Orbit Hospital 02
Übersetzung: Wilhelm Heyne
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY.
Band 06/4975
Titel der englischen Originalausgabe STAR SURGEON 1993
der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München.
Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!
Weit draußen am Rande der Galaxis, wo es kaum noch Sternsysteme gibt und wo fast absolute Dunkelheit herrscht, befand sich im galaktischen Sektor zwölf das Orbit Hospital. Auf den dreihundertvierundachtzig Ebenen dieser einmaligen Einrichtung konnten die Umweltbedingungen sämtlicher der galaktischen Föderation bekannten Spezies reproduziert werden — ein biologisches Spektrum, das bei den unter extremen Kältebedingungen lebenden Methanarten begann und über die eher normalen Sauerstoff- und Chloratmer bis hin zu den Exoten reichte, die von der direkten Umwandlung harter Strahlung lebten. Die meisten der zigtausend Fenster waren fast durchgehend hell erleuchtet — wobei die Beleuchtung in den verrücktesten Farbkombinationen und unterschiedlichsten Stärken ausfiel, um den jeweiligen Ansprüchen der Sehorgane der extraterrestrischen Patienten und Mitarbeiter gerecht zu werden —, so daß sich den Besatzungen der sich nähernden Raumschiffe von weitem das Bild eines riesigen, zylindrischen Weihnachtsbaums bot.
Hinsichtlich seiner technischen Leistungsfähigkeit wie auch seiner psychologischen Betreuung stellte das Orbit Hospital gleich ein doppeltes Wunder dar. Für den Nachschub und die Wartung war in erster Linie das Monitorkorps verantwortlich, das auch administrative und polizeiliche Aufgaben wahrnahm und dem Gesetz der Föderation Geltung verschaffte. Die sonst üblichen Reibereien zwischen militärischen und zivilen Mitarbeitern traten hier allerdings so gut wie nie auf. Genauso selten waren ernsthafte Meinungsverschiedenheiten unter den ungefähr zehntausend Mitarbeitern des medizinischen Personals, das sich aus mehr als sechzig verschiedenen Lebensformen mit ebenso vielen unterschiedlichen Verhaltensweisen, Körpergerüchen und Lebensanschauungen zusammensetzte. Ihr vielleicht einziger gemeinsamer Nenner war das Anliegen aller Ärzte — unabhängig ihrer Größe, Gestalt oder Anzahl der Beine —, nämlich Kranke zu heilen.
Das Personal des Orbit Hospitals bestand aus Mitarbeitern, die ihre Arbeit mit viel Engagement erledigten, ohne dabei allerdings von übertriebenem Ehrgeiz besessen zu sein, und die in jeder Hinsicht tolerant gegenüber ihren Mitwesen waren — hätten sie diese Grundvoraussetzungen nicht erfüllt, wären sie erst gar nicht dort gewesen. Sie konnten sich rühmen, daß für sie kein Fall zu groß, zu klein oder zu hoffnungslos war, und ihr Rat und ihre tatkräftige Unterstützung stand bei den medizinischen Kapazitäten der gesamten Galaxis hoch im Kurs. Obwohl sie allesamt Pazifisten waren, führten sie doch einen ständigen und unbarmherzigen Krieg — einen Krieg gegen Krankheit und Leid, egal, wer davon betroffen war, sei es nun ein einzelnes Wesen oder die gesamte Bevölkerung eines Planeten.
Es gab aber immer wieder Zeiten, in denen die Diagnose und Behandlung einer erkrankten interstellaren Zivilisation — einschließlich der unnachgiebigen Bekämpfung tiefverwurzelter Vorurteile und schädlicher moralischer Wertvorstellungen — ohne die Zusammenarbeit oder die Einwilligung der Patienten zu einem wirklichen Krieg führen konnte, und das trotz der pazifistischen Grundhaltung der betroffenen Ärzte.
* * *
Bei dem Patienten, der gerade in den Beobachtungsraum gebracht wurde, handelte es sich um ein ausgesprochen korpulentes Exemplar — etwa ein halbe Tonne Körpergewicht, schätzte Conway —, der einer riesigen, aufrecht stehenden Birne ähnelte. Fünf dicke, tentakelartige Gliedmaßen wuchsen aus dem schmalen Kopfabschnitt heraus, und der stark muskulöse untere Teil wies auf eine schlangenähnliche, wenn auch nicht unbedingt langsame Fortbewegungsmethode hin. Die gesamte Hautoberfläche sah rauh und zerschunden aus, als ob jemand versucht hätte, sie mit einer Drahtbürste abzuschürfen.
