Ben Bova
Die Duellmaschine
Für Myron R. Lewis —
Gelehrter, Fechter, Freund und Erfinder der Duellmaschine
Dulaq nahm das Gleitband zur oberen Fußgängerebene und ging hinüber zum Geländer. Vor ihm breitete sich die Stadt aus — großzügige Alleen, überquellend vor Geschäftigkeit, Promenaden, breite Fahrbahnen für den Roadster-Verkehr, Aero-Cars, die zwischen den schimmernden, turmhohen Bauwerken schwebten.
Und irgendwo in dieser Riesenstadt war der Mann, den er töten mußte. Der Mann, der ihn töten mochte.
Alles schien so realistisch! Der Straßenlärm, der Duft der parfümierten Bäume; selbst die Wärme der rötlichen Sonne verspürte er im Rücken, während er die Szenerie vor sich überflog.
Es ist eine Illusion, rief sich Dulaq in Erinnerung zurück. Eine raffinierte, künstlich erzeugte Halluzination. Ein Produkt meiner Einbildung, verstärkt durch eine Maschine.
Aber es wirkte so ungeheuer realistisch.
Echt oder eingebildet — er mußte Odal finden, bevor die Sonne unterging. Ihn finden und ihn töten. So lauteten die Bedingungen des Duells. Er tastete nach dem kurzen, zylindrischen Stat-Strahler in der Tasche seiner Tunika. Das war die Waffe, die er gewählt hatte, seine Waffe, seine eigene Erfindung. Und dies war die Umgebung, die er sich ausbedungen hatte: seine Stadt, geschäftig, lärmerfüllt, voller Menschen. Die Metropole, die Dulaq seit seiner Kindheit kannte und liebte.
Dulaq wandte sich um und warf einen Blick auf die Sonne. Sie stand bereits im letzten Viertel über dem Horizont. Ungefähr drei Stunden blieben ihm, um Odal zu finden. Und wenn er ihn fand, hieß es: töten oder getötet werden.
Natürlich wird dabei niemand ein Haar gekrümmt. Das ist das Schöne an der Maschine. Sie erlaubt dir, einen Streit auszutragen, eine alte Rechnung zu begleichen, Aggressionen abzubauen, ohne daß dabei jemand körperlichen oder seelischen Schaden nimmt.
Dulaq zuckte die Achseln. Er war ein rundlicher Mann mit einem Vollmondgesicht und hängenden Schultern. Es wartete Arbeit auf ihn, die getan werden mußte. Unangenehme Arbeit für einen zivilisierten Menschen, aber die Zukunft des Acquataine Clusters und das Bündnis mit den Nachbarsystemen konnte sehr wohl vom Ausgang dieses elektronisch erzeugten Traums abhängen.
Er drehte sich um und ging die Hochpromenade hinunter, wobei er darüber staunte, wie fest und wirklich ihm bei jedem Schritt der Straßenbelag unter seinen Füßen vorkam. Kinder stürmten vorüber und liefen zum Schaufenster eines Spielwarengeschäfts. Geschäftsleute schritten zielbewußt dahin, fanden aber noch genügend Zeit, die vorüberbummelnden Mädchen wohlgefällig zu mustern.
Ich muß eine erstaunliche Phantasie besitzen. Dulaq lächelte heimlich.
Dann dachte er an Odal, den blonden, eiskalten Profi, mit dem er sich messen mußte. Odal war ein Experte in allen Waffengattungen, kraftstrotzend und voll kühler Präzision, ein unbarmherziges Werkzeug in den Händen eines skrupellosen Politikers. Aber wäre er auch ein Experte mit dem Stat-Strahler, einer Waffe, die er direkt vor Beginn des Duells zum allerersten Mal gesehen hatte? Und wie vertraut konnte er mit der Metropole sein, nachdem er den größten Teil seines Lebens in den Militärlagern der trostlosen Planeten von Kerak zugebracht hatte, sechzig Lichtjahre von Acquatainia entfernt?
Nein, Odal würde hilf- und ratlos sein in dieser Situation. Er würde sich in der Menschenmenge zu verstecken suchen. Dulaq brauchte ihn lediglich aufzuspüren.
Die Bedingungen des Duells beschränkten die beiden Männer auf die Fußgängerzone des Geschäftsviertels. Dulaq kannte diese Gegend wie seine Tunikatasche, und methodisch begann er zwischen den Menschentrauben nach dem großen, blonden, blauäugigen Odal zu suchen.
