Mit Triumphgeheul kamen die Indianer aus ihren Höhlen herab und vollführten einen wilden Siegestanz um die riesigen Kadaver. In der Nacht zerteilten sie die Ungeheuer und schaffien sie fort, nicht etwa, um sie zu essen - das Gift war noch wirksam -, sondern, um dem Au&ommen einer Seuche vorzubeugen. Die riesigen Herzen jedoch, jedes so groß wie ein Kissen, lagen noch dort und schlugen langsam und gleichmäßig mit sanftem Heben und Senken in schrecklichem Eigenleben weiter. Erst am dritten Tag hörten die Ganglien auf zu arbeiten.
Später, wenn mir statt einer Blechkiste wieder ein Schreibtisch zur Verfügung stehen wird und besseres Schreibmaterial als ein abgenutzter Bleistiftstummel und ein letztes zerknittertes Notizbuch, werde ich einen ausführlichen Bericht über die Accala-Indianer schreiben, über unser Leben bei ihnen und die Einblicke in weitere seltsame Verhältnisse des wunderlichen Maple-White-Landes, die sich uns auftaten. Mein Gedächtnis wird mich bis dahin bestimmt nicht im Stich lassen, denn solange ich atme, wird jede einzelne Stunde und jedes Ereignis dieser Zeit genauso klar und scharf in meiner Erinnerung bleiben wie die ersten bewußten Kindheitserlebnisse.
Der Tag wird kommen, an dem ich jene wundersame Mondnacht beschreiben werde, in der ein junger Ichthyosaurus - ein absonderliches Geschöpf, halb wie ein Seehund, halb wie ein Fisch aussehend, mit knöchern überdachten Augen beiderseits der Schnauze und einem dritten Auge oben auf dem Kopf - sich im Netz der Indianer verfing und unser Kanu beinahe umwarf, ehe wir ihn ans Ufer gezogen hatten. In der gleichen Nacht schoß eine grüne Wasserschlange aus dem Schilf hervor und riß den Steuermann aus Challengers Kanu mit sich in die Tiefe. Ich werde auch von dem großen weißen, nächtlichen Lebewesen erzählen - war es ein Säugetier oder Reptil? -, das in einem unzugänglichen Sumpf östlich des Sees lebte und mit schwach phosphoreszierendem Glanz im Dunkeln umherstreifte. Die Indianer hatten derartige Angst vor ihm, daß sie die Gegend sorgsam mieden. Obwohl wir zweimal hingingen und es beide Male sehen konnten, kamen wir nicht durch den tiefen Sumpf hindurch, in dem es hauste. Ich kann daher nur sagen, daß es größer als eine Kuh war und einen starken Moschusgeruch ausströmte. Ich werde auch von dem riesigen Vogel berichten, der Professor Challenger eines Tages bis zu den Höhlen verfolgte - von einem Laufvogel, viel größer als ein Strauß, mit geierartigem Hals und einem Kopf wie der leibhaftige Tod. Noch während Challenger sich über die Stufen in Sicherheit brachte, schlug ein einziger Hieb des scharfen Krummschnabels den Absatz von seinem Stiefel, als wäre er abgemeißelt. Hier aber bewährten sich die modernen Waffen, und die riesige Bestie, zwölf Fuß von Kopf bis Kralle, brach unter Lord Johns Schüssen zusammen. Mit den mächtigen Flügeln flatternd und mit den Beinen um sich schlagend, starrte sie uns aus gelben Augen an. Hoffentlich erlebe ich es, den heimtückischen flachen Schädel dieses Phororachus unter den Jagdtrophäen im Albany zu sehen. Und schließlich werde ich eine Beschreibung des Toxodon geben, des Riesenmeerschweins von zehn Fuß Länge mit vorstehenden Meißelzähnen, das wir erlegten, als es im Morgengrauen am Seeufer trank.
Auch jene herrlichen Sommerabende will ich skizzieren, an denen wir einträchtig am Waldrand im hohen Gras lagen, über uns den tiefolauen Himmel, und das sonderbare Geflügel bewunderten, das über uns dahinzog. Urweltliche Kleintiere kamen aus ihren Erdlöchern hervor, um uns anzustarren, während sich über uns die Zweige unter der Last saftiger Früchte bogen und um uns seltsame und liebliche Blumen die Köpfe aus dem Gras reckten. In hellen Mondnächten lagen wir im Kanu auf der schimmernden Oberfläche des Sees und betrachteten voller Verwunderung und Ehrfurcht die gewaltigen Kreise, die sich nach dem plötzlichen Auftauchen eines phantastischen Ungeheuers ausbreiteten; oder den grünlichen Schimmer tief unten im Wasser, der von irgendeiner seltsamen phosphoreszierenden Kreatur im Reich der Dunkelheit herrührte. Diese Eindrücke und Szenen werde ich eines Tages ausführlich beschreiben.