Conway empfand weder die körperliche Beschaffenheit noch den gesundheitlichen Zustand des Patienten als etwas Besonderes — in den sechs Jahren seiner Tätigkeit im Orbit Hospital hatte er sich an weit merkwürdigere Anblicke gewöhnt —, und so machte er sich ohne großes Aufheben an die Voruntersuchung. Der Lieutenant des Monitorkorps, der den Transport des Patienten bis hierher in den Behandlungsraum begleitet hatte, trat plötzlich ein Stück näher heran. Conway spürte zwar seinen heißen Atem im Nacken, ließ sich dadurch aber nicht ablenken und sah sich den Patienten unbeirrt genauer an.
Direkt unter den fünf Tentakelansätzen befand sich jeweils eine große Mundöffnung, vier davon waren üppig mit Zähnen ausgerüstet, und in einer saß der Sprechapparat. Die Tentakel selbst wiesen an ihren Enden auf einen hohen Spezialisierungsgrad hin; drei von ihnen dienten eindeutig als Greifarme, einer enthielt die Sehorgane des Patienten, und der letzte war mit einer harten, knochigen Spitze besetzt, die einer Keule glich. Der Kopf war lediglich eine knöcherne Kuppe ohne besondere Merkmale, in der sich das Gehirn des Wesens befand.
Da durch eine erste oberflächliche Untersuchung nicht viel mehr festzustellen war, wollte Conway einige Sonden holen. Er drehte sich um und trat dabei dem Monitor auf den Fuß, der sich vor Schmerzen krümmte.
„Haben Sie eigentlich mal darüber nachgedacht, gegenüber der Medizin eine etwas ernsthaftere Haltung einzunehmen, Lieutenant?“ fragte er ihn gereizt.
Der Monitor lief puterrot an, wobei sich seine momentane Gesichtsfarbe mit dem Dunkelgrün des Uniformkragens entsetzlich biß.
„Dieser Patient ist ein Krimineller, Doktor“, reagierte er etwas unbeholfen. „Alle äußeren Umstände, unter denen er gefunden wurde, deuten darauf hin, daß er die anderen Mitglieder seiner Schiffsbesatzung getötet und gefressen hat. Auf der Reise hierher war er zwar die ganze Zeit bewußtlos, aber mir wurde befohlen, ihn für alle Fälle lieber zu bewachen. Ich werde mir jedoch von nun an alle Mühe geben, Ihnen nicht mehr im Weg zu stehen, Doktor.“
Conway schluckte, und sein Blick richtete sich auf die blutrünstig aussehende, knöcherne Keule, mit der sich nach Conways Überzeugung die Spezies dieses Patienten bis auf den Wipfel ihres evolutionären Stammbaums hochgeprügelt haben mußte. „O je, wenn das so ist, geben Sie sich bloß nicht allzu große Mühe, mir nicht mehr im Weg zu stehen Lieutenant“, merkte er trocken an.
Mit Hilfe eines tragbaren Röntgenscanners untersuchte Conway seinen Patienten gewissenhaft von innen wie von außen. Er nahm verschiedene Proben, auch von einigen Stellen der befallenen Haut, und ließ sie zusammen mit drei engbeschriebenen Seiten erläuternder Notizen zur Pathologie bringen. Schließlich betrachtete er den Patienten aus der Ferne und kratzte sich nachdenklich am Kopf.
Als warmblütigen Sauerstoffatmer und in Anbetracht der Tatsache, daß er trotz seines beträchtlichen Körperumfangs ziemlich normale Gravitationsund Druckverhältnisse benötigte, mußte man den Patienten als EPLH einstufen. Er schien an Hautgeschwulsten aus Epithelzellen im fortgeschritten Stadium zu leiden, die sich bereits über den ganzen Körper verbreitet hatten. Die Symptome lagen so offen auf der Hand, daß Conway eigentlich mit der Behandlung hätte beginnen können, ohne auf den Bericht der Pathologie zu warten, doch wurde ein krebsartiger Hautzustand normalerweise nicht von einer tiefen Ohnmacht begleitet.
Wie er wußte, konnte dies ein Indiz für psychologische Komplikationen sein, und in diesem Fall würde er einen Spezialisten hinzuziehen müssen. Einer seiner telepathischen Kollegen schien dafür am ehesten in Frage zu kommen, doch, von wenigen Ausnahmen abgesehen, konnten diese fast nur die Gedanken der Angehörigen ihrer eigenen Spezies lesen. Außer in sehr seltenen Ausnahmefällen hatte sich die Telepathie als ein nur sehr begrenzt einzusetzendes Kommunikationsmittel herausgestellt. Blieb noch sein GLNO-Freund, der Empath Dr. Prilicla…
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