Sie legten an einem Anschlagbrett an und stellten die Motoren ab. Bly warf einen kleinen Gegenstand an einer Schnur über Bord, und drei der anderen Leute sammelten sich um einen kleinen Computerschirm auf Blys Armaturenbrett. Ein dünnes Kabel wurde von einer jämmerlich quietschenden Spule an der Seite heruntergelassen. Auf dem Schirm wechselte die Farbe des trüben Bildes von Braun zu Schwarz und wieder zu Braun.
»Woher wissen Sie, was Sie da sehen?« fragte Nirgal.
»Das wissen wir nicht.«
»Aber schauen Sie, da ist doch eine Tür.«
»Sehe ich nicht.«
Bly tastete auf einem kleinen Keybord unter dem Schirm. »Geh hinein, du Ding! Da. Jetzt sind wir drin. Dies sollte der Markt sein.«
»Hatten die nicht Zeit, ihre Sachen wegzuschaffen?« fragte Nirgal.
»Nicht ganz. An der Ostküste Englands mußten alle sehr eilig wegziehen. Deshalb gab es nicht mehr Transportmöglichkeit als das, was man in seinem Wagen befördern konnte. Wenn überhaupt so viel. Viele Leute haben ihre Wohnungen so wie sie waren zurückgelassen. Also holen wir das Zeug heraus, das die Mühe wert ist.«
»Was ist mit den Besitzern?«
»Oh, da gibt es ein Register. Wir sehen das ein und finden die Leute, wenn wir können. Dann berechnen wir ihnen eine Bergungsgebühr, wenn sie das Zeug haben wollen. Falls sie nicht in dem Register stehen, verkaufen wir es auf der Insel. Die Leute brauchen Möbel und dergleichen. Hier, wollen wir mal sehen, was das ist.«
Er drückte eine Taste, und der Schirm wurde heller. »Ach ja. Ein Kühlschrank. Wir könnten ihn schon brauchen, aber er ist schwer hochzukriegen.«
»Was ist mit dem Haus?«
»Oh, das jagen wir in die Luft. Ein klarer Schuß, wenn wir die Ladungen richtig anbringen. Aber nicht heute morgen. Wir bringen einen Zettel an und ziehen weiter.«
Sie tuckerten weiter. Bly und noch ein Mann beobachteten weiterhin ständig den Schirm und diskutierten ruhig, wohin sie sich zunächst wenden sollten. Bly erklärte, Nirgal: »Diese Stadt war vor der Flut nicht ganz schuldenfrei. Sie ist seit ein paar hundert Jahren, schon seit dem Ende des Empire, abgesackt.«
Der andere Mann sagte: »Sie meinen, seit dem Ende der Segelschiffahrt.«
»Das ist dasselbe. Die alte Themse wurde danach immer weniger benutzt, und alle kleinen Häfen an der Mündung kamen immer mehr herunter. Und das ist schon lange her.«
Endlich stellte Bly den Motor ab und sah die anderen an. In ihren Whiskygesichtern erkannte Nirgal eine seltsame Mischung von Resignation und fröhlicher Erwartung. »Also dann hier!«
Die anderen Männer holten ein Tauchgerät hervor: Tauchanzüge, Tanks, einige Totalhelme. Bly sagte: »Wir dachten, das von Eric könnte Ihnen passen. Er war ein Riese.« Dann zog er einen langen schwarzen Schutzanzug aus dem übervollen Schrank, einen ohne Füße und Handschuhe, sowie eine Kapuze und Gesichtsmaske anstelle eines kompletten Helmes. »Da sind auch Stiefel dafür.«
»Ich würde sie gerne anprobieren!«
Er und zwei Leute zogen sich aus und legten die Schutzanzüge an. Sie schwitzten und stöhnten, als sie das Neopren überzogen und die Kragen mit den Reißverschlüssen dicht machten. An Nirgals Anzug war, wie sich zeigte, ein dreieckiger Lappen links am Rumpf ausgerissen, was günstig war, denn sonst hätte er wohl nicht gepaßt. Er war um die Brust sehr eng, dafür an den Beinen eher locker. Einer der anderen Taucher, Kev, verklebte den V-Schlitz mit Isolierband. »Das wird halten, jedenfalls für einen Tauchgang. Aber Sie sehen, was Eric passiert ist?« Er klopfte ihm auf die Seite. »Passen Sie auf, daß Sie nicht in einem Ihrer Kabel hängen bleiben!«
»Das werde ich.«
Nirgal fühlte sein Fleisch unter dem verklebten Riß kribbeln, der plötzlich sehr groß wirkte. Wenn man an ein sich bewegendes Kabel gefesselt war und durch Beton oder Metall gezerrt wurde — welche Agonie — ein tödlicher Schlag... Wie lange würde er danach bei Bewußtsein bleiben — eine Minute oder zwei? Im Dunkeln im Todeskampf herumgewirbelt...
