Am Abend des fünften Tages war die Eigengeschwindigkeit der Heißen Nadel fast auf Null reduziert worden, und die Ringmauer war eine große schwarze Wand vor den Sternen.
Louis stand nicht unter Strom. Heute hatte er sich dazu gezwungen, auf den Wonnestecker zu verzichten; und dann hatte ihm der Hinterste mitgeteilt, daß der Wonnestrom abgeschaltet blieb, bis sie sicher gelandet waren. Louis hatte nur mit den Achseln gezuckt. Das würde nicht mehr lange dauern.
»Die Sonne fackelt«, sagte der Hinterste.
Louis blickte hoch. Das Meteorenschutzschild blockierte den Blick auf die Sonne. Er sah nur die Sonnenkorona, ein flammender Kreis um eine schwarze Scheibe. »Geben Sie uns ein Bild davon«, sagte er.
Er sah sie jetzt in dem rechtwinkeligen »Bullauge« durch einen Dunkelfilter als riesige, gemusterte Scheibe. Diese Sonne war etwas kleiner und kälter als Sol, die irdische Sonne. Es gab keine Sonnenflecken, keine Schlieren, nur einen helleren Streifen in der Nähe ihres Mittelpunktes. »Der Blickwinkel ist nicht günstig«, sagte der Hinterste. »Wir sehen die Sonnenfackel direkt von oben.«
»Vielleicht ist die Sonne seit einigen Jahren instabil«, sagte Chmeee. »Das könnte eine Erklärung sein, warum sie nicht mehr die Mittelachse der Ringwelt bildet.«
»Möglich. Die Aufzeichnungen der Lying Bastard registrierten ebenfalls eine Sonnenfackel bei ihrem ersten Anflug auf die Ringwelt; aber dann blieb sie fast das ganze Jahr über, das sie auf dem Artefakten verbrachten, ruhig und stabil.« Die Köpfe des Hintersten schwebten über der Schaltkonsole. »Seltsam. Die magnetischen Ströme.«
Die schwarze Scheibe versank hinter dem schwarzen Rand der Ringmauer.
»Die Magnetmuster dieses Sternes sind sehr ungewöhnlich«, sagte der Hinterste.
Louis sagte: »Dann ändern Sie den Kurs, damit wir noch eine Messung vornehmen können.«
»Das gehört nicht zu unserem Expeditionsauftrag. Wir sammeln keine Meßdaten.«
»Sind Sie nicht neugierig?«
»Nein.«
Der Abstand betrug keine zehntausend Meilen mehr. Aus dieser Entfernung schien die schwarze Wand so gerade, als wäre sie mit einem Lineal gezogen. Die Dunkelheit und die Geschwindigkeit löschte alle Details. Der Hinterste hatte den Teleskopschirm auf den Empfang von infrarotem Licht eingeschaltet, aber das half nicht viel. oder etwa doch? Da waren Schatten, die sich am Fuß der Ringmauer abzeichneten — kühle Dreiecke, die zwischen dreißig und vierzig Meilen hoch waren, als ob irgend etwas auf der inneren Seite der tausend Meilen hohen Ringwand das Sonnenlicht reflektieren würde. Und da war noch eine dunklere, kühlere Linie, die sich am Fuß der Ringmauer entlangzog und sich von links nach rechts bewegte.
Chmeee fragte höflich: »Docken wir an oder schweben wir nur?«
»Wir schweben, um die Lage zu erkunden.«
»Der Schatz gehört Ihnen. Sie können ihn lassen, wo er ist, wenn Ihnen die Sache nicht geheuer ist.«
Der Hinterste war ruhelos. Mit seinen Beinen klammerte er sich an die Pilotenbank. Muskeln zuckten auf seinem Rücken. Chmeee war ganz entspannt; er schien sich in seiner Haut wohl zu fühlen. »Nessus hatte einen Kzin als Piloten. Es gab Zeiten, wo er sich vollkommen auflöste in seiner Angst. Sie dürfen sich das nicht erlauben. Oder haben Sie eine automatische Landevorrichtung, während Sie sich im Stasisfeld verstecken?«
»Aber wenn unvorhersehbare Ereignisse eintreten sollten? Nein. Ich kann mich nicht auf die Automatik verlassen.«
»Dann müssen Sie das Schiff schon selbst steuern. Also landen Sie, Hinterster!«
Heiße Nadel drehte die Nase nach unten und beschleunigte.
Es dauerte fast zwei Stunden, ehe das Schiff die Umdrehungsgeschwindigkeit der Ringwelt von siebenhundertsiebzig Meilen pro Sekunde erreicht hatte. Inzwischen waren mehrere hunderttausend Meilen der dunklen Wand an ihnen vorbeigerast. Der Hinterste näherte sich vorsichtig dieser Wand, so vorsichtig, daß Louis schon zweifelte, ob er die Landung überhaupt wagen würde. Er verfolgte das Manöver mit großer Gelassenheit. Er stand nicht unter Wonnestrom, hatte diesmal freiwillig darauf verzichtet. Trotzdem gab es für ihn immer noch nichts Wichtigeres auf der Welt als den Wonnestecker.
