»Zedd, meint Ihr, er hatte auch mit den anderen Sachen recht? Glaubt Ihr, es gab wirklich Drachen, und wir haben sie nur vergessen? Hat Richard damit recht, dass die Welt, wie wir sie kennen, langsam ins Reich der Legende verschwindet?«
Zedd seufzte. »Ich weiß es nicht, meine Liebe, wirklich nicht. Ich wünschte mir, der Junge würde sich irren, aber schon vor langer Zeit habe ich die Erfahrung gemacht, dass man nicht gegen ihn setzen sollte.«
Nicci lächelte vor sich hin. Die Erfahrung hatte sie auch gemacht.
»Nicci«, sagte Zedd zögerlich und fuchtelte vage herum auf der Suche nach Worten, »Ihr seid ... also, Ihr schätzt Richard genauso sehr wie ich und fühlt die gleiche Hingabe und Treue zu ihm. In vielerlei Hinsicht scheint Ihr fast wie ...« Er nahm die Hände hoch und ließ sie wieder fallen. »Ich weiß auch nicht.«
»Zedd, Ihr, Cara, ich - wir alle lieben Richard, wenn Ihr das sagen wollt.«
»Ich glaube, darum geht es. Ich kann mich nicht an Kahlan erinnern, aber ich stelle mir vor, ich muss von Euch so denken, wie ich mir nur vorstellen kann, von ihr gedacht zu haben, also dass Ihr mehr seid als nur eine Vertraute, die im gleichen Kampf Seite an Seite mit ihm steht.«
Nicci fühlte sich, als hätte sie der Blitz getroffen. Sie wagte nicht einmal über den emotionalen Sprengstoff dieser Worte nachzudenken. Mit großer Mühe bewahrte sie die Fassung, legte nur die Stirn in Falten und fragte schließlich: »Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Wie Cara und Richard halte ich sehr viel von Euch, insbesondere im Vergleich zu dem, was ich am Anfang über Euch dachte. Ich vertraue Euch, sagen wir einmal, wie ich einer Schwiegertochter vertrauen würde.«
Nicci schluckte. »Danke, Zedd. Angesichts meiner Herkunft und angesichts dessen, was ich selbst am Anfang dachte, bedeutet mir das mehr, als Ihr Euch vorstellen könnt. Menschen zu haben ...«
Sie räusperte sich und schaute schließlich auf. Obwohl seine Worte sie getroffen hatten, sah sie darin nicht die eigentliche Bedeutung, sondern eher die Vorrede zu etwas Wichtigerem. »Wollt Ihr mir etwas mitteilen?«
Er nickte. »Ich habe noch etwas erfahren. Etwas ziemlich Beunruhigendes. Ich würde sonst niemandem davon erzählen, aber, also, außer Richard selbst gibt es keinen, dem ich mehr vertrauen würde als Euch und Cara. Ihr beide seid im Laufe der Zeit zu mehr als Freunden geworden. Ich möchte nur einfach zum Ausdruck bringen, wie viel...«
Sein Satz verhallte unbeendet, und er starrte ins Leere. Nicci legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Wir bekommen ihn zurück, Zedd, das verspreche ich Euch. Aber Ihr habt recht, was unsere Gefühle für ihn angeht. Richard hat mein Leben vollständig auf den Kopf gestellt. Wenn es etwas gibt, über das Ihr reden wollt, würde ich meinen, Ihr könnt Cara und mir fast so sehr vertrauen wie Richard. Wollt Ihr darauf hinaus? Wir empfinden das Gleiche für ihn und unsere Sache. Ich ... nun« - sie legte die Fingerspitzen aneinander -, »Ihr wisst, was ich meine.«
Nicci spürte, wie sie errötete, weil sie befürchtete, zu viel preisgegeben zu haben.
