John verbrachte seine Zeit damit, dass er von Zelt zu Zelt wanderte, mit Leuten sprach und die Karnevals-Atmosphäre genoss, eine Atmosphäre, die Diskussionen nicht ausschloss, es gab eine Menge davon; aber die meisten Leute verbrachten die Zeit mit Parties, Plaudern, Trinken, Ausflügen auf die wellige Fläche der alten Lavaströme, Anfertigen von Mosaikböden und Tanzen zur Musik verschiedener Amateurbands. Deren beste war eine Band mit Magnesiumtrommeln. Die Instrumente waren von hier, die Spieler aus Trinidad Tobago, einer bekannten transnationalen Gefälligkeitsflagge mit starker lokaler Widerstandsbewegung, von der die Musiker Repräsentanten waren. Es gab auch eine Country-and-Western-Gruppe mit einem guten Spieler der Hawaiigitarre und eine irische Band mit selbstgebauten Instrumenten und einer großen wechselnden Besetzung, was ihr gestattete, mehr oder weniger pausenlos zu spielen. Diese drei Kapellen waren alle umringt von zahlreichen Tänzern, und die Zelte, in denen sie sich befanden, hatten deren Bewegungen ganz in eine Art von pulsierendem Tanz verwandelt, da die Möglichkeit, von hier nach da zu kommen, jäh durch die Schönheit und Üppigkeit der Musik behindert wurde, durch die Schwere und die Aussicht.
Es war also eine große Festlichkeit, und John freute sich und feierte kräftig mit in jedem wachen Moment. Er brauchte weder Omegendorph noch Pandorph; und einmal, als Marian und die Leute von Senzeni Na ihn in eine Ecke drängten und anfingen, Tabletten zu verteilen, konnte er bloß lachen. Er sagte zu den jungen Hitzköpfen mit einer schwachen Handbewegung: »Mir ist jetzt nicht danach. Das hieße jetzt Eulen nach Athen tragen, wirklich!«
»Eulen nach Athen?«
»Er meint, als ob man Permafrost nach Borealis brächte.«
»Oder mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre pumpte.«
»Mehr Salz in den verdammten Boden täte.«
»Mehr Eisenoxid über den ganzen verdammten Planeten verteilte.«
»Genau«, lachte John. »Ich bin schon ganz rot.«
»Nicht so rot wie diese Leute«, sagte einer von ihnen und zeigte hinunter nach Westen. Eine Kette von drei sandfarbenen Luftschiffen schwebte den Vulkanhang herauf. Sie waren klein und veraltet und beantworteten keine Funkanfragen. Als sie über den Rand von Zp gerutscht waren und zwischen den größeren und bunteren Schiffen im Krater verankert waren, warteten alle darauf, von den Beobachtern in der Schleuse zu erfahren, wer sie sein könnten. Als ihre Gondeln aufgingen und zwanzig oder dreißig Personen in Schutzanzügen herauskamen, trat Stille ein. »Das ist Hiroko«, sagte Nadia plötzlich über die allgemeine Frequenz. Die Ersten Hundert begaben sich rasch zum oberen Zelt und blickten nach oben zu dem Gehrohr, das über den Rand verlief. Und als die neuen Besucher das Rohr hinab zur Zeltschleuse gingen und dann hindurch und drin waren — ja, es waren Hiroko, Michel, Evgenia, Iwao, Gene, Ellen, Rya, Raul und eine ganze Schar Jugendlicher.
Schreie und Rufe drangen durch die Luft, Menschen fielen sich in die Arme, einige weinten; und es gab eine Menge ärgerlicher Vorwürfe. John konnte nicht umhin, Hiroko an sich zu drücken, als er eine Gelegenheit bekam nach allen diesen Stunden im Rover, wo er sich Sorgen machte und wünschte, mit ihr sprechen zu können. Jetzt packte er sie bei den Schultern und schüttelte sie fast. Heiße Worte wollten ihm aus der Kehle strömen; aber ihr grinsendes Gesicht glich so sehr dem, das er in Erinnerung hatte, und dennoch nicht. Ihr Gesicht war schmaler und faltiger, nicht sie und doch deutlich sie. Ihr Gesicht verschwamm ihm vor den Augen zwischen dem, was er zu sehen erwartet hatte, und dem, was er jetzt sah. Er war durch diese halluzinatorische Undeutlichkeit (auch in seinen Gefühlen) so verwirrt, dass er nur sagte: »Oh, ich habe mir so gewünscht, mit dir zu reden!«
»Und ich mit dir«, sagte sie, obwohl es bei dem allgemeinen Lärm kaum zu hören war. Nadia vermittelte zwischen Maya und Michael, denn Maya brüllte immer wieder: »Warum hast du es mir nicht gesagt?«, ehe sie in Tränen ausbrach. John wurde dadurch abgelenkt und sah dann Arkadys Gesicht über Hirokos Schulter mit einer Miene, die sagte: Fragen werden später beantwortet werden; und er verlor seinen Gedankenfaden. Es würden manche harte Sachen gesagt werden müssen — aber jedenfalls waren sie hier! Unten in den Zelten war der Geräuschpegel um zwanzig Dezibel gestiegen. Die Leute feierten ihre Wiedervereinigung.
