Was soll ich dich fragen? , dachte Thrall.
Es gab einen seltsamen Gefühlsausbruch, fast wie ein leises, warmes Lachen. Die Frage zu kennen ist Teil deiner Prüfung.
Thrall fühlte Panik in sich aufsteigen, dann beruhigte er sich, wie Drek’Thar es ihn gelehrt hatte. Eine Frage erschien ruhig in seinem Geist.
Wirst du mir deine Macht leihen, wenn ich sie benötige, zum Wohle des Clans und jener, denen er helfen will?
Bitte darum , kam die Antwort.
Thrall begann mit den Füßen zu stampfen. Er fühlte die Kraft in sich aufsteigen, wie sie es immer tat, aber zum ersten Mal war sie nicht von Blutgier begleitet. Sie war warm und stark, und Thrall fühlte sich so hart wie die Gebeine der Erde selbst. Er nahm kaum wahr, dass der Boden unter ihm erbebte, und erst als ein süßer Geruch seine Nase erfüllte, öffnete er die Augen.
Die Erde war in gewaltigen Rissen aufgebrochen, und auf jedem Zoll des Felsens blühten Blumen. Thrall klappte der Mund auf.
Ich habe mich bereit erklärt, dir meine Hilfe zu leihen, zum Wohle des Clans und jener, denen er helfen will. Ehre mich, und du wirst mein Geschenk stets erhalten.
Thrall fühlte, wie die Kraft sich zurückzog, und er zitterte vor Schreck über das, was er gerufen und kontrolliert hatte. Aber ihm blieb nur ein Augenblick zum Staunen, denn jetzt meldete sich eine andere Stimme in seinem Kopf.
Ich bin der Geist der Luft, Thrall, Sohn des Durotan. Ich bin die Winde, die die Erde wärmen oder kühlen. Ich fülle deine Lungen und erhalte dich am Leben. Ich trage die Vögel und die Insekten und die Drachen, und alle Dinge, die den Mut haben, in meine Höhen aufzubrechen. Frage mich.
Nun wusste Thrall, was er zu tun hatte, und stellte die gleiche Frage. Die Kraft, die ihn erfüllte, war dieses Mal anders, leichter, freier. Obwohl es ihm verboten war zu sprechen, konnte er nichts gegen die Freude tun, die aus seiner Seele hervorsprudelte. Er fühlte, wie ihn warme Winde streichelten und alle Arten köstlicher Gerüche an seine Nase trugen, und als er die Augen öffnete, schwebte er hoch über dem Boden. Drek’Thar war so tief unter ihm, dass er aussah wie die Stoffpuppe eines Kindes. Aber Thrall hatte keine Angst. Der Geist der Luft würde ihn halten. Er hatte ihn gefragt, und er hatte geantwortet.
Sanft schwebte er wieder hinab, bis er den festen Boden unter seinen Füßen fühlte. Der Geist der Luft streichelte ihn mit sanften Fingern, dann verschwand er.
Wieder wurde Thrall von Kraft erfüllt, aber dieses Mal war sie beinahe schmerzhaft. Hitze wütete in seinem Bauch, und der Schweiß brach aus seiner grünen Haut. Er fühlte einen beinahe überwältigenden Drang, in eine nahegelegene Schneebank zu springen. Der Geist des Feuers war da, und Thrall fragte ihn um Hilfe. Er erhielt Antwort.
Es gab ein lautes Knistern über seinem Kopf, und Thrall blickte erschrocken auf. Die Blitze tanzten ihren gefährlichen Reigen am Nachthimmel. Thrall wusste, dass er ihnen gebieten konnte. Die Blumen, die aus dem Boden hervor geblüht waren, gingen in Flammen auf, krümmten sich und verbrannten innerhalb weniger Herzschläge zu Asche. Dies war ein gefährliches Element, aber Thrall dachte an die guten Feuer, die seinen Clan am Leben erhielten. Sofort erloschen die Flammen und bildeten sich in einem kleinen, begrenzten Bereich neu, der ihm angenehme Wärme spendete.
Thrall dankte dem Geist des Feuers und spürte, wie dessen Präsenz ihn verließ. Er fühlte sich ausgelaugt von all diesen seltsamen Energien, die nacheinander seinen Körper heimgesucht und wieder verlassen hatten, und war dankbar, dass es nur noch ein Element gab, dem er zu begegnen hatte.