Und er sah ihn! Schon nach einem kurzen Streifzug über die Hauptpromenade entdeckte er seinen Gegner unter sich auf einem rechtwinklig kreuzenden Weg, wo er gemächlich dahinschlenderte. Dulaq eilte die Rampe hinab, drängte sich durch die Menge und erblickte erneut den Mann, groß, blond, unverkennbar Odal. Ruhig und unauffällig heftete sich ihm Dulaq an die Fersen. Kein Drängeln. Kein Schieben. Er hatte Zeit. Eine Viertelstunde lang gingen sie so die Straße entlang, wobei der Abstand zwischen ihnen von fünfzig Metern auf fünf Meter zusammenschrumpfte.
Schließlich war Dulaq direkt hinter ihm, eine Armlänge entfernt. Er packte den Stat-Strahler und zog ihn aus der Tunika. Mit einer raschen Bewegung drückte er ihn dem Mann gegen den Hinterkopf und legte den Daumen auf den Knopf, der einen tödlichen Energiestrahl auslösen würde.
Der Mann drehte sich plötzlich um. Es war nicht Odal!
Verdutzt schrak Dulaq zurück. Unmöglich. Er hatte sein Gesicht gesehen. Es war Odal gewesen… und doch war dieser Mann ein Unbekannter. Dulaq spürte den Blick des anderen, während er sich umdrehte und hastig davonlief.
Eine Verwechslung, sagte er sich. Du warst übereifrig und voreilig. Ein Glück, daß dies nur eine Halluzination ist, sonst hätte dich die Robotpolizei jetzt schon am Wickel.
Und doch… er war so felsenfest überzeugt gewesen, daß es sich um Odal handelte. Ein kalter Schauder überlief ihn. Er blickte auf, und dort stand sein Widersacher, auf der Promenade über ihm, an genau der gleichen Stelle, wo er selbst noch vor ein paar Minuten gestanden hatte. Ihre Blicke trafen sich, und Odals Lippen verzogen sich zu einem kalten Lächeln.
Dulaq eilte die Rampe hinauf. Als er die zweite Ebene erreichte, war Odal verschwunden. Weit kann er nicht gekommen sein.
Langsam, aber unaufhaltsam zerbröckelte Dulaqs Halluzination und verwandelte sich in einen Alptraum. Er entdeckte Odals Gesicht in der Menge, nur um es sofort wieder aus den Augen zu verlieren. Erneut machte er seinen Mann aus, aber wenn er näher kam, war es ein weiterer Unbekannter. Immer wieder spürte er die kalten blauen Augen des Duellanten auf sich ruhen, doch wenn er sich umdrehte, sah er nichts außer der anonymen Menschenmenge.
Fortgesetzt tauchte Odals Gesicht auf. Dulaq kämpfte sich durch die Menschentrauben zu seinem Widersacher hin, aber jedesmal löste der sich in Luft auf. Auf den Wegen schien es zu wimmeln von hochgewachsenen blonden Männern, die kreuz und quer vor Dulaqs entsetzten Augen umherspazierten.
Die Schatten wurden länger. Die Sonne sank. Dulaq schlug das Herz zum Zerspringen, und von jedem Quadratzentimeter seiner Haut spürte er Schweiß rinnen.
Da steht er! Ja, das ist er. Ohne Zweifel ist er es! Dulaq drängte sich durch die heimwärtsstrebende Menge zu einem großen blonden Mann hin, der lässig am Schutzgeländer der Hauptpromenade lehnte. Es war Odal, der verdammte, lächelnde, selbstsichere Odal.
Dulaq zog den Strahler aus der Tunika und kämpfte sich ^ durch das Gewühl zu der Stelle vor, wo Odal reglos stand, die Hände in den Taschen, und ihm kühl entgegensah. Dulaq kam bis auf Armeslänge heran…
»DIE ZEIT IST UM, GENTLEMEN. DAS DUELL IST BEENDET.«
Der Sternhaufen Acquatainia — Acquataine Cluster genannt — war ein funkelndes Geschmeide aus gut dreihundert Sonnen, direkt vor den Toren des Terranischen Commonwealth gelegen. Mehr als tausend bewohnte Planeten umkreisten diese Sonnen. Auf dem Zentralplaneten — Acquatainia — lag die größte Stadt des Clusters. In dieser Stadt befand sich die älteste Universität. Und in dieser Universität stand die Duellmaschine.
Hoch über dem Boden des antiseptisch weißen Raums, der die Duellmaschine beherbergte, verlief eine schmale Galerie. Bevor die Maschine installiert worden war, hatte der Raum als Hörsaal gedient. Nun waren die Sitzreihen verschwunden, das Vortragspult des Dozenten und die Tribüne. In dem Raum stand nur noch die Maschine, ein bizarres Gewirr von Konsolen, Kontrollpulten, Energieaggregaten, Assoziationsfeldern und den beiden Kabinen für die Duellanten.
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