»Bitte. Lassen Sie mich gehen.« Sie schmiegt sich in seinen Schritt. »Ich mach alles, was Sie wollen.«
»Glaubst du, ich würde mich derart besudeln?« Er stößt sie gegen die Wand, und sie schreit erschrocken auf. »Mit einem Tier wie dir?« Ein kurze Pause, dann: »Knie dich hin.«
Auf der Straße klappern Fahrradrischkas über Pflastersteine. Leute fragen lauthals nach den Preisen von Hanfseilen und ob jemand weiß, wann der Muay-Thai -Kampf im Lumphini stattfindet. Das Messer schmiegt sich an ihren Hals, und die Spitze findet ihren Puls. »Ich musste mit ansehen, wie alle meine Freunde im Wald starben, und das nur wegen diesen japanischen Aufziehsoldaten.«
Sie schluckt und wiederholt leise: »So eine bin ich nicht.«
Er lacht. »Natürlich nicht. Du bist etwas ganz anderes. Du gehörst zu den Teufeln, die sie sich in den Schiffswerften auf der anderen Seite des Flusses halten. Unser Volk verhungert, und ihr nehmt uns den Reis weg.«
Der Druck der Klinge wird stärker. Er will sie töten, davon ist sie überzeugt. Sein Hass ist groß, und sie ist nichts weiter als Abfall. Er ist high und zornig und gefährlich, und sie ist nichts. Nicht einmal Gendo-sama hätte sie jetzt beschützen können. Sie schluckt und spürt dabei, wie sich die Klinge gegen ihren Adamsapfel presst.
Wirst du so sterben? Ist das deine Bestimmung? Einfach ausgeblutet zu werden wie ein Schwein?
Zorn lodert in ihr auf, ein Gegengift gegen die Verzweiflung.
Wirst du nicht einmal um dein Überleben kämpfen? Haben die Wissenschaftler dich so dumm gemacht, dass du nicht einmal einen Versuch unternimmst, dich zu retten?
Emiko schließt die Augen und betet zu Mizuko Jizo Bodhisattva und dann sicherheitshalber zu Bakeneko, dem Geist der Cheshire. Sie holt tief Luft und schlägt dann mit ganzer Kraft die Hand mit dem Messer beiseite. Die Klinge fährt ihr über den Hals, ein brennender Schnitt.
»Arai wai?!«, ruft der Mann aus.
Emiko versetzt ihm einen Stoß und weicht dem Messer aus, das durch die Luft zuckt. Als sie in Richtung Straße sprintet, hört sie hinter sich ein Ächzen und einen dumpfen Schlag. Sie blickt nicht zurück. Sie stürzt auf die Straße, und dabei ist es ihr gleichgültig, dass sie sich als Aufziehmädchen zu erkennen gibt, es ist ihr egal, dass sie, wenn sie rennt, sich überhitzen und sterben wird. Sie ist wild entschlossen, dem Dämon, der sie verfolgt, zu entkommen. Sie wird brennen, aber sie wird nicht sterben, ohne sich zu wehren, wie ein Schwein, das zur Schlachtbank geführt wird.
Sie flieht die Straße hinunter, weicht Pyramiden aus Durianfrüchten aus und springt über zusammengerollte Hanfseile. Diese selbstmörderische Flucht ist unsinnig, aber sie bleibt nicht stehen. Sie drängt einen Gaijin beiseite, der um Jutesäcke mit einheimischem U-Tex-Reis feilscht. Er fährt herum, stößt einen Schreckensschrei aus, doch sie ist schon vorbei.
Überall um sie herum scheint der Verkehr auf der Straße nur noch dahinzukriechen. Emiko schlüpft unter dem Bambusgerüst einer Baustelle hindurch. Es fällt ihr seltsam leicht zu rennen. Die anderen Menschen scheinen in Honig festzustecken. Nur sie bewegt sich. Als sie einen Blick über die Schulter wirft, sieht sie, dass ihr Verfolger weit zurückgefallen ist. Er ist überraschend langsam. Erstaunlich, dass sie überhaupt Angst vor ihm hatte. Sie lacht, so absurd ist diese Welt, in der alles stillsteht …
Sie stößt mit einem Arbeiter zusammen und schlägt lang hin, wobei sie ihn mit sich reißt. »Arai wa!«, ruft der Mann. »Pass doch auf!«
Emiko stemmt sich auf die Knie hoch, ihre Hände aufgeschürft und taub. Sie versucht aufzustehen, aber die Welt verschwimmt ihr vor den Augen und kippt zur Seite hin weg. Sie stürzt erneut zu Boden. Rappelt sich wieder auf wie betrunken; die Hitze in ihrem Innern droht sie zu überwältigen. Der Boden neigt sich und dreht sich im Kreis, doch es gelingt ihr sich aufzurichten. Sie lehnt sich gegen die sonnenheiße Wand, während der Mann, mit dem sie zusammengestoßen ist, sie anschreit. Sein Zorn brandet über sie hinweg, doch das kümmert sie nicht. Finsternis und Hitze dringen auf sie ein. Sie verbrennt.