Der Geist des Wasser floss in ihn. Er beruhigte und kühlte den Brand, den das Feuer zurückgelassen hatte, und Thrall hatte eine Vision des Ozeans, obwohl er noch nie zuvor das Meer gesehen hatte. Er griff mit seinem Geist hinaus, um die dunklen Tiefen der See zu erforschen. Etwas Kaltes berührte seine Haut. Er öffnete die Augen und sah, dass dichter Schnee zu fallen begonnen hatte. Mit einem Gedanken verwandelte er ihn in Regen und ließ ihn dann ganz aufhören. Der Trost des Geistes des Wassers in seinem Inneren beruhigte und stärkte Thrall, und er ließ ihn mit tiefem, von ganzem Herzen kommendem Dank gehen.
Er blickte zu Drek’Thar hinüber, aber der Schamane schüttelte den Kopf. »Deine Prüfung ist noch nicht beendet«, sagte er.
Und dann wurde Thrall plötzlich von Kopf bis Fuß von einer solchen Woge der Kraft erschüttert, dass er laut aufkeuchte. Natürlich. Das fünfte Element.
Der Geist der Wildnis.
Wir sind der Geist der Wildnis, die Essenz und die Seelen aller Dinge, die leben. Wir sind die Mächtigsten von allen, mächtiger als das Beben der Erde, die Winde der Luft, die Flammen des Feuers und die Fluten des Wassers. Sprich, Thrall, und sag uns, warum du glaubst, dass du unsere Hilfe verdient hast.
Thrall konnte nicht atmen. Er wurde von der Kraft überwältigt, die in ihm brüllte. Er zwang seine Augen offen zu bleiben und erblickte bleiche Gestalten, die ihn umwirbelten. Eine Gestalt war ein Wolf, eine andere eine Ziege, wieder eine andere ein Ork und ein Mensch und ein Hirsch. Er erkannte, dass alle lebenden Wesen Geister hatten, und er fühlte, wie die Verzweiflung in ihm aufstieg, als er daran dachte, dass er sie alle würde erspüren und kontrollieren müssen.
Aber schneller, als er es sich hätte vorstellen können, füllten ihn die einzelnen Geister und verließen ihn dann nacheinander, um dem nächsten Geist Platz zu machen. Thrall fühlte sich einer Ohnmacht nahe, aber er versuchte, sich zur Konzentration zu zwingen und jeden einzelnen Geist mit Respekt anzusprechen. Es wurde unmöglich, und er sank auf die Knie.
Ein weiches Geräusch erfüllte die Luft, und Thrall kämpfte darum, seinen Kopf zu heben, der sich schwer wie ein Stein anfühlte.
Sie schwebten nun ruhig um ihn herum, und er wusste, dass man ihn geprüft und für würdig befunden hatte. Ein geisterhafter Hirsch tänzelte um ihn herum, und Thrall wusste, dass er nie wieder in eine Hirschkeule würde beißen können, ohne ihren Geist zu fühlen und ihm für die Nahrung zu danken, die er ihm schenkte. Er fühlte eine Verwandtschaft mit jedem Ork, der jemals geboren worden war, und selbst der menschliche Geist war mehr von Tarethas süßer Präsenz erfüllt als von Blackmoores dunkler Grausamkeit. Alles war hell, selbst wenn es sich manchmal mit der Finsternis verband. Alles Leben war miteinander verbunden, und jeder Schamane, der in das Geflecht eingriff, ohne Vorsicht und Sorge und den größten Respekt für seinen Geist zu zeigen, war dazu verdammt zu scheitern.
Dann waren die Geister verschwunden. Thrall fiel vollkommen erschöpft nach vorne. Er fühlte Drek’Thars Hand auf seiner Schulter. Sie schüttelte ihn. Der alte Schamane half Thrall sich aufzusetzen. Die junge Ork hatte sich noch nie in seinem Leben so schwach gefühlt.
»Gut gemacht, mein Kind«, sagte Drek’Thar, und seine Stimme zitterte vor Bewegtheit. »Ich hatte gehofft, sie würden dich annehmen … Thrall, du musst wissen, dass es Jahre her ist – nein, Jahrzehnte! – , seit die Geister einen neuen Schamanen angenommen haben. Sie waren wütend wegen des dunklen Pakts unserer Hexer, ihrer Entartung der Magie. Es gibt jetzt nur noch sehr wenige Schamanen, und alle sind so alt wie ich. Die Geister haben auf jemanden gewartet, der würdig ist, ihre Geschenke zu erhalten. Du bist der Erste seit langer, langer Zeit, der in dieser Weise geehrt wurde. Ich hatte befürchtet, sie würden sich auf immer weigern und nie wieder mit uns zusammenwirken, aber … Thrall, ich habe in meinem Leben noch nie einen so starken Schamanen gesehen. Und du stehst erst am Anfang.«
»Ich … ich dachte, ich würde mich so stark fühlen«, stammelte Thrall mit schwacher Stimme. »Aber stattdessen … ich bin so gedemütigt …«
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