Hector, dessen Hände sich plötzlich ganz klamm anfühlten, blickte sich verstohlen um und murmelte: »Ja, eigentlich muß jemand an der Kontrollkonsole sitzen, um das, äh, Duell zu überwachen… ich meine…«
»Nur ein paar Minuten, ja?« Geri knipste ihr unwiderstehlichstes Lächeln an.
Hectors Widerstand zerschmolz. »Okay… das müßte eigentlich gehen. Aber nur für ein paar Minuten!«
Er brachte sie zu der einen Kabine und half ihr, die Neurokontakte anzulegen. Dann ging er zur Kommandokonsole zurück und aktivierte mit zittrigen Händen die Maschine. Jedes Instrument kontrollierte er doppelt, drückte dann eine Reihe von Tasten und sprintete zu der anderen Kabine, wo er prompt stolperte und mit ziemlichem Getöse gegen den Sitz prallte. Er setzte sich hastig, legte mit fliegenden Fingern die Neurokontakte an und starrte dann auf den Bildschirm.
Nichts geschah.
Einen Moment überfiel ihn Panik. Dann glomm der Schirm auf, Farben changierten, vorwiegend Grüntöne, ein sattes, kühles Grün mit einer Spur Blau…
Und plötzlich schwebte er neben Geri in einer Welt von Grün; von hoch über ihm fiel helleres, ebenfalls grünliches Licht ein.
»Hallo«, sagte Geri.
Er grinste ihr zu›»Hallo, Geri.«
»Ich wollte schon immer gerne wissen, wie das wäre, so ganz ohne technische Hilfsmittel unter Wasser zu leben, wie eine Meerjungfrau.«
Hector bemerkte Hunderte von Fischen, die träge um sie herumschwammen. Als seine Augen sich an das Zwielicht gewöhnt hatten, entdeckte er bizarre Korallengebilde in Farben, wie er sie noch nie im Leben gesehen hatte.
»Unser Schloß«, sagte Geri, schwamm langsam auf einen Korallenturm zu und verschwand dahinter.
Hector stellte fest, daß er ihr mühelos folgen konnte. Das Wasser schien keinen Widerstand zu bieten. Er fühlte sich völlig entspannt, völlig zu Hause. Jetzt sah er sie wieder graziös vor sich schweben und schwamm an ihre Seite. Ein großer silberner Fisch kreuzte ihre Bahn, und leuchtend getönte Wasserpflanzen wiegten sich sanft in der Strömung.
»Ist das nicht wunderschön?« murmelte Geri. »Unsere eigene kleine Welt, ohne Sorgen, ohne Gefahren.«
Hector nickte. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß sie in Wirklichkeit in zwei dreißig Meter voneinander entfernten Kabinen saßen. Schwer zu glauben, daß es noch eine andere Welt gab, in der ein Krieg drohte, in der Odal auf der Lauer lag, um einen weiteren Mord zu begehen.
Ein dunkler Schatten glitt hinter den Korallenriffen hervor. Geri schrie auf.
Es war Odal. Schlank, ganz in Schwarz gekleidet, sein hageres Gesicht eine tödliche Maske.
»Hector, er ist hinter mir her! Hector, hilf mir!«
Alles wurde schwarz.
Hector riß die Augen auf. Er saß neben Geri in der Kabine und hielt sie schützend in den Armen. Sie zitterte am ganzen Leib.
»Wie…«
»Meine Schuld«, keuchte sie. »Ich habe an Odal gedacht…«
Die Kabinentür wurde aufgerissen. Leoh starrte sie entgeistert an. »Was habt ihr denn angestellt? Der gesamte Strom im Haus ist ausgefallen!«
»Tut mir leid…«, setzte Hector an.
»Es war meine Schuld«, fiel ihm Geri ins Wort. Sie erklärte Leoh, was passiert war.
Leohs Miene war noch immer verwirrt. »Aber wieso seid ihr denn in der gleichen Kabine?«
Hector setzte zu einer Antwort an, dann kam es ihm mit einem Mal. »Ich… ich war in der anderen Kabine!«
»Die ist leer«, erklärte Leoh. »Dort habe ich zuerst nachgesehen, als der Strom ausfiel. Die Tür war geschlossen.«
Hector blickte Geri an, dann wieder den Professor. »Ich muß aus der Kabine gesprungen und hierhergerannt sein… aber… ich kann mich überhaupt nicht daran erinnern!«
Der leitende Meditechniker kam aufgebracht in den Saal gestürzt. »Was geh hier vor? Wer hat die Hauptsicherungen durchgehauen?«
Leoh drehte sich zu ihm um. »Kein Grund zu Aufregung. Nur ein kleines Experiment, das leider nicht geklappt hat.«
Im verblassenden Abendlicht inspizierte der Meditechniker die Kommandokonsole, während Hector und Geri aus der Kabine traten. Er fluchte verhalten und warf ihnen giftige Blicke zu.
