Conway nickte.
O’Mara zählte in Gedanken bis drei, dann sagte er: „Gut, wenn Sie also nichts Besseres vorhaben, als sich hier nur faul in diesem Sessel herumzuflegeln, dann.“
Gleich nachdem er O’Maras Büro verlassen hatte, setzte sich Conway mit der Pathologie in Verbindung und bat darum, ihm den Laborbericht noch vor der Mittagspause zukommen zu lassen. Dann verabredete er sich mit den beiden ianischen GKNMs zum gemeinsamen Mittagessen und arrangierte für den Nachmittag eine Unterredung über den Zustand des Patienten mit Dr. Prilicla.
Nachdem er all das erledigt hatte, fühlte er sich freier, seinen Rundgang über die ihm zugeteilten Stationen zu machen.
Während der folgenden zwei Stunden blieb ihm keine Zeit, sich über seinen neuen Patienten Gedanken zu machen, denn gegenwärtig hatte er fünfunddreißig Patienten zu betreuen. Sechs unterschiedlich qualifizierte Assistenzärzte und ein gutes Dutzend Schwestern und Pfleger standen ihm dabei zur Seite, wobei sich Patienten und medizinisches Personal aus elf verschiedenen Spezies rekrutierten. Für die Untersuchung der extraterrestrischen Patienten gab es nicht nur Spezialinstrumente und — geräte, es mußten auch besondere Vorkehrungen getroffen werden. Wurde er von einem Alien-Assistenzarzt begleitet, dessen Druck- und Schwerkrafterfordernisse sich sowohl von denen des Patienten als auch von seinen eigenen unterschieden, dann konnte aus einer „routinemäßigen“ Visite eine äußerst komplizierte Angelegenheit werden.
Aber Conway sah sich alle seine Patienten persönlich an, selbst die, deren Gesundheitszustand sich merklich gebessert hatte oder die von einem seiner Untergebenen hätten weiterbehandelt werden können. Ihm war völlig klar, daß dieses Vorgehen ziemlich albern war und er sich so nur völlig unnötig Mehrarbeit aufhalste, aber in Wahrheit steckte ihm seine erst kürzlich erfolgte Berufung zum Chefarzt noch zu sehr in den Knochen, um sich bereits daran gewöhnt zu haben, Aufgaben auch im großen Maßstab zu delegieren. Und wie ein unbelehrbarer Idiot hielt er stur daran fest, weiterhin alles selbst zu machen.
Nach seinem Rundgang mußte er DBLF-Lernschwestern einen Einführungskurs in Geburtshilfe geben. Die DBLFs waren pelzige, vielbeinige Wesen, die vom Planeten Kelgia stammten und von der äußeren Erscheinung her Raupen ähnelten. Sie atmeten dasselbe atmosphärische Gemisch wie Menschen, also brauchte er sich keinen Schutzanzug anzulegen. Zu dieser rein körperlichen Erleichterung kam die Tatsache, daß er sich auf seinen Vortrag nicht extra vorbereiten mußte. Schließlich ging es nur um die Vermittlung von so elementarem Grundwissen, daß Kelgianerinnen nur einmal im Leben gebaren, und zwar immer Vierlinge, von denen stets zwei männlichen und zwei weiblichen Geschlechts waren. Folglich mußte er sich nicht sonderlich konzentrieren, und in Gedanken war er schon wieder im Beobachtungszimmer bei seinem mutmaßlichen Kannibalen.
Eine halbe Stunde später saß er mit den beiden ianischen Ärzten im großen Speisesaal der Hauptkantine zusammen, die Tralthanern, Kelgianern, Terrestriern und anderen warmblütigen Sauerstoffatmern vorbehalten war, und aß den obligatorischen Salat. Das allein störte ihn nicht sonderlich, denn Kopfsalat war verglichen mit dem, was er sonst manchmal essen mußte, wenn er gegenüber ET-Kollegen den Gastgeber spielte, regelrecht appetitanregend, aber er glaubte nicht, sich jemals an den sprichwörtlichen Wirbel gewöhnen zu können, den diese GKNMs dabei verursachten.
