Arthur Conan Doyle - Die tanzenden Männchen

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Der Band ›Die tanzenden Männchen‹ enthält eine Auswahl an Geschichten um den berühmten Detektiv Sherlock Holmes und seinen Freund Dr. Watson: Die tanzenden Männchen, Die Entführung aus der Klosterschule, Der schwarze Peter, Die sechs Napoleons, Der Mord in Abbey Grange, Der zweite Fleck.
Sherlock Holmes, der berühmteste Detektiv aller Zeiten, und sein Freund Dr. Watson lösen jeden Fall, ganz gleich wie kniffelig er sein mag.

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Die tanzenden Männchen

Die tanzenden Männchen

und andere Detektivgeschichten

© 1904 Arthur Conan Doyle

Die Auswahl erschien 1904 in dem Band

The Return of Sherlock Holmes

Aus dem Englischen von Margarete Jacobi

erstmals veröffentlicht 1916

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Die tanzenden Männchen

Die Entführung aus der Klosterschule

Der schwarze Peter

Die sechs Napoleons

Der Mord in Abbey Grange

Der zweite Fleck

Über den Autor

Die tanzenden Männchen

Sherlock Holmes hatte stundenlang über eine Porzellanschale gebeugt gesessen, in der er ein besonders übelriechendes chemisches Produkt braute. Sein Kopf war auf die Brust herabgesunken, und der lange, schmale Rücken war so gekrümmt, daß die Gestalt meines Freundes einem schlanken Vogel mit grauem Gefieder und schwarzer Haube glich.

»Du willst also keine südafrikanischen Papiere kaufen, Watson?« sagte er urplötzlich.

Ich konnte mein Erstaunen über diese Frage nicht unterdrücken. Obgleich er mir schon häufig Beweise bewunderswerter Fähigkeiten gegeben hatte, war mir doch dieses Erraten meiner innersten Gedanken gänzlich unfaßbar.

»Woher in aller Welt weißt du das?« fragte ich ihn.

Holmes drehte sich auf seinem Stuhl um. Er hatte ein rauchendes Reagensröhrchen in der Hand, und seine tiefliegenden Augen zeigten eine vergnügte Stimmung an.

»Nun, Watson, du bist überrascht?« sagte er.

»Das bin ich allerdings.«

»Dieses Zugeständnis sollte ich mir eigentlich schriftlich von dir geben lassen.«

»Warum?«

»Weil du in fünf Minuten sagen wirst, auf diesen Gedanken zu kommen, sei ungeheuer einfach gewesen.«

»Das werde ich sicher nicht sagen.«

»Pass' mal auf, mein lieber Watson,« – er steckte das Probierröhrchen in das Gestell und begann mit der Miene eines Lehrers zu reden, der zu seinen Schülern spricht – »es ist tatsächlich nicht so schwer, eine Reihe von Schlüssen zu ziehen, von denen jeder aus dem vorhergehenden folgt, und von denen jeder einzelne sehr leicht ist. Wenn man das tut, und dann die mittleren wegläßt, und seinen Zuhörern nur den ersten und letzten sagt, so kann man eine verblüffende, mitunter eine geradezu wunderbare Wirkung erzielen. So war es wahrhaftig keine Kunst, an deinem linken Zeigefinger und Daumen zu erkennen, daß du die Absicht, dein kleines Vermögen in afrikanischen Minenwerten anzulegen, aufgegeben hattest.«

»Hier sehe ich keinerlei Verbindung.«

»Das ist wohl möglich, aber ich kann dir schnell die einzelnen Glieder der Kette der Reihe nach zeigen. Erstens: Als du gestern Abend aus dem Klub kamst, hattest du Kreidespuren an Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Zweitens: Das ist nur der Fall, wenn du Billard gespielt und das Queue mit Kreide bestrichen hast. Drittens: Du spielst nur mit Thurston Billard. Viertens: Du erzähltest mir vor vier Wochen, daß Thurston südafrikanische Aktien, die nach einem Monat ausgegeben würden, zu kaufen gedenke, und du dich daran beteiligen wolltest. Fünftens: Dein Scheckbuch ist in meinem Schrank eingeschlossen, und du hast bis heute noch nicht nach dem Schlüssel gefragt. Sechstens: Du hast also die Absicht aufgegeben, dein Geld in diesen Werten anzulegen.«

»Wie ungeheuer einfach!« rief ich unwillkürlich aus.

»Genau, wie ich gesagt hatte,« fuhr mein Freund etwas ärgerlich fort. »Jedes Problem erscheint dir kinderleicht, nachdem man dir's erklärt hat. Hier habe ich aber eins, das noch nicht erklärt ist. Sieh, was du damit machen kannst, alter Freund.« Er warf mir ein Blatt Papier auf den Tisch und wandte sich selbst wieder seiner chemischen Analyse zu.

Ich betrachtete erstaunt die merkwürdigen Hieroglyphen auf dem Papier.

