South Fossa und die anderen Städte von Elysium, Hephaestus und Elysium Fossa, hatten sich alle großartig für einen freien Mars entschieden. Sie bildeten eine gewisse geographische Einheit. Ein südlicher Arm des Eises von Vastitas verlief jetzt zwischen dem Elysium-Massiv und der Großen Böschung; und obwohl er bereits durch Pontonbrücken überspannt war, stand Elysium im Begriff, ein Inselkontinent zu werden. In allen drei großen Städten waren Massen auf die Straßen geströmt und hatten die Büros und physikalischen Versorgungsanlagen der Stadt besetzt. Ohne die Drohung mit Angriffen aus dem Orbit zu ihrer Unterstützung hatten die geringen Polizeikräfte der Übergangsbehörde in den Städten entweder Zivil angezogen und waren in der Menge verschwunden oder in den Zug nach Burroughs gestiegen. Elysium war unzweifelhaft ein Teil des freien Mars.
Unten in den Büros von Mangalavid stellten Nadia und Sax fest, daß eine große bewaffnete Schar von Rebellen den Bahnhof erobert hatte und jetzt damit beschäftigt war, vierundzwanzig und eine halbe Stunde täglich auf allen vier Kanälen Videoberichte zu senden, die alle mit der Revolte sympathisierten, mit langen Interviews von Menschen in allen unabhängigen Städten und Stellungen. Der Zeitrutsch war einer Zusammenfassung der Ereignisse des Vortages gewidmet.
Einige abseits gelegene Bergbaustationen in den radialen Schluchten von Elysium und den Phlegra-Bergen waren reine Unternehmungen der Metanationalen, zumeist von Amexx und Subarashii. Diese waren weitgehend mit neuen Emigranten besetzt, die in ihren Camps eingeschlossen waren und entweder still geworden waren oder jeden, der versuchte, sie zu belästigen, bedrohten. Einige hatten sogar ihre Absicht erklärt, den Planeten wieder zu erobern oder durchzuhalten, bis Verstärkungen von der Erde einträfen. Nadia gab den Rat, sie zu ignorieren. »Geht ihnen aus dem Weg und ignoriert sie! Blockiert ihr Kommunikationssystem, wenn ihr könnt, und laßt sie in Ruhe!«
Meldungen von anderswo her auf dem Mars waren aussichtsreicher. Senzeni Na war in den Händen von Leuten, die sich als Boone-Anhänger bezeichneten, obwohl sie nicht mit Jackie verbunden waren. Es waren Issei, Sansei und Yonsei, die ihr Mohole sofort John Boone genannt und Thaumasia zu einer ›Neutralen Stätte Dorsa Brevia‹ proklamiert hatten. Korolyov, jetzt nur noch eine kleine Bergbaustadt, hatte fast so heftig wie 2061 revoltiert; und seine Bürger, viele von ihnen Abkömmlinge der alten Gefängnisbevölkerung, hatten die Stadt in Sergei Pavlovich Korolyov umbenannt und zu einer inoffiziellen anarchistischen Freizone erklärt. Die alten Gefängniskomplexe sollten zu einem riesigen Basar und kommunalen Wohngebiet umgewandelt werden, wobei die Flüchtlinge von der Erde besonders willkommen geheißen wurden. Nicosia war ebenso eine freie Stadt. Cairo stand unter der Kontrolle von Amexx-Sicherheitstruppen. Odessa und der Rest der Städte des Hellasbeckens hielten noch an Unabhängigkeit fest, obwohl die Strecke rund um Hellas an einigen Stellen unterbrochen war. Das System der magnetischen Schwebebahnen war in dieser Hinsicht schlecht. Damit die Strecken und Züge funktionierten, mußten die Magnetsysteme arbeiten, die aber leicht zu unterbrechen waren. Aus diesem Grund fuhren viele Züge leer oder wurden gestrichen, als die Leute auf Rover oder Flugzeuge umstiegen, um sicher zu sein, daß sie nicht irgendwo in der Wildnis strandeten in Fahrzeugen, die nicht einmal Räder hatten.
Nadia und Sax verbrachten den Rest des Sonntags damit, daß sie Entwicklungen überprüften und, wenn sie gefragt wurden, Vorschläge für Problemsituationen machten. Im allgemeinen hatte Nadia den Eindruck, daß die Dinge gut liefen. Aber am Montag kam schlechte Kunde von Sabishii. Das Expeditionscorps der UNTA war dort aus dem südlichen Gebirge eingetroffen und hatte nach einem schweren, die ganze Nacht dauernden Kampf mit den roten Guerilleros den Oberflächenteil der Stadt wieder erobert. Die Roten und die ursprünglichen Sabishiier hatten sich in das Haldenlabyrinth oder auswärtige Schutzräume zurückgezogen; es war klar, daß es im Labyrinth zu anhaltenden blutigen Kämpfen kommen würde. Art sagte voraus, daß die Sicherheitskräfte nicht imstande sein würden, in das Labyrinth einzudringen, und deshalb gezwungen sein müßten, Sabishii aufzugeben und mit Bahn oder Flugzeug nach Burroughs zu fliehen, um sich mit den bereits dort befindlichen Kräften zusammenzuschließen. Aber man konnte keineswegs sicher sein; und das arme Sabishii war durch den Angriff schwer angeschlagen und wieder in den Händen der Sicherheit.
