„Das Ding fliegt über uns hinweg“, sagte der Kommandant, „manchmal in gerader Linie, manchmal in Kreisen. Wenn es einen Bogen beschreibt, kippt es etwas, aber sonst verändert sich nichts. Es scheint einen kleinen Körper zu haben, wo sich die beiden Stangen treffen…“ Er beschrieb weiter, was er sah, aber das Ding war offenbar so neuartig für ihn, daß er es in einer fremden Sprache kaum beschreiben konnte.
„Kneifen Sie die Augen zusammen, sobald das Ding in Sicht kommt“, sagte einer der Techniker plötzlich aus dem Hintergrund. „Ich arbeite mit hochempfindlichem Film, muß aber trotzdem die Bildhelligkeit steigern, damit die Aufnahme genügend Einzelheiten zeigt.“
„… quer zu der langen Stange sind viele kurze Stangen angebracht“, fuhr Barlennan fort, „zwischen denen eine Art Segel ausgespannt ist. Jetzt kommt es wieder sehr niedrig auf uns zu — diesmal müßte es auf den Bildschirmen erscheinen…“
Die Beobachter richteten sich gespannt auf, und der Techniker faßte den Zweifachschalter fester, der die Helligkeit steigern und den Kameraverschluß auslösen würde. Obwohl er darauf vorbereitet war, erreichte das Ding die Mitte des Bildschirms, bevor er reagierte, und die Anwesenden hatten Gelegenheit, es ausgiebig zu betrachten, bis ihre Augen sich vor der zunehmenden Helligkeit unwillkürlich schlossen.
Der Kameramann schaltete auf Entwicklung um, spulte den Film zurück und projizierte fünfzehn Sekunden später ein vergrößertes Bild auf die Rückwand des Beobachtungsraums. Nun sahen alle, daß Barlennan tatsächlich nicht imstande gewesen war, das Ding auf Englisch zu beschreiben, denn ihm fehlten Wörter wie ›Rumpf‹, ›Tragfläche‹ oder ›Bespannung‹.
Das Ding war kein Vogel. Es hatte einen etwa zwei Meter langen Rumpf, aus dem eine zwei oder drei Meter lange Stange nach rückwärts ragte, an deren Ende Steuerflächen angebracht waren. Die Tragflächen hatten fast zehn Meter Spannweite, und ihre zahlreichen Holme waren unter der durchsichtigen Bespannung deutlich zu erkennen. Barlennan hatte das Ding mit seinem beschränkten Wortschatz ausgezeichnet beschrieben.
„Ein Segelflugzeug“, murmelte der Meteorologe neben Lackland vor sich hin. „Bei dieser Größe muß es drei oder vier Eingeborenen Platz bieten und kann praktisch unbegrenzt lange in der Luft bleiben, bis die Besatzung wieder Lebensmittel an Bord nehmen muß.“
Der Kommandant und seine Leute wurden inzwischen allmählich nervös, als die seltsame Flugmaschine weiter ihre Kreise über dem Schiff zog; das war nicht erstaunlich, denn niemand läßt sich gern von jemand beobachten, den er selbst nicht sehen kann. Die Bree segelte weiter, bis endlich die Sonne unterging; am folgenden Morgen wußte niemand, ob es ein gutes oder schlechtes Zeichen war, daß das Flugzeug sich wieder entfernt hatte.
Als es auch an den folgenden Tagen nicht am Himmel erschien, vergaß die Besatzung den seltsamen Zwischenfall, und der Kommandant tröstete sich mit der Auskunft seiner Freunde, daß starker Wind und eine niedrige Wolkendecke kein ideales Flugwetter ergäben. Allerdings kamen selbst die Menschen nicht auf die Idee, sich zu fragen, wie das erste Flugzeug sich unter dieser Wolkendecke zurechtgefunden hatte, die alle Sterne verdeckte.
Die erste Insel, die wenige Tage später in Sicht kam, wuchs aus dem Meer bis zu den Wolken empor und schien überall gute Liegeplätze zu bieten. Der Kommandant entschloß sich, nicht lange Zeit mit der Suche nach einem besonders guten Platz zu vergeuden, da der Meteorologe ihn gewarnt hatte, daß der Sturm bald die Inselgruppe erreichen mußte. Die Bree lief also in die erste Bucht ein, die von hohen Felswänden ausreichend geschützt wurde, und warf dort Anker. Die Besatzung traf die nötigen Vorbereitungen und wartete dann in aller Ruhe auf das Herannahen des Sturmes.
