John polarisierte seine Gesichtsscheibe und ging weiter. Er bemühte sich, wie jemand auszusehen, der von der Arbeit kommt. Dabei schwenkte er etwas zur Seite, um die Distanz zwischen sich und ihnen zu vergrößern. Der Rover tauchte in eine dichte Staubwolke und verschwand abrupt.
Bis er zu den Schleusentüren gelangte, war er rief in Gedanken und fast in Angst. Er stand bewegungslos an der Tür und dachte darüber nach. Als er sich dann bewegte, war es nicht zur Tür, sondern zu der Interkomkonsole in der Wand dicht bei der Tür. Da waren unter den Lautsprechern diverse Steckdosen, und er zog vorsichtig den Schutzstecker in einer davon heraus und entfernte den Staub an den Rändern — diese Steckdosen wurden nicht mehr gebraucht — und stöpselte dann sein Armbandgerät ein. Er tastete den Code für Pauline ein und wartete, bis die Verschlüsselung und Entschlüsselung durchkamen. »Ja, John?« sagte Paulines Stimme in seinem Helm.
»Pauline, stelle bitte deine Kamera ein und schwenke durch mein Zimmer!«
Pauline befand sich auf dem Seitentisch am Bett und war in die Wand gestöpselt. Ihre Kamera war ein kleines, selten benutztes Gerät mit Faseroptik, das Bild auf dem Armband war klein, und im Zimmer war es dunkel mit nur einem Nachtlicht. Sein gebogenes Visier war noch eine Behinderung, so dass er die Bilder nicht ganz deutlich erkennen konnte. Graue, sich bewegende Gestalten. Da war das Bett und etwas darauf und dann die Wand. »Zehn Grad zurück!« sagte John und blinzelte, um das Bild von zwei Zentimetern im Quadrat zu verstehen. Sein Bett. Auf seinem Bett lag ein Mann. War es wirklich so? Eine Schuhsohle, Rumpf, Haar. Schwer zu sagen. Es bewegte sich nicht. »Pauline, hörst du irgend etwas in dem Zimmer?«
»Die Lüftung, den Strom.«
»Sende mir, was du mit deinem Mikrofon empfängst mit voller Lautstärke!« Er drückte den Kopf nach links mit dem Ohr gegen den Helmlautsprecher. Ein Zischen, statisches Rauschen. Bei diesem Prozess gab es zu viel Übertragungsfehler, besonders wenn man die korrodierten Steckdosen benutzte. Aber bestimmt hörte er kein Atmen. »Pauline, kannst du in das Monitorsystem von Underhill hineingehen, die Kamera für die Tür unseres Gewölbes bekommen und ihr Bild auf mein Handgelenk legen, bitte?«
Er hatte erst vor ein paar Jahren selbst die Installation des Sicherheitssystems von Underhill geleitet. Pauline hatte noch alle Pläne und Codes, und sie brauchte nicht lange, um auf seinem Handgelenk das Bild der Außenseite seines Zimmers von oben gesehen erscheinen zu lassen. Das Licht in der Suite war an, und in den Kameraschwenks konnte er sehen, dass seine Tür geschlossen war. Das war alles.
Er ließ die Hand zur Seite fallen und dachte nach. Es vergingen fünf Minuten, bis er sie wieder hob und anfing, über Pauline dem Sicherheitssystem von Underhill Anweisungen zu geben. Der Besitz des Codes erlaubte ihm, das ganze Kamerasystem anzuweisen, seine Überwachungsbänder zu löschen und dann auf eine einstündige Schleife anstelle der üblichen acht Stunden zu schalten. Danach wies er zwei Reinigungsroboter an, zu seinem Zimmer zu kommen und die Tür zu öffnen. Während sie das taten, stand er zitternd da und wartete, dass sie langsam durch die Gewölbe rollen würden. Als sie seine Tür öffneten, erblickte er sie durch das kleine Auge von Pauline. Licht ergoss sich in den Raum, flammte auf und wurde dann angepasst, so dass er viel deutlicher sehen konnte. Ja, es lag ein Mann auf seinem Bett. Johns Atem wurde flach. Er bediente die Roboter mit den winzigen Knöpfen auf seinem Handapparat. Das war eine heikle Prozedur, aber wenn der Mann beim Hochgehobenwerden aufwachte, um so besser.
Er tat es nicht. Der Mann rollte auf beide Seiten der ihn umfangenden Arme der Roboter herunter, die ihn mit ihrer algorithmischen Zartheit emporhoben. Ein herunterhängender Körper. Der Mann war tot.
John holte tief Luft, hielt den Atem an und fuhr mit der Fernmanipulation fort. Er ließ den ersten Roboter die Leiche in den großen Müllbehälter des zweiten legen. Die Roboter dann wieder in ihr Magazingewölbe zu schicken, war einfach.
