentlich nicht böse auf mich. Gerade warst du mit den Männern aufgebrochen, da tauchte Nathan plötzlich im Wald auf. Ich hab ihn sofort wiedererkannt – aus dem Palast des Volkes in D’Hara. Ich wußte, er ist ein Rahl, also habe ich ihm unsere Situation geschildert. Er und Ann haben sofort ihre Hilfe angeboten, und dann sind wir so schnell es ging hierher geeilt.«
Jennsen sah Richard abwartend in die Augen, bis er ihr schließlich mit einer Umarmung ihre Besorgnis nahm.
»Das hast du ganz richtig gemacht«, erklärte er. »Du hast in einer unvorhersehbaren Situation deinen Verstand gebraucht.«
Jetzt, da der Höhepunkt des Gefechts vorüber war, fühlte er sich schwindliger als je zuvor – so sehr, daß er sich bei Tom aufstützen mußte.
Nathan legte Richards anderen Arm über seine Schulter. »Wie ich höre, hast du Schwierigkeiten mit deiner Gabe. Vielleicht kann ich dir helfen.«
»Dafür ist keine Zeit. Nicholas der Schleifer hat Kahlan in seiner Gewalt. Ich muß sie finden, sonst ...«
»Spiel nicht den Narren«, fiel Nathan ihm ins Wort. »Deine Gabe wieder ins Lot zu bringen wird nicht lange dauern. Du brauchst die Hilfe eines Zauberers, um wieder über sie verfügen zu können – so wie letztes Mal, als ich dir geholfen habe –, oder du wirst überhaupt niemandem mehr helfen können. Komm jetzt, wir bringen dich in eines dieser Häuser, wo es ruhig ist. Dann kann ich dich wenigstens von dieser einen Sorge erlösen.«
Natürlich wußte er, daß Nathan Recht hatte. Er hätte vor Erleichterung weinen mögen, daß ihm endlich jemand half. Wer, wenn nicht ein Zauberer, konnte ihm helfen, seine Gabe wieder unter Kontrolle zu bekommen?
Richard hatte auf eine solche Gelegenheit nicht einmal mehr zu hoffen gewagt. »Aber beeil dich bitte«, bat er Nathan.
Nathan setzte das ihm eigene, typisch rahlsche Lächeln auf. »Komm jetzt. Deine Gabe wird im Handumdrehen wiederhergestellt sein.«
»Danke, Nathan«, murmelte Richard, während er sich von dem hünenhaften Propheten durch eine nahe Tür helfen ließ.
Nathan war es gewesen, der Richard damals über seine Gabe aufgeklärt hatte, der ihm erklärt hatte, daß Kriegszauberer wie Richard nicht wie gewöhnliche Zauberer waren. Statt das Energiezentrum in ihrem Innern anzuzapfen, steuerten sie ihren Willen über ihre Gefühle.
Es war ihm nicht leicht gefallen, diese Vorstellung zu begreifen. Nathan war es auch gewesen, der Richard erklärt hatte, seine Kraft funktioniere über seinen Zorn.
»Verliere dich in meinen Augen«, forderte Nathan ihn mit ruhiger Stimme auf.
Richard wußte, er mußte versuchen, seine Sorge um Kahlan abzustreifen.
Bemüht, so gleichmäßig wie möglich zu atmen, um nicht husten zu müssen, blickte er in Nathans himmelblaue Augen. Nathans Blick schien ihn in sich hineinzuziehen; es war als stürze er nach oben in einen wolkenlosen, blauen Himmel. Sein Atem ging in abgehackten Stößen, und das ganz ohne sein Zutun. Er spürte Nathans gebieterische Worte mehr, als daß er sie hörte.
»Rufe den Groll herbei, Richard. Rufe deinen Zorn herbei. Rufe deinen Haß und deine Wut.«
Ihm drehte sich der Kopf. Er konzentrierte sich darauf, seinen Ärger herbeizurufen, dachte an Nicholas, der Kahlan in seiner Gewalt hatte, und hatte keine Mühe, seinen Zorn abzurufen.
Er spürte eine zweite Kraft innerhalb seiner eigenen, so als sei er im Begriff zu ertrinken, während jemand anderes versuchte, seinen Kopf über Wasser zu halten.
Plötzlich trieb er allein an einem dunklen, stillen Ort. Zeit schien jede Bedeutung verloren zu haben.
Er mußte rechtzeitig zu Kahlan gelangen; er war ihre einzige Hoffnung.