Dondragmer war der einzige, der den allgemeinen Optimismus nicht teilte, und sein Kommandant hatte wenig später ebenfalls Grund zur Besorgnis, als der Maat ihm zeigte, was er entdeckt hatte: Zwischen dem niedrigen Pflanzenwuchs der Uferhügel lagen Muscheln, Seetang und die Knochen größerer Meerestiere verstreut. Diese Schicht erstreckte sich bis etwa zehn Meter oberhalb der gegenwärtigen Uferlinie; die Überreste waren teilweise bereits vermodert, oder teilweise noch recht frisch, so daß ein logischer Schluß nahelag — unter bestimmten Voraussetzungen stieg der Meeresspiegel in dieser Bucht über den normalen Stand hinaus an, und die Bree lag hier vielleicht doch nicht so sicher, wie die Besatzung glaubte.
Dieser Verdacht bestätigte sich früher als erwartet, denn der Sturm brach unvermutet los, bevor der Kommandant den Befehl erteilen konnte, die Bree höher an Land zu ziehen, was nicht weiter schwierig gewesen wäre, da das Schiff an der Mündung eines kleinen Flusses lag, dem es nur zu folgen brauchte. Barlennan überlegte noch, ob er diesen Entschluß verwirklichen sollte, als der Sturm derartige Überlegungen gegenstandslos machte. Ein jäher Windstoß ließ die Bree erzittern und veranlaßte die Besatzung, schleunigst unter ihren Abdeckungen Schutz zu suchen.
Dann geschah das Unerwartete — die Bucht leerte sich plötzlich, so daß die Bree auf Grund lag, und füllte sich ebenso rasch wieder. Eine Flutwelle brandete vom Meer her über das Schiff hinweg und riß es unwiderstehlich mit. Gleichzeitig sank die Abenddämmerung herab, so daß Barlennan nur vermuten konnte, wohin die wilde Fahrt ging: den kleinen Fluß entlang Richtung landeinwärts. In der Dunkelheit lief die Bree irgendwo auf Grund, als die Flutwelle sich erschöpfte. Bei Tageslicht wäre es der Besatzung vielleicht gelungen, das Schiff trotz Wind und Wetter rechtzeitig wieder flottzumachen; sie durfte es jedoch nicht wagen, sich nachts der Gewalt des Sturmes auszusetzen, der bereits sämtliche Masten geknickt hatte. Als die Sonne wieder aufging, beleuchtete sie eine jämmerliche Ansammlung von Flößen zwanzig Meter vom Fluß entfernt, der zu schmal und zu seicht war, um auch nur eines davon zu tragen.
Das stürmische Meer lag irgendwo jenseits der Hügel; ein hilflos gestrandetes sechs Meter langes Seeungeheuer am gegenüberliegenden Ufer des kleinen Flusses demonstrierte die verzweifelte Lage der Südpolexpedition.
Die Beobachter auf Toorey hatten diese Entwicklung auf den Bildschirmen verfolgen können, denn die Funkgeräte gehörten zu den wenigen Gegenständen an Deck der Bree, die den Sturm unbeschädigt überstanden hatten. Auf dem Höhepunkt des Sturmes war nicht allzuviel zu erkennen gewesen, aber die gegenwärtige Situation machte alle Erklärungen überflüssig. Lackland und die übrigen Männer im Beobachtungsraum suchten vergeblich nach aufmunternden Worten.
Auch die Meskliniten waren einigermaßen sprachlos. Sie waren daran gewöhnt, ihr Schiff an Land liegen zu sehen — aber nicht so unfreiwillig rasch und so weit vom Meer entfernt. Barlennan und sein Maat begannen mit einer Bestandsaufnahme und stellten dabei fest, daß sie wenig Anlaß hatten, ihrem Schicksal dankbar zu sein.
Zum Glück waren noch genügend Lebensmittel an Bord, obwohl das Kanu leer war. Dondragmer schloß daraus, die Flöße seien dem Boot doch überlegen, vergaß aber zu erwähnen, daß die Vorräte im Kanu nicht festgebunden gewesen waren, weil er selbst auf die hohen Bordwände vertraut hatte. Das kleine Boot und die Bree waren unbeschädigt geblieben; das Schiff lag sogar auf ebenem Kiel, was seiner Konstruktion zu verdanken war — Barlennan erwähnte diese Tatsache selbst, bevor sein Maat davon sprechen konnte. Schiff, Besatzung und Ladung hatten den Sturm einigermaßen heil überstanden — aber die Bree lag weit von ihrem eigentlichen Element entfernt.
„Am besten zerlegen wir sie und schleppen die Flöße über die Hügel zum Meer. Das Gewicht dürfte hier noch keine große Rolle spielen“, meinte Barlennan schließlich.
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