»Ei nun, Holmes,« rief ich, »das hat ein Kind gemacht!«

»Das ist deine Ansicht!«

»Was soll es denn sonst sein?«

»Ja, das möchte Herr Hilton Cubitt aus Riding in Norfolk auch gerne wissen. Das kleine Rätsel ist mit der ersten Post eingelaufen, und der Absender selbst will mit dem nächsten Zug kommen . . . Es klingelt, Watson, und es sollte mich gar nicht überraschen, wenn er's schon wäre.«

Auf der Treppe wurden schwere Tritte hörbar, und im nächsten Moment machte ein großer, frisch aussehender Herr mit glattrasiertem Gesicht unsere Stubentür auf. Seine klaren Augen und seine blühende Gesichtsfarbe sagten uns, daß er entschieden keinen Beruf hatte, der ihn an die Bakerstreet fesselte. In dieser befand sich Holmes' Wohnung. Er schien bei seinem Eintritt einen Hauch der kräftigen, nervenstärkenden Seeluft seiner Heimat mitzubringen. Als er jedem von uns die Hand geschüttelt hatte und Platz nehmen wollte, fiel sein Blick auf das Papier mit den sonderbaren Zeichen, das ich eben in der Hand gehabt und wieder auf den Tisch gelegt hatte.

»Nun, Herr Holmes, was meinen Sie dazu?« rief er mit markiger Stimme aus. »Man hat mir erzählt, daß Ihnen solche rätselhaften Sachen Spaß machten, und ich glaube kaum, daß es eine rätselhaftere gibt als diese. Ich habe den Zettel vorausgeschickt, damit Sie ihn vor meiner Ankunft studieren könnten.«

»Es ist wirklich eine seltsame Schreiberei,« erwiderte Holmes. »Auf den ersten Blick könnte man es für das Gekritzel eines Kindes halten. Es besteht aus einer Anzahl kleiner Figuren, die über das Papier tanzen. Warum legen Sie diesem dummen Zeug überhaupt eine besondere Bedeutung und so große Wichtigkeit bei?«

»Mir würde es gar nicht einfallen, aber meine Frau tut's. Sie ist darüber zu Tod erschrocken. Sie sagt zwar nichts, ich kann ihr aber die Furcht aus den Augen ablesen, und darum möchte ich der Sache auf den Grund kommen.«

Holmes nahm den Zettel und hielt ihn gegen das helle Tageslicht. Es war ein Blatt aus einem Notizbuch. Die Zeilen waren mit Bleistift gemacht und sahen ungefähr so aus:

Holmes prüfte das Blatt eine Zeitlang faltete es dann sorgfältig zusammen und - фото 1

Holmes prüfte das Blatt eine Zeitlang, faltete es dann sorgfältig zusammen und legte es in sein Notizbuch.

»Es verspricht, ein äußerst interessanter und ungewöhnlicher Fall zu werden,« sagte er. »Sie haben mir in Ihrem Briefe bereits einige näheren Angaben gemacht, es würde mir aber angenehm sein, wenn Sie im Interesse meines Freundes Dr. Watson hier das Ganze noch einmal im Zusammenhang erzählen wollten.«

»Ich bin nichts weniger als ein glänzender Erzähler,« sagte unser Besucher und rieb sich nervös die großen, kräftigen Hände; »Sie müssen mich fragen, wenn ich die Sache nicht ordentlich klar mache. Ich muß mit meiner Verehelichung im vorigen Jahr anfangen. Ich will noch vorausschicken, daß, wenn ich auch kein reicher Mann bin, meine Vorfahren jedoch seit fünfhundert Jahren in Riding ansässig sind, und meine Familie die bekannteste in der ganzen Grafschaft ist. Vergangenes Jahr kam ich zum Jubiläum nach London 'rauf und logierte in einem Haus am Russell-Platz, weil der Geistliche unserer Gemeinde, Pastor Parker, auch da wohnte. Dort war auch 'ne junge Amerikanerin – namens Patrick – Elsie Patrick. Wir befreundeten uns, und ehe noch ein Monat um war, war ich so in sie verliebt, wie's ein Mann nur sein kann. Wir ließen uns in aller Stille trauen und kehrten als junges Ehepaar nach Norfolk zurück. Es wird Ihnen als recht leichtsinnig erscheinen, Herr Holmes, daß ein Mann aus einer guten alten Familie sich in dieser Weise eine Frau nimmt, das heißt, ohne etwas über ihre Herkunft und ihre Vergangenheit zu wissen; wenn Sie sie aber sähen und näher kännten, würden Sie's begreiflich finden.

»Sie war sehr offen in dieser Beziehung, die Elsie. Sie hielt wahrhaftig nicht damit hinter'm Berge, als ich sie fragte. ›Ich habe sehr unangenehme Verhältnisse in meinem Leben durchgemacht,‹ antwortete sie, ›ich suche sie zu vergessen. Ich spreche nicht gerne davon, denn es ruft stets peinliche Erinnerungen in mir wach. Wenn du mich zur Frau nimmst, bekommst du eine, die nichts auf dem Gewissen hat, dessen sie sich persönlich zu schämen braucht; aber du mußt dich mit meinem Wort zufrieden geben und mir versichern, daß du mich über das, was bis zu meiner Verheiratung vorgefallen ist, nicht fragen willst. Wenn du diese Bedingung nicht einhalten zu können glaubst, so gehst du lieber allein nach Norfolk und läßt mich das einsame Leben weiter führen, das ich bisher geführt habe.‹ Erst am Tage vor der Hochzeit sprach sie in dieser Weise zu mir. Ich antwortete darauf, daß ich sie unter der von ihr selbst gestellten Bedingung nehmen wollte, und habe mein Wort seither gehalten.

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