Maya sagte: »Nettogewinn in emotionaler Intensität.« Und hinter ihr rollten John und Frank die Augen.
Arkady sagte: »Nettogewinn in Freiheit.«
Michel sagte: »Nettogewinn in Verständnis.«
Von hinten sagte Frank: »Nettogewinn in Macht«, und John stieß ihn mit dem Ellbogen an und rief: »Nettogewinn in Glück!«
Und dann starrten alle Ann an. Und sie stand auf, bebend vor Wut und Angst. Sie erkannte, daß allein sie unter ihnen überhaupt nicht an die Möglichkeit des Nettogewinns von irgend etwas glaubte und daß sie eine verrückte Reaktionärin war. Alles, was sie tun konnte, war, daß sie mit dem Finger auf sie zeigte und sagte: »Mars, Mars, Mars.«
An diesem Abend erwischte sie nach dem Essen in dem großen Versammlungsraum Cojote allein und sagte: »Wann gehst du wieder hinaus?«
»In ein paar Tagen.«
»Bist du immer noch bereit, mich diesen Leuten vorzustellen, über die du gesprochen hast?«
»Ja, gewiß.« Er sah sie mit geneigtem Kopf an. »Das ist es, wo du hingehörst.«
Sie nickte bloß. Sie sah sich in dem Gemeinschaftsraum um und dachte: Lebwohl, Lebwohl! Gott sei Dank ist es weg!
Eine Woche später saß sie mit Cojote in einem ultraleichten Flugzeug. Sie flogen in den Nächten nach Norden in das Äquatorgebiet und dann weiter zu der Großen Böschung, zu den Deuteronilus Mensae nördlich von Xanthe — einem wild zerklüfteten Gelände, wo die Mensae wie ein Archipel von Inselgruppen ein Sandmeer punktierten. Das würde ein echter Archipel werden, dachte Ann, als Cojote zwischen zwei Inseln landete, wenn das Pumpen im Norden weiterging.
Cojote ging auf einem kurzen Streifen aus staubigem Sand herunter und rollte in einen Hangar, der in die Seite einer Mesa hineingegraben war. Als sie ausstiegen, wurden sie von Steve, Ivana und einigen weiteren Leuten begrüßt und in einem Aufzug auf eine Etage direkt unter dem Gipfel der Mesa gebracht. Das nördliche Ende dieser Mesa hatte eine scharfe Felsenspitze, worin ganz oben ein großer dreieckiger Versammlungsraum ausgehöhlt war. Als sie hineinging, blieb Ann überrascht stehen. Eine Menge Leute, mindestens mehrere hundert, saßen dicht gedrängt an langen Tischen, beugten sich vor und gossen sich gegenseitig Wasser ein zu Beginn eines Mahles. Die Menschen an der einen Tafel sahen sie und hielten inne. Dieser Effekt verbreitete sich durch den ganzen Raum, als die anderen sie bemerkten. Schließlich waren alle still. Dann stand einer auf und noch einer, und nach und nach alle. Einen Moment schien alles erstarrt zu sein. Dann fingen sie an zu applaudieren. Sie klatschten wild in die Hände, ihre Gesichter strahlten. Sie stießen Hochrufe aus.
VIERTER TEIL
Der Gelehrte als Held
Halte es zwischen Daumen und Mittelfinger. Fühle die runde Kante. Beobachte die leichten Krümmungen des Glases. Eine Vergrößerungslinse. Sie hat die Einfachheit, Eleganz und Schwere eines steinzeitlichen Werkzeugs. Setz dich mit ihr an einem sonnigen Tage hin und halte sie über einen Haufen trockenem Reisig! Bewege sie auf und ab, bis du unter den Zweigen einen hellen Fleck siehst. Erinnerst du dich an das Eicht? Es ist, als ob die Zweige eine kleine Sonne eingefangen hätten.
Der Amor-Asteroid, der zum Aufzugkabel versponnen worden war, bestand hauptsächlich aus kohlenstoffreichen Chondriten und Wasser. Die beiden Amor-Asteroiden, die von Robotlandern im fahr 2091 abgefangen wurden, bestanden zumeist aus Silikaten und Wasser.
Das Material von New Clarke wurde von ihren Robotmannschaften zu einer einzigen langen Karbonfaser versponnen. Das Material der beiden Silikatasteroiden wurde von ihren Robotmannschaften zu Blechen für Sonnensegel verarbeitet. Siliziumdampf wurde zwischen zehn Kilometer langen Rollen verfestigt und zu Blechen ausgezogen, die mit einer dünnen Schicht aus Aluminium belegt waren. Und diese riesigen Spiegelflächen wurden durch Raumschiffe mit menschlichen Besatzungen zu kreisförmigen Konfigurationen ausgebreitet, die ihre Gestalt durch Rotation und Sonnenlicht beibehielten.