»Hat sicher keine bleibenden Schäden hinterlassen«, sagte Leoh beruhigend.
Die Kontrollampen flammten wieder auf, desgleichen die Saalbeleuchtung. »Hmm«, brummte der Meditechniker. »Scheint alles okay zu sein. Power ist wieder da.«
»Ich begreife das nicht«, sagte Hector.
»Ich auch nicht«, gab Leoh zu. »Aber ich werde mir den Kopf darüber zerbrechen.«
»Worüber?«
»Wie Hector von der einen Kabine in die andere geraten ist.«
Dem leitenden Meditechniker rief er zu: »Ich nehme mir die Kontrollaufzeichnungen dieses, äh, Experiments. Sie haben doch nichts dagegen?«
Mit der aggressiven Überängstlichkeit eines besorgten Vaters wieselte der Meditechniker um seine geliebte Maschine herum. Er nickte ungnädig in Leohs Richtung. »Ich glaube, Sie sollten sich diese Experimente verkneifen, bis wir eine stärkere Energieversorgung und ein Notstromaggregat installiert haben. Die halbe Universität war ohne Saft.«
Leoh saß in seinem Arbeitszimmer hinter der Duellmaschine und starrte auf den jetzt leeren Bildschirm. In drei Tagen hatte er das Band mindestens hundertmal ablaufen lassen. Bis auf die Picosekunde hatte er den Handlungsablauf nachgemessen. Er hatte Hector und Geri zugesehen, wie sie wie zwei menschliche Delphine träge und glücklich durch das Wasser geglitten waren. Dann kam Odals raubfischhafte Gestalt ins Bild. Geri schrie auf. Die Szene endete abrupt.
Genau in diesem Moment — plus oder minus zwei Picosekunden, wie Leoh ausgemessen hatte — fiel der gesamte Strom aus.
Wie lange brauchte Hector von seiner Kabine zu Geri? Dreißig Sekunden? Leoh hatte ungefähr dreißig Sekunden nach dem Stromausfall die Tür von Hectors Kabine aufgerissen. Also weniger. Zehn Sekunden? Unmöglich. Niemand konnte in zehn Sekunden die Neurokontakte abstreifen und zu der anderen Kabine laufen. Und beide Türen waren auch noch geschlossen gewesen.
»In Anbetracht von Hectors körperlicher Gewandtheit«, murmelte Leoh vernehmlich, »würde es mich wundern, wenn er die Strecke in weniger als zehn Minuten schafft.«
Also, fragte er sich, wie ist er in Geris Kabine gekommen? Präkognition? Hat er vorausgeahnt, daß Odal auftauchen und Geri erschrecken würde? Aber warum erinnert er sich dann nicht daran, erinnert sich nicht einmal, von der einen Kabine zur anderen gelaufen zu sein? Und warum dieser enorme Stromverbrauch? Was ist in der Maschine vorgegangen und hat solch eine extreme Belastung verursacht?
Leoh fiel nur eine Erklärung ein, aber die war so abwegig, daß er lieber nach einer anderen suchte. Diese eine Erklärung war Teleportation.
Die Duellmaschine verstärkte die Fähigkeiten eines natürlichen Telepathen. Einige Telepathen konnten angeblich kleine Gegenstände ohne jede physische Krafteinwirkung bewegen. War es möglich, daß die Maschine auch solche Fähigkeiten verstärkte? Und so viel Energie dazu brauchte, daß die gesamte Stromversorgung zusammengebrochen war?
Leoh schüttelte den Kopf. Zu viele Hypothesen, zu wenige Fakten. Er wünschte sich, sie hätten Kameras in den Kabinen installiert; dann könnte er Hectors Ankunft genau einmessen. Hatte er den Trip in vier Picosekunden gemacht. Oder waren es vier Billionstel einer Sekunde?
Die Tür glitt auf, und Hector stand linkisch im Rahmen.
Leoh blickte hoch. »Ja?«
»Es ist Zeit… der, äh, Journalist und seine Sekundanten sind da.«
Ungehalten über die Störung schwang sich Leoh aus dem Stuhl und machte sich auf den Weg zur Duellmaschine. »Alles dummes Zeugs«, brummelte er. »Ein reiner Publicity-Gag.«
Der leitende Meditechniker, der jetzt in seinem offiziellen weißen Overall steckte, stellte die Duellanten und Sekundanten einander vor. Leoh hatte nur Hector benannt. Für den Journalisten gab es zwei Sekundanten: seinen Redakteur, ein mageres, kahlköpfiges, nervöses Männchen, und einen Network-Vizepräsidenten, der zufrieden und wohlgenährt aussah. Beschäftigt wahrscheinlich drei Diätspezialisten und einen Biochemiker, um sein Gewicht unter Kontrolle zu halten, dachte Leoh ungnädig.
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