»Gut«, meinte Selene, die sich untergehakt hatte, um ihn zu stützen. »Sie machen sich gut für ein Erdchen — nein, ich sollte wohl sagen Immi…«
»Vielen Dank.«
»Das ist aber auch nicht viel besser. Immi für Immigrant ist fast so beleidigend wie Erdchen. Ich sollte vielleicht sagen, daß Sie sich wirklich sehr gut machen für einen Mann Ihres Alters.«
»Nein! Das ist ja noch schlimmer.« Denison keuchte ein wenig und spürte, wie seine Stirn feucht wurde.
»Jedesmal wenn Sie so weit sind, daß Sie Ihren Fuß aufsetzen wollen, müssen Sie sich mit dem anderen Fuß einen kleinen Stoß geben«, sagte Selene. »Dadurch werden Ihre Schritte größer, und alles ist einfacher. Nein, nein — schauen Sie mal her.«
Denison blieb dankbar stehen und beobachtete Selene, die trotz des grotesken Anzuges irgendwie schlank und anmutig wirkte, wenn sie nur in Bewegung war; das Mädchen eilte in flachen Hüpfschritten davon. Sie kehrte um und kniete sich neben ihn.
»Jetzt machen Sie einen langsamen Schritt, Ben, und ich stoße an Ihren Fuß, wenn ein Schub kommen muß.«
Sie versuchten es mehrmals, und Denison sagte: »Das ist ja schlimmer als ein Wettlauf auf der Erde. Ich muß mich mal ausruhen.«
»Natürlich. Das kommt davon, daß Ihren Muskeln noch die richtige Koordination fehlt. Sie kämpfen gegen sich selbst, nicht gegen die Schwerkraft… Also, setzen Sie sich und kommen Sie erst mal wieder zu Atem. Wir gehen heute nicht viel weiter hinauf.«
»Schadet es den Tanks, wenn ich mich auf den Rücken lege?« fragte Denison.
»Nein, natürlich nicht, aber ich würde es nicht tun. Nicht auf bloßem Boden. Die Temperatur beträgt 65 Grad unter Null — und je kleiner die Berührungsfläche ist, desto besser. Ich würde mich nur setzen.«
»Na gut.« Seufzend setzte sich Denison. Bewußt wandte er sich nach Norden, mit dem Rücken zur Erde. »Sehen Sie mal, die Sterne!«
Selene saß im rechten Winkel zu ihm und schaute ihn an. Von Zeit zu Zeit, wenn das Erdlicht im richtigen Winkel auftraf, konnte er unter der Helmscheibe undeutlich ihr Gesicht ausmachen.
»Sehen Sie denn keine Sterne auf der Erde?« fragte sie. »So nicht. Selbst wenn es keine Wolken gibt, saugt die Luft einen Teil des Lichtes auf. Die Temperaturunterschiede in der Atmosphäre bringen sie zum Flackern, und die Lichter der Städte, auch wenn sie weit weg sind, lassen sie verschwinden.«
»Klingt schrecklich.«
»Gefällt es Ihnen hier, Selene? Hier draußen auf der Oberfläche?«
»Ich bin nicht gerade verrückt danach, aber ab und zu läßt es sich aushalten. Natürlich gehört es zu meiner Arbeit, die Touristen auch hier herauszuführen.«
»Und jetzt müssen Sie’s für mich tun.«
»Wie oft muß ich Ihnen noch sagen, daß es nicht dasselbe ist, Ben? Wir haben eine vorgeschriebene Route für die Touristen, die sehr ungefährlich und auch sehr uninteressant ist. Glauben Sie etwa, wir würden die Leute hier auf den Gleithang führen. Der ist für die Lunarier — und die Immis. Hauptsächlich aber Immis.«
»Er kann nicht sehr beliebt sein. Es ist niemand sonst hier.«
»Na ja, es gibt bestimmte Tage dafür. Sie sollten den Hang mal an einem Wettlauftag sehen. Da würde es Ihnen hier sicher nicht gefallen.«
»Ich weiß, daß es mir jetzt schon nicht gefällt. Ist das Gleiten ein Sport speziell für Immis?«
»Vorwiegend. Die Lunarier mögen die Oberfläche im allgemeinen nicht.«
»Wie steht es mit Dr. Neville?«
»Sie meinen — wie steht er zur Oberfläche?«
»Ja!«
»Offen gesagt, glaube ich nicht, daß er überhaupt schon einmal hier oben war. Er ist eine echte Stadtpflanze. Warum fragen Sie?«
»Nun, als ich ihn um Erlaubnis bat, an der Routineinspektion der Sonnenbatterien teilzunehmen, ließ er mich ohne weiteres fahren — aber zum Mitkommen war er nicht zu bewegen. Ich bat ihn darum, damit ich jemanden hatte, der meine Fragen beantwortete, falls mir welche einfielen, und seine Weigerung fiel ziemlich heftig aus… »Ich hoffe, Sie haben jemand anders für Ihre Fragen gefunden.«