Während sie dahinrollten, kamen mehrere Leute an ihnen vorbei, aber das ließ sich nicht ändern. Der Leichnam war nur von oben sichtbar, und er hoffte, dass sich niemand später an die Roboter erinnern würde.
Als er sie in ihrem Magazinraum antraf, zögerte er. Sollte er die Leiche zu den Einäscherungsöfen im Alchemistenviertel bringen? Aber nein. Jetzt, da sie sich nicht mehr in seinem Zimmer befand, brauchte er sich ihrer nicht zu entledigen. Das würde erst später nötig werden. Zunächst fragte er sich, wer es war. Er steuerte den ersten Roboter so, dass er sein ausfahrbares Auge auf das rechte Handgelenk der Leiche richtete und es mit seinem magnetischen Bildgerät ablesen sollte. Es dauerte lange, bis das Auge die richtige Stelle fand. Das winzige Schild, das ein jeder auf einem Handknochen implantiert trug, enthielt Information in der Standard-Punktsprache; und Pauline brauchte nur eine Minute, um eine Identifikation zu bekommen. Hashika Mui, UNOMA-Revisor, angekommen 2050.
Eine wirkliche Person. Ein Mann, der tausend Jahre hätte leben können.
John begann zu zittern. Er lehnte sich gegen die glasierte blaue Backsteinwand von Underhill. Es würde eine Stunde dauern, bis er hineingehen könnte, oder etwas weniger. Ungeduldig stieß er sich ab und ging um das Quadrat herum. Das erforderte gewöhnlich fünfzehn Minuten, aber jetzt Schafte er es in zehn. Nach der zweiten Runde ging er zum Anhängerpark hinüber.
Dort waren nur noch zwei der alten Trailer da, und die waren offenbar aufgegeben oder nur für Lagerzwecke benutzt worden. Aus dem nächtlichen Staub zwischen ihnen tauchten Gestalten auf, und eine Sekunde lang war er erschrocken, aber sie gingen vorbei.
Er kehrte zu dem Quadrat zurück und machte wieder einen Rundgang. Dann ging er im Freien zum Alchemistenquartier. Er stand da, betrachtete den antiquierten Komplex aus Rohren und Anlagen und flachen weißen Gebäuden, die alle mit ihren schwarzen kalligraphischen Gleichungen beschriftet waren. Er dachte an ihre ersten Jahre. Und jetzt war es wie mit einem Wimpernschlag so weit gekommen. In der Düsternis des Großen Sturms. Zivilisation, Korruption, Krise. Er knirschte mit den Zähnen.
Eine Stunde war vergangen, es war neun Uhr abends. Er ging zur Schleuse zurück und hinein, entledigte sich im Umkleideraum von Helm, Schutzanzug und Stiefeln, zog sich aus, ging in die Dusche. Nach dem Duschen trocknete er sich ab, zog einen Pullover an und kämmte sich. Er holte tief Luft und ging um die Südseite des Quadrats und nach oben durch die Gewölbe zu dem mit seinem Zimmer. Als er die Tür öffnete, war er nicht überrascht, wie er vier UNOMA-Detektive auftauchen sah. Aber er versuchte, erstaunt zu tun, als sie ihn aufforderten, stehen zu bleiben. Er sagte: »Was ist los?«
Es war weder Houston noch Chang, sondern drei Männer und eine der Frauen, die bei der ersten Gruppe in Low Point gewesen waren. Die Männer drängten sich an seine Seiten, ohne zu antworten, zogen die Tür ganz auf, und zwei von ihnen gingen hinein. John beherrschte den Drang, sie anzustoßen oder anzubrüllen oder über ihre Mienen zu lachen, als sie sahen, dass sein Zimmer leer war. Er starrte sie nur neugierig an und versuchte, sich darauf zu beschränken, wie ärgerlich er sich gezeigt haben würde, wenn er nicht gewusst hätte, was los war. Dieser Ärger wäre natürlich erheblich gewesen; und als die Tür geöffnet wurde, musste er sich wirklich sehr zusammennehmen, um seine Wut auf dem Niveau eines Arglosen zu halten. Sie mussten angefahren werden, als ob sie übereifrige Polizisten wären, und sollten nicht als mörderische Funktionäre attackiert werden.
Bei ihrer Verwirrung über die unerwartete Situation gelang es ihm, sie mit ein paar bissigen Sätzen zu verscheuchen. Und als er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, trat er mitten ins Zimmer. »Pauline, nimm bitte auf, was sich im Sicherheitssystem abspielt, und zeichne es auf! Zeig mir, welche Kameras auch immer sie haben.«
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