Auf der Straße, im Gewirr der Mulikarren und Fahrräder, entdeckt sie das Gesicht des Gaijin. Sie blinzelt die Finsternis beiseite und stolpert einen Schritt vorwärts. Ist sie verrückt? Treibt der Bakeneko -Cheshire seine Späße mit ihr? Sie packt den Mann, der sie anschreit, an der Schulter, starrt in den Verkehr hinaus, um die Halluzination, die ihr siedendes Gehirn ihr vorgegaukelt hat, wiederzufinden. Der Arbeiter stößt einen Schrei aus und weicht vor ihr zurück, doch sie bemerkt es kaum.
Wieder erhascht sie einen kurzen Blick auf das blasse Gesicht. Es ist der Gaijin, der mit der Narbe aus Raleighs Club. Der ihr gesagt hat, sie solle nach Norden gehen. Seine Rikscha ist kurz zu sehen, bevor sie hinter einem Megodonten verschwindet. Und dann ist sie wieder da, auf der anderen Seite, und er blickt in ihre Richtung. Es ist derselbe Mann. Dessen ist sie sich sicher.
»Haltet sie fest! Lasst die Heechy-Keechy nicht entkommen!«
Ihr Angreifer, der schreit und mit dem Messer wedelt, während er durch das Bambusgerüst kraxelt. Sie staunt, wie langsam er ist, so viel langsamer, als sie erwartet hätte. Verwirrt blickt sie ihm entgegen. Vielleicht ist er von seiner Zeit im Krieg auch an den Füßen verkrüppelt. Aber nein, sein Gang ist tadellos — alles um sie herum ist langsam: die Leute, der Verkehr. Sonderbar. Surreal und langsam.
Der Arbeiter packt sie. Emiko lässt zu, dass er sie wegzerrt, wobei sie weiter den Verkehr nach dem Gaijin absucht. Hat sie sich das nur eingebildet?
Dort! Dort ist er wieder! Emiko streift die Hände des Arbeiters ab und stürzt auf die Straße. Mit letzter Kraft duckt sie sich unter dem Bauch eines Megodonten hindurch — fast wäre sie in seine riesigen Säulenbeine hineingelaufen —, und schon ist sie auf der anderen Seite, wo sie neben der Rikscha des Gaijin herläuft, die Hände zu ihm hochstreckt wie ein Bettler …
Er betrachtet sie mit kaltem Blick, als ginge ihn das alles nichts an. Sie stolpert und hält sich an der Rikscha fest, obwohl sie weiß, dass er sie zurückstoßen wird. Sie ist nur ein Aufziehmädchen. Wie töricht sie doch war zu glauben, dass er in ihr einen Menschen sehen könnte, eine Frau und nicht nur ein Stück Abfall.
Plötzlich packt er ihre Hand und zieht sie zu sich herauf. Der Gaijin ruft seinem Fahrer zu, er solle sich beeilen, mit aller Kraft in die Pedale treten — gan cui chi che, kuai kuai kuai! Er speit Wörter in drei verschiedenen Sprachen aus, und schließlich beschleunigen sie, wenn auch langsam.
Ihr Angreifer springt auf die Rikscha. Er schlitzt ihr die Schulter auf. Emiko sieht, wie ihr Blut auf die Sitze spritzt. Tropfen wie Edelsteine, die im Sonnenlicht funkeln. Er hebt erneut das Messer. Sie versucht, sich zu verteidigen, ihn abzuwehren, aber sie ist zu müde. Sie ist ganz schwach vor Erschöpfung und Hitze. Der Mann stößt einen Schrei aus und geht erneut auf sie los.
Emiko schaut zu, wie das Messer herabfährt, eine Bewegung, die so langsam ist wie Honig, der im Winter ausgegossen wird. Unfassbar langsam. Unfassbar weit weg. Ihre Haut platzt auf. Alles verschwimmt. Sie wird ohnmächtig. Das Messer fährt erneut herab.
Plötzlich wirft sich der Gaijin dazwischen. In seiner Hand schimmert eine Federpistole. Emiko schaut zu, vage erstaunt, dass der Fremde eine Waffe bei sich trägt. Doch der Kampf zwischen dem Gaijin und dem Yabasüchtigen ist so klein und so weit weg. Alles wird schwarz … Die Hitze schlägt über ihr zusammen.
Das Aufziehmädchen rührt keinen Finger, um sich zu verteidigen. Sie schreit auf, zuckt jedoch kaum zusammen, als das Messer sie verletzt. »Bai!«, ruft Anderson Lao Gu zu. »Kuai kuai kuai!«
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