»Was ich versuche zu sagen«, fuhr Zedd schließlich fort, »ist Folgendes: Ich brauche eure Hilfe, und ich wollte euch sagen, wie viel ihr beide mir bedeutet - denn diese Dinge enthülle ich euch nicht leichtfertig oder aus einer Laune heraus. Mein ganzes Leben lang habe ich Geheimnisse gewahrt, einfach, weil sie gewahrt werden mussten. Das ist nicht sehr einfach, aber so ist es nun einmal. Die Zeiten haben sich jedoch geändert, und jetzt kann ich bestimmtes Wissen nicht mehr für mich behalten. Es steht so viel auf dem Spiel, mehr als jemals zuvor.«
Nicci nickte und wandte dem Zauberer ihre volle Aufmerksamkeit zu. »Ich verstehe. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um Euer Vertrauen in mich nicht zu enttäuschen.«
Zedd schürzte die Lippen. »Dieses Buch, Das Buch der Umkehrungen und Dopplungen, war an einem Ort versteckt, von dessen Existenz außer mir niemand weiß. Es befand sich in den Katakomben unter der Burg.«
Nicci blickte Cara an. »Zedd«, fragte sie, »wollt Ihr sagen, unter der Burg gebe es Gebeine? Und zudem Bücher?«
Zedd nickte. »Eine Menge Bücher. Dort habe ich Das Buch der Umkehrungen und Dopplungen gefunden.«
Er trat ein paar Schritte zur Seite und starrte zu den Fenstern, in denen das Licht des Sturms jenseits des Eindämmungsfeldes flackerte. »Niemand, den ich kenne, wusste je von dem Ort der Gebeine dort unten. Ich habe ihn als Junge gefunden. Seit Urzeiten war dort keiner mehr gewesen. Im Staub Tausender von Jahren ließ sich nicht ein einziger Fußabdruck entdecken. Ich war der Erste, der seine Spuren in diesem uralten Staub hinterließ. Die Bedeutung dieser Tatsache brauchte man mir nicht erst erklären. Als Junge machten mir diese Katakomben eher Angst. Ich war aufgeregt, weil ich einen Weg zurück in die Burg suchte. Als ich die Katakomben entdeckte, war mir instinktiv klar, dass sie nicht ohne guten Grund verborgen worden waren, und so sehr ich manchmal in Versuchung geriet, habe ich doch nie mit jemandem darüber gesprochen. Es fühlte sich fast an, als hätte mir der Ort Zutritt gewährt, aber nur im Tausch gegen mein Schweigen. Ich habe nicht nur meine Verantwortung ernst genommen, ich fühlte mich für den Schutz dieses unentdeckten Ortes zuständig. Immerhin wurden dort die Überreste vieler Menschen aufbewahrt, vielleicht sogar meiner eigenen Vorfahren. Ich wusste, irgendwer würde diesen Fund für seine Zwecke ausnutzen, und das wollte ich nicht, denn diejenigen, die ihn verborgen hatten, betrachteten ihn offensichtlich als eine Art geweihten Ort.
Zusätzlich fühlte ich mich schuldig, weil ich den Frieden dieser Grabstätte gestört hatte, denn ursprünglich hatte ich nur einen Weg gesucht, der Strafe zu entgehen, die mir blühte, weil ich die Burg ohne Erlaubnis verlassen hatte. Ich war aus der Burg geschlichen, wollte zum Markt in Aydindril und mir den aufregenden Tand anschauen, der dort verhökert wurde. Das erschien mir so viel faszinierender als die langweiligen Studien, mit denen ich meine Zeit verbringen sollte.
Nach meiner zufälligen Entdeckung stellte ich vorsichtig Fragen und fand heraus, dass nicht einmal die alten Zauberer von diesem Ort unter der Burg wussten. Im Laufe der Zeit wurde mir klar, diese Katakomben wurden nicht einmal dort unten vermutet. Als Junge musste ich viel studieren, was fast meine ganze Zeit auffraß. Damals lebten noch viele Menschen in der Burg, und bei der Fülle meiner Aufgaben hatte ich kaum Gelegenheit, dort unten mehr als ein paar Stunden - insgesamt - zu verbringen. Rasch fand ich heraus, dass es in den Katakomben viele der gleichen Bücher wie oben gab, daher hielt ich die Entdeckung für nicht sehr wichtig.«
Er lächelte versonnen. »Ich betrachtete mich als großen Entdecker, der uralte Schätze gefunden hatte. Diese Schätze bestanden jedoch überwiegend aus Gebeinen und Büchern. Schon hier oben in der Burg gab es endlos viele langweilige Bücher, die ich lesen musste, und noch mehr Bücher ließen mich eher kalt. Aufregend war hingegen die Vorstellung, auf einen entworfenen Bann, der in Bernstein gefangen ist, oder in Juwelen gefasste Flüche zu stoßen. Danach suchte ich allerdings in den Katakomben vergeblich. Ich fand eben nur Knochen und alte Bücher.
Dort unten gibt es Räume über Räume, die mit verstaubten Bücher vollgestopft sind. Ich hatte nie genug Zeit, diese Räume zu erkunden. So kann ich nicht einmal abschätzen, wie viele Bücher dort verborgen sind. Ich habe lediglich eine kleine Auswahl angesehen. Wie ich bereits erwähnte, kannte ich manche schon aus der Burg, und von den anderen haben mich damals wenige besonders beeindruckt, außer einigen wie eben Das Buch der Umkehrungen und Dopplungen .
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