Am Montag abend ging Nadia mit Sax los, um etwas zu essen aufzutreiben. Der Canyon von South Fossa war voller ausgewachsener Bäume. Riesige Sequoias ragten über ein unteres Stockwerk von Kiefern, Wacholdern und im tieferen Teil des Canyons Espen und Eichen empor. Während sie durch den Park am Flußufer gingen, wurden Nadia und Sax von den Mangalavidleuten einer Gruppe nach der anderen vorgestellt, zumeist Eingeborene und alles unbekannte Gesichter, aber alle sehr erfreut, sie kennenzulernen. Das war deutlich. Es war eigenartig, so viele Menschen offenbar fröhlich zu sehen. Im normalen Leben fiel einem das gar nicht auf, wie Nadia bemerkte. Überall Lächeln, Fremde, die miteinander sprachen… Es gab vieles, was entschwand, wenn eine soziale Ordnung zerbrach. Anarchie und Chaos waren gewiß allzu möglich, aber auch Gemeinschaft.
Sie speisten in einem Freiluftrestaurant am Hauptstrom und kehrten dann in die Büros von Mangalavid zurück. Nadia setzte sich wieder vor ihren Bildschirm und machte sich daran, mit so vielen Organisationskomitees zu sprechen, wie sie erreichen konnte. Sie fühlte sich wie Frank 2061 und bediente die Telefone in wilder Eile. Erst jetzt waren sie in Verbindung mit dem ganzen Mars; und sie hatte den klaren Eindruck, daß sie, wenn sie auch keineswegs die Führung hatte, doch zumindest ein gutes Gefühl dafür besaß, was vor sich ging. Und das war wirklich Gold wert. Die eiserne Walnuß in ihrem Magen fing an, sich mehr in so etwas wie Holz zu verwandeln.
Nach einigen Stunden begann sie, zwischen einem Anruf und dem nächsten für Sekunden in Schlaf zu fallen. In Underhill und Shalbatana war jetzt Mitternacht; und sie hatte seit dem Anruf von Sax wegen Antarctica nicht viel geschlafen. Das bedeutete vier oder fünf Tage ohne Schlaf — nein, halt —, sie rechnete nach: drei Tage. Obwohl es sich schon wie drei Wochen anfühlte.
Sie hatte sich gerade auf einer Couch hingelegt, als es ein Geschrei gab und alle in den Korridor rannten und dann hinaus auf die mit Steinen gepflasterte Plaza vor den Mangalavidbüros. Nadia torkelte hinter Sax her, der sie am Arm packte und half, Balance zu halten.
Offenbar gab es ein Loch im Kuppeldach. Die Leute zeigten hin, aber Nadia konnte es nicht erkennen.
»Hier sind wir jetzt besser dran«, sagte Sax mit einem leicht befriedigten Zug um den Mund. »Der Druck unter dem Dach ist nur um hundertfünfzig Millibar höher als außen.«
»Darum zerplatzen die Dächer nicht wie angestochene Ballons«, sagte Nadia und erinnerte sich schaudernd an einige überkuppelte Krater von 2061.
»Und selbst wenn etwas Außenluft eindringt, ist es zumeist Sauerstoff und Stickstoff. Es gibt noch zu viel Kohlendioxid, aber nicht so viel, daß wir alle sofort vergiftet würden.«
»Wenn das Loch aber größer wäre«, sagte Nadia.
»Gewiß.«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir müssen den ganzen Planeten sichern, um wirklich in Sicherheit zu sein.«
»Gewiß.«
Nadia ging gähnend wieder hinein. Sie setzte sich wieder an ihre KI und verfolgte die vier Mangalavidkanäle, zwischen denen sie rasch hin und her schaltete. Die meisten großen Städte waren entweder offen für Unabhängigkeit oder in verschiedenen Pattsituationen, bei denen die Sicherheit die Kontrolle über die physikalischen Versorgungsanlagen hatte, aber nichts passierte und ein großer Teil der Bevölkerung in den Straßen wartete, um zu sehen, was als nächstes geschehen würde. Es gab eine Anzahl von Städten und Camps der Firmen, die noch ihre Metanationalen unterstützten. Aber im Falle von Bradbury Point und Huo Hsing Vallis, benachbarten Städten auf der Großen Böschung, hatten sich ihre metanationalen Eltern Amexx und Mahjari auf der Erde bekämpft. Welchen Einfluß das auf diese nördlichen Städte haben würde, war nicht klar; aber Nadia war sicher, daß es ihnen nicht helfen könnte, ihre Lage zu klären.
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