Er machte eine Bewegung, kaum sichtbar, nur mit einer Hand, ein kurzes Fingerschnippen.
Dann ging alles so schnell, dass das Auge nicht folgen konnte; Metall blitzte auf, und von überall her drangen schwache Luftzüge in den Raum. Im Nachhinein rekonstruierte ich, dass sich ringsum — in den Wänden, im Fußboden und wahrscheinlich in der Decke — vielleicht ein Dutzend Irisblenden oder Schiebeklappen geöffnet hatten, aus denen sich Maschinen schoben.
Es waren automatische Wachdrohnen, fliegende schwarze Kugeln, die nun in der Mitte aufklappten und jeweils drei bis vier Gewehrläufe auf Dieterling und mich richteten, während sie uns, summend wie Wespen, mit kaum gebändigter Angriffslust umkreisten.
Sekundenlang wagte keiner von uns zu atmen. Schließlich war es Dieterling, der das Wort ergriff.
»Wenn du wirklich sauer auf uns wärst, Vasquez, wären wir jetzt wahrscheinlich schon tot.«
»Ganz richtig, Schlange, aber ihr wart hart an der Grenze.« Er hob die Stimme: »Sicherung ein«, und schnippte wie zuvor mit den Fingern. »Hast du das gesehen, Mann? Für dich war es die gleiche Bewegung wie vorhin, nicht? Aber für den Raum nicht. Hätte ich das System nicht abgeschaltet, dann hätte er sie als Befehl interpretiert, alle Anwesenden außer mir und die fetten Säcke in den Spielersesseln zu exekutieren.«
»Nur gut, dass du so fleißig geübt hast«, sagte ich.
»Lach du nur, Mirabel.« Er wiederholte die Bewegung. »Auch das sieht genauso aus, nicht wahr? Aber es war wieder ein anderer Befehl. Damit hätte ich die Drohnen angewiesen, euch nacheinander die Arme abzuschießen. Der Raum ist so programmiert, dass er mindestens zwölf weitere Gesten erkennt — und bei manchen Befehlen hätte ich hinterher eine saftige Rechnung fürs Saubermachen zu bezahlen.« Er zuckte die Achseln. »Habe ich mich jetzt klar genug ausgedrückt?«
»Ich denke, wir haben verstanden.«
»Na schön. Sicherung aus. Wachen abziehen.«
Wieder die rasend schnellen Bewegungen; der Luftzug von allen Seiten. Die Maschinen lösten sich förmlich in Luft auf.
»Beeindruckt?«, fragte Vasquez.
»Nicht unbedingt«, sagte ich, obwohl mir der Schweiß auf der Stirn stand. »Ein anständiges Sicherheitssystem hätte jeden Besucher bereits durchleuchtet, bevor er so weit käme. Aber als Party-Gag vermutlich gar nicht schlecht.«
»So könnte man sagen.« Vasquez sah mich amüsiert an. Er hatte offensichtlich erreicht, was er wollte, und war zufrieden.
»Außerdem frage ich mich immer noch, warum du so empfindlich bist.«
»An meiner Stelle wärst du noch ‘nen ganzen Tick empfindlicher.« Dann tat er etwas, das mich überraschte. Er zog die Hand aus der Tasche, ganz langsam, damit ich sehen konnte, dass er keine Waffe hatte. »Was sagst du dazu, Mirabel?«
Ich wusste nicht, was ich eigentlich erwartet hatte, die geballte Faust sah ganz normal aus. In keiner Weise ungewöhnlich, keinerlei Missbildungen. Sie war nicht einmal besonders rot.
»Sieht aus wie eine Hand, Vasquez.«
Er ballte die Faust noch fester, und dann passierte etwas Sonderbares. Zwischen den Fingern quoll Blut hervor; zunächst nur langsam, dann immer mehr. Dicke scharlachrote Tropfen fielen auf den grünen Boden und spritzten auseinander.
»Daher kommt mein Name. Weil ich aus der rechten Hand blute. Verdammt originell, was?« Er öffnete die Faust, und ich sah, dass das Blut aus einem kleinen Loch in der Mitte der Handfläche strömte. »Das ist die große Sensation. Ein Stigma; wie eine von den Wunden Christi.« Er griff mit der heilen Hand in die andere Tasche, zog ein Taschentuch heraus, knüllte es zusammen und drückte es auf die Wunde, um die Blutung zu stillen. »Manchmal kommt es sogar, wenn ich es will.«
»Dich hat also der Haussmann-Kult erwischt«, stellte Dieterling fest. »Diese Leute haben Sky gekreuzigt. Haben ihm einen Nagel in die rechte Hand geschlagen.«
»Ich verstehe kein Wort«, sagte ich.