Richard schlug die Augen auf. »Tut mir leid, Nathan, aber...«
Nathan war schweißgebadet. Ann, die neben ihm saß, hielt seine linke Hand, Nathan seine rechte. Richard fragte sich, was geschehen sein mochte.
Er sah von einem Gesicht zum anderen. »Was ist passiert?«
Die beiden machten ein betrübtes Gesicht. »Wir haben alles versucht«, sagte Nathan leise. »Es tut mir leid, aber wenigstens haben wir es versucht.«
Richard runzelte die Stirn. Sie hatten doch erst vor wenigen Augenblicken angefangen.
»Was soll das heißen? Wieso gebt ihr schon so schnell auf?«
Nathan warf Ann einen Seitenblick zu. »Wir sind bereits seit zwei Stunden dabei, Richard.«
»Zwei Stunden?«
»Ich fürchte, ich kann nichts mehr für dich tun, Junge.« Der Klang seiner Stimme ließ keinen Zweifel daran, daß es ihm ernst war.
Richard fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Aber was redest du da? Du selbst hast mir letztes Mal, als ich dieses Problem hatte, erklärt, es ließe sich bei einer Sitzung mit einem Zauberer wieder richten. Du sagtest, für einen Zauberer wäre es eine Kleinigkeit, diese Entfremdung von der Gabe zu beheben.«
»So sollte es eigentlich auch sein. In deinem Fall jedoch hat sich die Gabe zu einem Knoten verschlungen, der dich innerlich zu erdrosseln droht.«
»Aber du bist doch ein Prophet, ein Zauberer; Ann, du bist Hexenmeisterin. Ihr beide zusammen wißt wahrscheinlich mehr über Magie als irgend jemand sonst in den letzten paar tausend Jahren.«
»Richard, seit dreitausend Jahren ist niemand mehr geboren worden, der so ist wie du. So viel wissen wir also gar nicht über die Funktionsweise deiner speziellen Spielart der Gabe.« Ann unterbrach sich, um ein paar verirrte graue Haarsträhnen in den Dutt an ihrem Hinterkopf zu stecken. »Wir haben es versucht, Richard. Ich schwöre es, wir haben beide unser Bestes gegeben. Selbst wenn ich seine Kraft mit Hilfe meines Talents unterstütze, sind Nathans Möglichkeiten, dir zu helfen, mit deiner Gabe überfordert. Was wir auch versucht haben, es hat nichts genützt. Wir können dir nicht helfen.«
»Was soll ich also tun?«
Nathan wandte seine tiefblauen Augen ab. »Deine Gabe ist im Begriff, dich umzubringen, Richard. Die Ursache dafür ist mir nicht bekannt, ich fürchte aber, sie ist bereits in eine Phase eingetreten, in der sie nicht mehr zu beherrschen und damit tödlich ist.«
Richards Blick ging von einem bestürzten Gesicht zum anderen. »Schätze, im Grunde spielt es ohnehin keine Rolle mehr«, meinte er schließlich bedrückt.
Nathan runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, es spielt keine Rolle mehr?«
Richard erhob sich und tastete mit der Hand nach der Wand, um sich daran abzustützen. »Ich bin vergiftet worden. Das Gegenmittel wurde vernichtet ... es besteht keine Hoffnung mehr auf Heilung. Ich fürchte, meine Zeit ist abgelaufen. Welch eine Ironie auf Kosten meiner Gabe – etwas anderes wird mich zuerst umbringen.«
Ann stand auf und faßte ihn mit beiden Händen an den Oberarmen. »Richard, im Augenblick können wir dir nicht helfen, aber du könntest dich doch wenigstens ausruhen. Wir wissen nicht, was mit deiner Gabe aus dem Lot geraten ist, aber wir können daran arbeiten. Deshalb brauchen wir dich hier, damit wir deine Kraft sofort wieder richten können, sobald wir eine Lösung gefunden haben.«
»Aber begreift Ihr nicht? So lange werde ich gar nicht mehr leben. Das Gift ist im Begriff, mich umzubringen. Dieser Prozeß verläuft in drei Phasen, in deren dritte – den Verlust der Sehkraft – ich im Moment gerade eintrete. Ich habe nicht mehr lange zu leben; deshalb muß ich die mir noch verbliebene Kraft nutzen, um Kahlan zu finden. Ich bin nicht mehr imstande, euch anzuführen, aber wenn es mir gelingt, sie aus Nicholas’ Gewalt zu befreien, wird sie den Kampf an meiner statt anführen können.«
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