Von einem in eine polare Umlaußahn um den Mars geschobenen Asteroiden, den sie ›Birch‹ nannten, spannten sie die Spiegelflächen zu einem Ring von hunderttausend Kilometern Durchmesser auf. Dieser ringförmige Spiegel war gegen die Sonne gerichtet, so daß das von ihm reflektierte Eicht auf einen Punkt innerhalb der Marsbahn fiel, nahe ihrem Ersten Eagrangepunkt.
Der zweite Silikat-Asteroid, genannt ›Solettaville‹, war in die Nähe dieses Eagrangepunktes gerückt worden. Dort spannten die Hersteller der Sonnensegel die Spiegelflächen in ein komplexes Gewebe aus vergitterten Ringen aus, die alle miteinander verbunden und so in Winkeln angeordnet waren, daß sie aussahen wie eine Linse aus kreisförmigen Jalousieblenden, die sich um eine Nabe drehten, die ein silberner Kegel war, mit der offenen Seite dem Mars zugewandt. Dieses große zarte Objekt von zehntausend Kilometern Durchmesser, hell und imposant, wie es sich zwischen Mars und Sonne drehte, wurde ›die Soletta‹ genannt.
Sonnenstrahlen, die die Soletta trafen, traten durch ihre Blenden und stießen erst auf die Sonnenseite der einen und dann auf die nächste nach draußen, die auf den Mars gerichtet war. Sonnenlicht, das den Ring im polaren Orbit traf, wurde in den inneren Kegel der Soletta reflektiert; und diese entgegengesetzten Drücke hielten ihn in Position — etwa hunderttausend Kilometer vom Mars entfernt, im Perihel näher und im Aphel etwas weiter entfernt. Die Winkel der Gitterteile wurden von dem Computer der Soletta ständig justiert, um Orbit und Focus beizubehalten.
Während der Dekade, in der diese zwei großen Schwungräder aus ihren Asteroiden angefertigt wurden wie Silikatgewebe aus Felsenspinnen, sahen Beobachter auf dem Mars fast nichts von ihnen. Man konnte gelegentlich eine weiße gekrümmte Linie am Himmel erkennen oder zufälliges Aufleuchten bei Tag und Nacht, als ob die Brillanz eines viel größeren Universums durch die losen Nähte im Gewebe unserer Sphäre schiene.
Als dann die beiden Spiegel fertiggestellt waren, wurde das reflektierte Licht des Ringspiegels auf den Kegel der Soletta gerichtet. Deren zirkuläre Latten wurden justiert, und sie bewegte sich in einen etwas abweichenden Orbit.
Und eines Tages sahen die auf der Tharsis-Seite des Mars lebenden Menschen auf; denn der Himmel hatte sich verdunkelt. Sie erblickten eine Sonnenfinsternis, wie sie der Mars noch nie erlebt hatte. Die Sonne wurde angeknabbert, als ob da oben ein Mond von der Größe des irdischen ihre Strahlen blockierte. Dann ging die Finsternis weiter wie auf der Erde. Die dunkle Sichel schnitt immer tiefer in das gleißende Rund, als die Soletta in ihre Position zwischen Mars und Sonne rückte. Aber ihre Spiegel waren noch nicht so ausgerichtet, daß sie das Licht hindurchtreten ließen. Der Himmel wurde tief violett. Die Dunkelheit erfaßte den größeren Teil der Scheibe. Es blieb nur eine schmale leuchtende Sichel, bis auch die verschwand und die Sonne eine dunkle Scheibe am Himmel bildete, umrahmt vom Hauch der Korona. Und dann war sie völlig verschwunden. Eine totale Sonnenfinsternis .. .
In der dunklen Scheibe erschien ein ganz schwaches Moiremuster, wie man es noch nie bei einer natürlichen Sonnenfinsternis gesehen hatte. Alle Leute auf der Tagesseite des Mars schnappten nach Luft und schauten mit zusammengekniffenen Augen nach oben. Und dann, als ob man eine Jalousie aufgezogen hätte, kam die Sonne mit einemmal zurück.
Blendendes Licht!
Und noch blendender als je zuvor, da die Sonne nun merklich heller war als zuvor, ehe die seltsame Finsternis begonnen hatte. Jetzt wandelte man unter einer verstärkten Sonne, deren Scheibe ungefähr so groß aussah wie auf der Erde. Das Licht war um mehr als zwanzig Prozent stärker als vorher — merklich heller und wärmer auf der Haut. Die rote Fläche der Ebenen war leuchtender. Als ob man plötzlich Flutlicht eingeschaltet hätte und sie alle jetzt auf einer großen Bühne spazierten.
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