Aber woher nahm Chmeee seine Geduld? Spürte er seine zurückkehrende Jugend? Ein menschliches Wesen, das noch keine hundert Jahre alt war, hatte das Gefühl, als könnte er sich für alles unglaublich viel Zeit lassen. Reagiert ein Kzin genauso wie ein jugendlicher Mensch? Oder. Chmeee war Berufsdiplomat. Vielleicht konnte er seine Gefühle meisterhaft verbergen.
Die Heiße Nadel balancierte nun auf ihren Schubdüsen unter dem Rumpf. Der Schub von Null komma 992 g paßte ihren Kurs der Kurve der Ringwelt an; wenn man das Schiff sich selbst überließ, würde es jetzt auf einer Tangente in den interstellaren Raum hinausgeschleudert werden. Louis beobachtete, wie die Köpfe des Puppetiers über der Konsole hin- und herzuckten, wie sie Meßanzeigen und Monitoren überprüften, die Louis nicht zu entziffern vermochte.
Die schwarze Linie war jetzt zu einer Reihe von Ringen geworden, die in gleichen, großen Abständen voneinander entfernt lagen. Jeder Ring, der an ihnen vorbeihuschte, hatte einen Durchmesser von hundert Meilen. Bei ihrer ersten Expedition hatten sie sich eine Aufzeichnung ansehen können, wie diese Landehilfe funktionierte. Da hatten sich die Raumschiffe fünfzig Meilen von der Ringmauer entfernt in Warteposition begeben, bis die Ringe sie aus dem freien Fall herausfischten und sie so lange beschleunigten, bis sie die Rotationsgeschwindigkeit der Ringwelt erreicht hatten. Dann hatten die Ringe sie am anderen Ende auf der Rampe des Raumflughafens abgesetzt.
Links und rechts dehnte sich die Mauer bis zu ihren Fluchtpunkten aus. Sie waren jetzt ganz nahe, nur noch ein paar tausend Meilen entfernt. Der Hinterste drückte die Nase der Heißen Nadel noch weiter nach unten, bis sie sich auf gleicher Höhe mit dem Ring-Beschleunigungssystem befand. Hunderttausende von Meilen nichts als Ringe. aber die Bewohner der Ringwelt kannten keine Schwerkraftgeneratoren. Ihre Schiffe und Mannschaften konnten also keine hohen Beschleunigungskräfte aushalten.
»Die Anlage ist stillgelegt. Die Ringe sind ohne Energie. Ich kann auch keine Sensoren für anfliegende Schiffe entdecken«, sagte der Puppetier, einen Kopf in ihre Richtung gedreht. Dann beugte er sich rasch wieder über seine Instrumente.
Und jetzt kam auch die Rampe des Raumhafens in Sicht.
Sie hatte eine Breite von siebzig Meilen. Riesige Kräne wölbten sich anmutig in den Himmel hinauf. Kuppelförmige Gebäude standen am Rand der Landefläche und breite, langestreckte Tieflader. Auch Schiffe waren zu erkennen: vier flachnasige Zylinder, von denen drei beschädigt waren. Ihre Zellen waren aufgebrochen.
»Ich hoffe, Sie haben auch Lichter und Scheinwerfer mitgebracht«, sagte Chmeee.
»Ich möchte noch nicht bemerkt werden.«
»Entdecken Sie Anzeichen dafür, daß unser Schiff beobachtet wird? Wollen Sie ohne Lichter landen?«
»Nein und nein«, erwiderte der Hinterste. Das Buglicht an der Nase der Heißen Nadel flammte auf. Es war ein scharfgebündelter kräftiger Strahl: natürlich auch als Waffe zu verwenden.
Die Raumschiffe auf dem Flugfeld waren riesig. Eine offene Luftschleuse war nur ein schwarzer Punkt auf dem Rumpf. Tausende von Fenstern glitzerten auf den Zylindern wie kandierter Zucker auf einem Honigkuchen. Ein Schiff schien noch unversehrt zu sein. Die anderen hatte man aufgeschnitten und ausgeschlachtet. Ihre Eingeweide waren dem Vakuum und dem Blick fremder Spione hilflos ausgeliefert.
»Nichts warnt uns, nichts greift uns an«, sagte der Puppetier. »Die Temperatur der Gebäude und Maschinen ist genau so hoch wie die der Rampe und der Schiffe — 174° absolut. Der Raumhafen ist schon seit vielen Jahren nicht mehr benützt worden.«
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