Alles in allem war der verdrießlichste Aspekt des Marsches nach Osten die Übelkeit, die sich in Feric aufbaute, als er tiefer in die verseuchten Bereiche der wolackischen Niederungen vordrang. Widerstand gab es keinen, und nur die gelegentliche Jagd auf einen besonders abstoßenden Mutanten gab der Truppe eine bescheidene Gelegenheit zur Erhaltung ihres Kampfgeistes. Die Kolonne mied weder die elenden Dörfer und kleinen Landstädte, deren Häuser meist aus lehmbeworfenem Flechtwerk bestanden, noch suchte sie sie auf; um rasch nach Osten voranzukommen, war sie an die einzige halbwegs befahrbare Landstraße gebunden, die die nördlichen Provinzen Wolacks durchzog.
Am zweiten Tag ihres unaufhaltsamen Vormarsches und mehr als dreihundert Kilometer tief in wolackischem Gebiet, sah Feric den Zeitpunkt gekommen, um sein Umfassungsmanöver einzuleiten. An einer Gabelung, die er auf seiner Karte markiert hatte, ließ er den Fahrer von der Durchgangsstraße in eine schmale Allee einbiegen, die über eine Bodenwelle und hinaus in die Tiefländer des Rouldeltas führte.
»Bei diesem Tempo sollten wir morgen an den Roul kommen«, sagte er zu Best. »Nach meinen Informationen gibt es ungefähr dreihundert Kilometer stromabwärts von Lumb eine alte Brücke, die durch Zufall die Zeit des Feuers überdauerte. Dort können wir den Fluß vom Feind unentdeckt überqueren.«
Best sah ihn zweifelnd an. »Sicherlich wird Zind eine solche Schlüsselposition besetzt und befestigt haben, mein Führer?« erwiderte er.
Feric lächelte. »Die Gegend, in der die Brücke steht, soll von derart abscheulichen und furchterregenden Ungeheuern bevölkert sein, daß nicht einmal die Krieger von Zind ihnen mit Gleichmut gegenübertreten«, sagte er. »Wegen dieser sogenannten Trolle ist das Gebiet unbesiedelt.«
Als er sah, daß Best über diese Neuigkeit erschrak, brach Feric in gutmütiges Gelächter aus. »Keine Sorge, Best«, sagte er. »Es gibt kein Lebewesen, das gegen Kanonen und Maschinenpistolen immun ist!«
Darauf stimmte Best in sein Lachen ein.
Der Vormarsch zum Rouldelta konnte wegen des schlechten Straßenzustands nicht als eine angenehme Spazierfahrt bezeichnet werden, aber er verlief ohne ernste Zwischenfälle, da die Tiefländer sehr viel dünner besiedelt waren als der Rest von Wolack; häufige Überschwemmungen und das Vorkommen gefährlicher mutierter Lebensformen hatten dazu geführt, daß dem Landstrich unter den Wolacken ein schlechter Ruf anhaftete.
Feric konnte gut verstehen, warum selbst Untermenschen wie Wolacken Gebiete dieser Art unbesiedelt ließen, als die Truppe sich dem Roul näherte. Die Reststrahlung war hier offensichtlich hoch, denn die Zahl der in Strahlungsdschungel verwandelten Sumpfund Auwälder nahm zu, je mehr sie sich dem Strom näherten, und es gab Gegenden, wo sie miteinander verschmolzen und alptraumhafte Wälder von beträchtlicher Ausdehnung bildeten. Die Kolonne bewegte sich ohne Flankenschutz weit auseinandergezogen und mit verringerter Geschwindigkeit die morastige, seit langem nicht mehr instandgesetzte und an vielen Stellen überwachsene Straße entlang. Feric war zum erstenmal seit Beginn der Operation unruhig und besorgt; nicht aus Furcht vor den Monstrositäten, die in den obszön wuchernden Dickichten lauerten, sondern wegen des gefährlich hohen Strahlungspegels, der von solchen Eiterherden geschädigter Chromosomen gezeichnet wurde.
Endlich gewannen sie wieder offenes Gelände, und im Osten zeigten sich die Doppeltürme der alten Brücke.
Feric ließ anhalten und eine Umgruppierung der Kolonne durchführen, um gegen alles gerüstet zu sein, was den Flußübergang sperren mochte. Vier Panzer wurden an die Spitze der Kolonne beordert, die anderen so verteilt, daß sie die kilometerlange Fahrzeugschlange wirksam gegen Angriffe von den Seiten oder von rückwärts schützen konnten.