Spät am Nachmittag versammelte John die Ersten Hundert, die jetzt knapp sechzig zählten. Sie kamen von selbst in dem höchsten Zelt zusammen und schauten über die weiter unten und das Land dahinter hinab.
Es war alles so viel größer als Underhill und die enge steinige Ebene darum herum. Alles hatte sich verändert, wie es schien. Die Welt und ihre Zivilisation waren viel größer und komplizierter geworden. Und dennoch standen sie jetzt hier. Die ach so vertrauten Gesichter verändert, gealtert, wie menschliche Gesichter altern. Die Zeit formte sie mit Erosion, als ob sie seit geologischen Zeiträumen gelebt hätten, und gab ihnen einen wissenden Ausdruck, als ob man die Wasserreservoire hinter ihren Augen erkennen könnte. Die meisten von ihnen waren jetzt in ihren siebziger Jahren. Und die Welt war in der Tat größer auf vielfache Weise. Schließlich war es jetzt durchaus möglich, dass es ihnen beschieden wäre, einander noch viel mehr altern zu sehen, wenn sie Glück hatten. Das war ein eigenartiges Gefühl.
So drängten sie sich durcheinander, schauten auf die Leute in den Zelten weiter unten und dahinter auf den bunt orangefarbenen Teppich des Planeten. Und die Konversation ging in raschen chaotischen Wellen hierhin und dorthin und erzeugte Überlagerungseffekte, so dass manchmal alle zugleich still waren und beisammen standen, verwundert, betäubt oder wie Delphine grinsend. In den Zelten unten schauten die Leute gelegentlich durch die Plastikbögen zu ihnen herauf, um einen Blick auf ein so historisches Treffen zu erhaschen.
Schließlich setzten sie sich in unordentlich herumstehende Stühle und reichten Käse, Kekse und Flaschen mit Rotwein herum. John lehnte sich zurück und schaute sich um. Arkady hatte einen Arm über Mayas Schultern gelegt, den anderen über die Nadias, und alle drei lachten über etwas, das Maya gesagt hatte. Sax zwinkerte vergnügt wie eine Eule, und Hiroko strahlte. John hatte in den früheren Jahren nie diesen Gesichtsausdruck bei ihr gesehen. Es war ein Jammer, eine solche Stimmung zu stören, aber es würde nie wieder eine gute Gelegenheit geben, und die Stimmung würde zurückkehren. Also sagte er in einem stillem Moment laut und deutlich zu Sax: »Ich kann dir sagen, wer hinter der Sabotage steckt.«
Sax zwinkerte: »Kannst du das?«
»Ja.« Er sah Hiroko ins Auge. »Hiroko, es sind deine Leute.«
Das ernüchterte sie, obwohl sie immer noch lächelte. Aber es war das zurückhaltende private Lächeln von einst. »Nein, nein«, sagte sie sanft und schüttelte den Kopf. »Du weißt, dass ich das nicht tun würde.«
»Das habe ich auch nicht gemeint. Aber deine Leute tun es ohne dein Wissen. Praktisch deine Kinder. Arbeiten mit dem Cojoten zusammen.«
Ihre Augen verengten sich, und sie warf einen raschen Blick auf die Zelte unter ihnen.
Als sie John wieder anblickte, fuhr er fort: »Du hast sie erzeugt, nicht wahr? Einen Haufen deiner Eier befruchtet und sie in vitro wachsen lassen?«
Nach einer Pause nickte sie.
»Hiroko!« sagte Ann. »Du hast keine Ahnung, wie gut dieses ektogene Verfahren funktioniert!«
»Wir haben es ausprobiert«, sagte Hiroko. »Die Kleinen sind sehr gut geraten.«
Jetzt schwieg die ganze Gruppe und beobachtete Hiroko und John. Der sagte: »Mag sein, aber manche von ihnen teilen nicht deine Gedanken. Sie handeln eigenmächtig, wie Kinder nun einmal sind. Sie haben Eckzähne aus Stein, oder stimmt das nicht?«
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