»O ja. Übrigens, auch ein Immi. Vielleicht erklärt das Dr. Nevilles Einstellung gegenüber der Elektronenpumpe.«
»Was meinen Sie?«
»Nun…« Denison lehnte sich zurück, hob abwechselnd die Beine und beobachtete träge ihren langsamen Aufstieg und Fall. »He, das ist gut. Schauen Sie, Selene… Ich meine, Dr. Neville hat sich sehr darauf versteift, eine Pumpstation auf den Mond zu holen obwohl die Sonnenbatterien völlig ausreichen. Auf der Erde — wo die Sonne oft nicht so zuverlässig scheint wie hier — könnten wir keine Solarbatterien einsetzen. Im ganzen Sonnensystem gibt es keinen Himmelskörper, der für die Verwendung solcher Batterien besser geeignet ist als der Mond. Sogar der Merkur ist zu heiß… Aber die Batterien binden einen natürlich an die Oberfläche, und wenn man die Oberfläche nicht mag…«
Selene stand auf. »Los, Ben. Sie haben sich genug ausgeruht«, sagte sie. »Auf! Auf!«
Er richtete sich mühsam auf. »Eine Pumpstation würde jedoch bedeuten, daß kein Lunarier mehr an die Oberfläche zu kommen brauchte, wenn er es nicht wollte.«
»Weiter hinauf geht’s, Ben. Bis zum Kamm da oben. Sehen Sie dort, wo das Erdlicht horizontal abgeschnitten wird?« Sie legten das letzte Stück Weg schweigend zurück. Denison bemerkte eine glatte Fläche zur Linken — einen breiten Streifen Abhang, der von Staub völlig frei zu sein schien. »Da kommt kein Anfänger hinauf — zu glatt«, beantwortete Selene seine unausgesprochene Frage. »Nun werden Sie nicht übermütig und verlangen von mir, daß ich Ihnen auch noch den Känguruh-Sprung beibringe.«
Gleichzeitig vollführte sie einen Känguruh-Sprung, schwang sich dabei vor dem Aufsetzen herum und sagte: »Hier sind wir richtig. Setzen Sie sich, und ich bringe…«
Denison gehorchte und drehte sich zum Hang. Unsicher schaute er die Schräge hinab. »Kann man wirklich darauf gleiten?«
»Natürlich. Die Schwerkraft ist hier schwächer als auf der Erde also wird man auch viel weniger gegen den Boden gedrückt, und das bedeutet, daß es weniger Reibung gibt. Auf dem Mond ist alles glatter als auf der Erde. Deshalb sehen die Fußböden in unseren Korridoren und Wohnungen auch so unvollendet aus. Möchten Sie meinen kleinen Vortrag über dieses Thema hören — den, den ich den Touristen immer halte?«
»Nein, Selene.«
»Außerdem benutzen wir natürlich Gleiter.« In der Hand hielt sie eine kleine Patrone, an der eine Klammer und zwei dünne Röhrchen befestigt waren. »Was ist das?« fragte Ben.
»Ein einfacher kleiner Flüssiggasbehälter. Er führt einen Dampfstrahl unter Ihre Stiefel. Die dünne Gasschicht zwischen Sohle und Boden reduziert die Reibung praktisch auf Null. Und Sie bewegen sich, als wären Sie im Weltall.«
»Gefällt mir nicht. Es ist doch Verschwendung, hier ein Gas zu solchen Zwecken zu benutzen.«
»Also, ich bitte Sie! Was für ein Gas benutzen wir wohl. Kohlendioxyd? Sauerstoff? Nein, ein Abfallgas — Argon. Das findet sich tonnenweise im Gestein des Mondes — aus dem milliardenjährigen Zerfall von Kalium-40… Auch das gehört zu meinem Vortrag, Ben… Für das Argon haben wir sonst kaum Verwendung. Wir könnten es eine Million Jahre lang in den Gleitern benutzen, ohne daß sich der Vorrat erschöpfen würde. Gut, Ihre Gleiter sind fest. Warten Sie, bis ich meine auch an gelegt habe.«
»Wie funktionieren sie denn?«
»Es geht alles von allein. Sie brauchen nur zu gleiten, das bewirkt den Kontakt, und der Gasdampf tritt aus. Der Vorrat reicht nur für ein paar Minuten, aber mehr brauchen Sie auch nicht.«
Sie stand auf und half ihm hoch. »Schauen Sie hügelabwärts… Los, Ben, der Hang ist ganz flach. Schauen Sie ihn sich an! Er wirkt doch fast waagerecht.«
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