Die alte Straße führte auf einem Damm durch sumpfigen Buschwald, der alle Kennzeichen eines bizarr entarteten Strahlungsdschungels trug. Weiter zur Brücke hin leitete der Damm in die Brückenrampe über. Wo die Reste eines alten Flußdeiches auf die Brückenrampe trafen, wucherte die entartete Vegetation in üppiger Fülle bis an die Straße heran; nur die betonierte Fahrbahn war frei von dem fahlfarbenen, fleckig gedunsenem Laubwerk und den verkrümmten Zweigen des Dickichts, das sich über der Straße in einem eklen Triumphbogen krankhaft entarteter Flora vereinigte.
Um die Tragfähigkeit der alten Brücke durch eigenen Augenschein beurteilen und die Kolonne im Zweifelsfall jederzeit anhalten zu können, kletterte Feric auf den ersten Panzer und setzte sich neben den Kommandanten, der im offenen Türmluk stand. Er hob den Arm, und die Kolonne rollte auf die Brücke zu, in die schmale Schlucht zwischen den dichtverwachsenen Wänden des wuchernden Strahlungsdschungels.
Wieder tauchten sie in eine faulig stinkende Welt üppig aufschießender und schleimig zerfallender Vegetation. Mehrköpfige Schlangen hingen von verkrusteten Bäumen. Große federlose Vögel mit weichen, zum Greifen geeigneten Schnäbeln hüpften schwerfällig von Ast zu Ast und stießen gurgelnde Töne aus. Gräßliche Schreie gellten aus der Waldestiefe. Da und dort machte Feric riesige schattenhafte Umrisse aus, die sich hinter den verbogenen Stämmen der ungesunden Bäume bewegten: große Flächen nasser grüner Haut, bewegliche Massen violettrosa geäderter Formlosigkeit, Dinge wie riesenhaft angeschwollene innere Organe, beseelt mit unabhängigem Leben.
»Welch eine scheußliche Kloake genetischen Abfalls!« murmelte er.
Die Antwort des Kommandeurs war ein jähes entsetztes Keuchen.
Feric spähte in die Blickrichtung des anderen. Fünfzig Schritte voraus gewahrte er etwas, was ihm die Kehle zuschnürte. Ein mächtiger Hügel aus ungeformtem Protoplasma hatte sich auf die Straße geschoben und versperrte sie, eine pulsierende Amöbe aus grünlich durchscheinendem Fleisch, ungefähr drei Meter hoch und breiter als die Straße. Die Oberfläche dieses enormen Klumpens aus lebendem Schleim siedete mit Dutzenden von großen lippenlosen saugenden Mündern, in deren Hintergrund Reihen messerartig spitzer Zähne in unablässiger Bewegung waren; aus jeder dieser obszönen Öffnungen ringelte sich eine lange, runde rote Zunge. Damit nicht genug, bildete das Ungetüm mit unheimlicher Schnelligkeit einmal hier und einmal dort kraftvoll aussehende Fangarme aus, die es fast beliebig verlängern zu können schien, um sie dann genauso schnell wieder einzuziehen und an anderer Stelle neu zu bilden. Aus den Mundöffnungen kamen scheußliche, naß schmatzende Geräusche, in die sich ein anund abschwellendes scharfes Pfeifen mischte.
Der Panzerfahrer brachte sein Fahrzeug ungefähr dreißig Meter vor dem Ding zum Stillstand. Aus dieser Entfernung war der an verwesenden Fisch gemahnende Gestank des Ungeheuers beinahe überwältigend. Und der amöbenhafte Haufen von Protoplasma begann näherzufließen. Kein Wunder, daß die Wolacken diesen Ort mieden!
Aber feige Wolacken waren eine Sache, und rasseechte Helder eine ganz andere. Feric brachte seine Maschinenpistole in Anschlag und gab probeweise einen Feuerstoß auf das scheußliche Monstrum ab.
Die Kugeln fetzten wie eine Serie von kleinen Explosionen in das pulsierende Fleisch der amöbenartigen Kreatur und rissen schleimige grüne Stücke heraus, die in alle Richtungen davonspritzten. Eine schreckliche Folge langgezogener Kreischtöne kam aus dem Ding, als Dutzende von Saugmündern in blinder Agonie aufschrien. Eine gelbliche, zähflüssige Masse entströmte den Einschußwunden, und die abscheuliche Monstrosität geriet in furchterregende Zuckungen.
Feric nickte dem Panzerkommandanten zu. Dieser verschwand im Turm, richtete die Kanone an und feuerte, während Feric hinter dem Stahlkoloß Deckung suchte, aus nächster Nähe eine Sprenggranate in das Ungeheuer. Der Doppelschlag von Abschuß und Detonation zerriß die Luft, und in einer gewaltigen Eruption flogen schleimige Fetzen, Splitter und Rauch in die Höhe.
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