»Soll ich’s ihm erklären?«
»Tu dir keinen Zwang an, Schlange. Der Mann hat noch ‘ne Menge zu lernen.«
Dieterling wandte sich mir zu. »Der Haussmann-Kult ist im Lauf der letzten hundert Jahre zu einer ganzen Reihe von Sekten zerfallen. Eine Reihe davon nimmt sich die Büßermönche zum Vorbild und will etwas von den Qualen spüren, die Sky erduldet haben muss. Einige schließen sich im Dunkeln ein, bis sie vor Einsamkeit fast den Verstand verlieren oder Visionen haben. Andere schneiden sich den linken Arm ab; manche kreuzigen sich sogar selbst. Hin und wieder kommt einer dabei ums Leben.« Er hielt inne und sah Vasquez an, als bitte er um Erlaubnis, fortfahren zu dürfen. »Eine besonders extreme Sekte tut dies alles und noch mehr. Und sie begnügt sich auch damit nicht. Sie verbreitet ihre Botschaft nicht mündlich oder schriftlich, sondern durch ein Indoktrinationsvirus.«
»Weiter«, sagte ich.
»Das Virus muss eine Spezialanfertigung sein; wahrscheinlich von den Ultras hergestellt. Vielleicht ist einer von den Anhängern sogar zu den Schiebern gereist und hat sie in seiner Neurochemie herumpfuschen lassen. Spielt weiter keine Rolle. Wichtig ist, dass das Virus ansteckend ist. Es wird durch die Luft übertragen und infiziert fast jeden, der damit in Berührung kommt.«
»Es bekehrt einen zum Haussmann-Kult?«
»Nein.« Das war Vasquez. Er hatte sich eine neue Zigarette angezündet. »Es versaut dich gründlich, aber es macht dich nicht zu einem von denen, kapiert? Du kriegst Visionen, du hast Träume, und manchmal drängt es dich…« Er hielt inne und nickte dem Delphin an der Wand zu. »Siehst du diesen Fischkopf? Hat mich ein Heidengeld gekostet. Das ist der Schädel von Sleek, einem von den Delphinen auf dem Schiff. Wenn ich solches Gerümpel um mich rum habe, werde ich ruhiger; dann hört das Zittern auf. Aber das ist auch schon alles.«
»Und die Hand?«
»Einige von den Viren«, sagte Vasquez, »bewirken auch körperliche Veränderungen. Ich hatte sogar noch Glück. Es gibt eins, das macht dich blind; bei einem anderen kriegst du Angst vor der Dunkelheit; wieder ein anderes lässt deinen linken Arm verdorren und abfallen. Weißt du, das bisschen Blut hin und wieder stört mich nicht weiter. Anfangs, als noch nicht so viele Leute von dem Virus wussten, fand ich’s sogar ganz cool. Man konnte damit richtig Eindruck schinden. Zum Beispiel, wenn man jemanden, mit dem man verhandeln wollte, einfach mit Blut besudelte. Aber mit der Zeit kamen die Leute dahinter, was tatsächlich dahinter steckte, dass ich mir nämlich ein Kult-Virus eingefangen hatte.«
»Und fragten sich, ob du wirklich ein so harter Bursche warst, wie sie gehört hatten«, ergänzte Dieterling.
»Genau.« Vasquez sah ihn misstrauisch an. »‘nen Ruf wie den meinen baut man sich nicht von heute auf morgen auf.«
»Das glaube ich dir gern«, sagte Dieterling.
»Ja, und solche Bagatellen, Mann, die können einem wirklich schaden.«
»Kann man das Virus nicht ausschwemmen?«, fragte ich, bevor Dieterling doch noch zu weit ging.
»Das schon, Mirabel. Im Orbit gibt es irgend so’n Zeug, mit dem das geht. Aber der Orbit steht im Moment nicht auf meiner Liste von sicheren Reisezielen, verstehst du?«
»Dann lebst du eben damit weiter. So groß kann die Infektionsgefahr doch auch nicht mehr sein, oder?«
»Nein, du bist sicher. Und alle anderen auch. Ich bin kaum noch ansteckend.« Seit er wieder rauchte, hatte er sich ein wenig beruhigt. Die Blutung hatte aufgehört, er konnte die Hand wieder in die Tasche zurückstecken. Nun nahm er einen Schluck von seinem Pisco Sour. »Manchmal wünschte ich, das Virus wäre noch aktiv, oder ich hätte damals, als ich infiziert wurde, etwas Blut von mir aufbewahrt. Wäre ein hübsches Abschiedsgeschenk, jemandem eine Spritze voll in die Vene zu jagen.«
»Aber«, sagte Dieterling, »damit würdest du genau das tun, was der Kult immer von dir wollte. Du würdest für die Verbreitung seines Glaubens sorgen.«
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