Aber, werden Sie fragen, weshalb diese Unternehmungen und warum dieser Aufschub, wenn wir doch alle Tag und Nacht nur auf Mittel und Wege sinnen sollten, wie wir wieder zur Außenwelt zurückkehren könnten? Meine Antwort hierauf ist, daß es keinen unter uns gab, der sich nicht ständig mit unserer Befreiung beschäftigt hätte, daß aber unsere Mühen bisher erfolglos geblieben waren. Eine Tatsache hatten wir sehr schnell feststellen müssen: Die Indianer wollten uns nicht helfen. In jeder anderen Hinsicht erwiesen sie sich als unsere Freunde - man könnte fast sagen, als unsere ergebenen Diener. Aber sobald davon die Rede war, daß sie uns bei Herstellung oder dem Transport eines Steges helfen sollten, wenn wir von ihnen Lederriemen haben wollten oder Lianen, um uns Seile zu flechten, stießen wir auf freundliche, aber unbeugsame Ablehnung. Sie lächelten, zwinkerten uns zu, schüttelten den Kopf, und dabei blieb es. Sogar bei dem alten Häuptling stießen wir auf den gleichen hartnäckigen Widerstand. Nur Maretas, der Jüngling, den wir gerettet hatten, blickte uns unschlüssig an und gab uns durch Gebärden zu verstehen, daß er wegen unserer unerfüllten Wünsche traurig sei.
Seit ihrem Sieg über die Affenmenschen betrachteten sie uns als höhere Wesen, die den Tod in den Rohren ihrer rätselhaften Waffen bei sich trugen. Sie glaubten, solange wir bei ihnen wären, bliebe das Glück ihnen treu. Großzügig wurde jedem von uns eine kleine rothäutige Frau und eine eigene kleine Höhle angeboten - wenn wir für immer bei ihnen auf dem Plateau bleiben wollten. Soweit war alles äußerst friedlich verlaufen, wir zweifelten aber nicht daran, daß wir unsere Abstiegspläne zu gegebener Zeit geheimhalten mußten, denn wir hatten allen Grund zu fürchten, daß die Indianer noch im letzten Augenblick versuchen würden, uns mit Gewalt zurückzuhalten.
Trotz der Gefahr seitens der Dinosaurier bin ich in den vergangenen drei Wochen zweimal nachts zu unserem alten Lager hinübergegangen, um mit unserem Neger zu sprechen. Er hielt immer noch die Stellung unterhalb der Klippen. Angespannt spähten meine Augen über die weite Ebene in der Hoffnung, vielleicht in der Ferne die ersehnte Hilfe nahen zu sehen. Aber kahl und leer dehnten sich die unendlichen, kakteenbewachsenen Flächen bis an die ferne Linie des Bambusgestrüpps aus.
»Jetzt müssen Sie bald kommen, Mr. Malone. Ehe noch eine Woche vergehen, Indianer kommen zurück und bringen Seil und holen Sie runter.«
So lauteten jeweils die ermunternden Zurufe unseres treuen Zambo.
Als ich von meinem zweiten Besuch bei Zambo zurückkam - ich war die ganze Nacht weg gewesen -, ereignete sich etwas Seltsames.
Ich war ungefähr noch eine Meile vom Sumpf der Pterodactylen entfernt, als ich plötzlich eine merkwürdige Gestalt auf dem mir inzwischen wohlbekannten Weg entgegenkommen sah. Es war die Gestalt eines Menschen, der von einem korbähnlichen Geflecht aus dünnen Bambusrohren umgeben war, aus dem lediglich die Beine herausragten. Beim Näherkommen glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen: es war Lord John Roxton. Als er mich sah, schlüpfte er unter seiner komischen Schutzhülle hervor und kam lachend, aber gleichzeitig etwas verwirrt auf mich zu.
»So eine Überraschung«, sagte er. »Wer hätte gedacht, daß wir uns hier begegnen?«
»Was um alles in der Welt haben Sie denn vor?« fragte ich verdutzt.
»Ich will meine Freunde, die Pterodactylen, besuchen«, antwortete er.
»Und wieso das?«
»Weil sie höchst interessante Tiere sind, finden Sie nicht auch? Aber ungesellig. Ungehobelte rauhe Manieren Fremden gegenüber, wie Sie sich wahrscheinlich erinnern werden. Ich habe mir diese Rüstung gebastelt, damit sie mich nicht so herumschubsen können.«
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