Er riß sich von dem Gedanken an Erics Ende los, fühlte sich aber weiterhin erschüttert. Man befestigte ein Atemgerät an seinem Oberarm und der Gesichtsmaske. Sofort atmete er kühle Luft, reinen Sauerstoff, wie sie sagten. Bly fragte noch einmal, ob er wirklich hinuntergehen wollte, da Nirgal leicht zitterte. »Nein, nein. Mit Kälte komme ich gut zurecht«, erklärte Nirgal, »das Wasser ist gar nicht so kalt. Außerdem habe ich den Anzug jetzt schon durchgeschwitzt.«
Die anderen Taucher nickten. Sie schwitzten selber. Es war harte Arbeit, alles fertig zu machen. Das eigentliche Schwimmen war leichter. Eine Leiter hinunter und — o ja — von dem Druck der Ge frei zu sein, ein bißchen wie die Schwere auf dem Mars, oder sogar noch weniger. So eine Erleichterung! Nirgal atmete fröhlich den kühlen Sauerstoff aus der Flasche ein und weinte fast über die plötzliche Freiheit seines Körpers, als er durch eine angenehme Dämmerung schwebte. O ja, diese Welt auf der Erde lag unter Wasser.
Weiter unten waren die Dinge ebenso dunkel und amorph, wie sie auf dem Schirm ausgesehen hatten. Bis auf die schmalen Lichtkegel der offenbar sehr starken Kopflampen der anderen beiden Männer. Nirgal folgte über und hinter ihnen und hatte so die beste Sicht. Das Wasser in der Themsemündung war kühl, Nirgal schätzte etwa 285 K, aber nur sehr wenig davon sickerte durch Manschetten und Kapuze. Außerdem war das im Anzug eingeschlossene Wasser durch seine Anstrengungen bald so heiß, daß seine kühlen Hände und Gesicht (und die linken Rippen) ihn immerhin vor Überhitzung bewahrten.
Die beiden Lichtkegel schössen hierhin und dahin, wenn sich die beiden Taucher umschauten. Sie schwammen längs einer schmalen Straße. Den Anblick der Häuser und Bordsteine, der Bürgersteige und Straßen ließ das trübe Wasser so unheimlich erscheinen wie den Nebel an der Oberfläche.
Dann schwebten sie vor einem dreistöckigen Backsteinhaus, das den engen dreieckigen Platz füllte, der an eine spitzwinklige Straßenkreuzung grenzte. Kev machte Nirgal ein Zeichen, draußen zu bleiben, was dieser gerne tat. Der andere Taucher hatte ein Kabel gehalten, das so dünn war, daß man es kaum sehen konnte. Nun schwamm er in einen Torweg und zog es hinter sich her. Dann machte er sich daran, einen kleinen Flaschenzug an dem Torweg anzubringen und das Kabel hindurchzufädeln. Die Zeit verging. Nirgal schwamm langsam um das keilförmige Gebäude und schaute in Büros, leere Zimmer und Wohnungen. Einige Möbel schwammen an der Decke. Eine Bewegung in einem dieser Räume ließ ihn zurückschrecken. Er fürchtete das Kabel; aber das war auf der anderen Seite des Hauses. Etwas Wasser drang in sein Mundstück, und er schluckte, um es zu beseitigen. Es schmeckte nach Salz, Schlamm und Pflanzen und noch etwas Unangenehmem. Er schwamm weiter.
Hinten am Torweg bemühten sich Kev und der andere Mann, einen kleinen metallenen Safe durch die Tür zu zerren. Als er frei war, ruderten sie in eine aufrechte Position und warteten dort, bis das Kabel fast direkt über ihren Köpfen senkrecht nach oben führte. Danach schwammen sie wie in einem ungeschickten Ballett um den Zwischenraum; und der Safe schwebte an die Oberfläche und verschwand. Kev schwamm wieder nach drinnen zurück und kam mit heftigen Stößen zurück, in den Händen etwas wie kleine Säcke. Nirgal stieß sich hinüber und nahm ihm einen davon ab. Dann bewegte er sich mit ausholenden Schlägen zum Boot. Er kam ins helle Licht des Nebels an der Oberfläche. Er wäre gern wieder hinuntergegangen, aber Bly wollte nicht, daß sie noch länger blieben. Darum warf Nirgal seine Flossen ins Boot und kletterte über die Leiter an der Seite hinein. Als er auf der Bank saß, schwitzte er, und es war eine Erleichterung, die Kapuze vom Kopf zu ziehen, obwohl sein Haar dadurch kräftig nach hinten gezerrt wurde. Die feuchtkühle Luft war ein angenehmes Gefühl auf der Haut, als man ihm half, den Anzug abzustreifen.
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