Diese Aliens waren empfindliche, geflügelte Wesen die ein wenig wie Riesenlibellen aussahen. Sie hatten einen langen, stabähnlichen, jedoch flexiblen Körper, der mit jeweils vier insektenartigen Beinen und Greilzangen, den üblichen Sinnesorganen und drei enorm großen Flügelpaaren ausgestattet war. Ihre Tischmanieren waren nicht einmal die schlechtesten — störend war nur, daß sie während des Essens nicht saßen, sondern in der Luft schwebten. Im Flug zu essen schien höchstwahrscheinlich nicht nur ein bedingter Reflex zu sein, sondern sich auch offensichtlich positiv auf ihre Verdauung auszuwirken.
Conway legte den Pathologiebericht auf den Tisch und beschwerte ihn mit einem Zuckertopf, damit die Zettel nicht durch den Raum geblasen wurden.
„Nach allem, was ich Ihnen vorgelesen hab, scheint es sich um einen einfachen Fall zu handeln. Trotzdem halte ich ihn für ungewöhnlich, da der Körper des Patienten auffällig frei von schädlichen Bakterien ist. Alle Symptome deuten darauf hin, daß einzig und allein eine Epitheliomie für seine Bewußtlosigkeit verantwortlich ist. Aber möglicherweise könnten uns Informationen über seine planetarischen Umweltbedingungen und seine Schlafgewohnheiten und so weiter behilflich sein, und deshalb wollte ich mich mit Ihnen unterhalten. Wir wissen, daß der Patient aus Ihrer Galaxie stammt. Können Sie mir vielleicht irgend etwas über seine Herkunft verraten?“
Der GKNM zu Conways Rechten schwebte ein Stück vom Tisch zurück und sagte über den Translator: „Leider hab ich noch nicht sämtliche Feinheiten Ihres physiologischen Klassifikationssystems begriffen, Doktor. Wie sieht der Patient eigentlich aus?“
„Ach, entschuldigen Sie bitte, das hab ich nicht bedacht“, entgegnete Conway. Er wollte gerade schildern, was ein EPLH war, dann besann er sich eines Besseren und begann damit, auf der Rückseite des Laborberichts eine Zeichnung zu machen. Kurz darauf hielt er das Resultat hoch und sagte: „Ein EPLH sieht ungefähr so aus.“
Beide Ianer sackten daraufhin im freien Fall wie benommen zu Boden.
„Also kennen Sie diese Spezies?“ fragte Conway, wobei er seine Verblüffung über die unvermutete Reaktion der beiden GKNMs kaum verbergen konnte, da er zuvor noch nie mitbekommen hatte, daß sie während einer Mahlzeit zu essen oder gar zu fliegen aufgehört hatten. Der GKNM zu seiner Rechten gab zunächst Laute von sich, die Conways Translator als eine Serie von Bellgeräuschen wiedergab, der ianischen Entsprechung eines Stotteranfalls. Schließlich sagte der Alien: „Wir kennen diese Wesen zwar, aber wir haben noch nie eins von ihnen gesehen. Wir wissen auch nicht, von welchem Planeten sie stammen. Und bis zu diesem Augenblick waren wir uns nicht einmal sicher, ob sie auch wirklich physisch existieren. Diese Wesen, diese Wesen sind nämlich Götter, Doktor.“
Schon wieder so ein VIP-Gast! dachte Conway, wobei seine Laune augenblicklich auf den Nullpunkt sank. Nach seiner Erfahrung verliefen Fälle mit solch außergewöhnlichen Patienten nie problemlos. Selbst wenn der Zustand eines solchen Patienten nicht sonderlich ernst zu sein schien, war unweigerlich mit Komplikationen zu rechnen, die allerdings mit dem eigentlichen medizinischen Problem nie etwas zu tun hatten.
„Mein Kollege geht da ein wenig zu emotional ran“, meldete sich der andere GKNM zu Wort. Conway hatte zwischen den beiden Ianern bislang keinerlei unterschiedliche äußerliche Merkmale feststellen können, doch diese Libelle schien mit einem gewissen Zynismus ausgestattet zu sein. „Vielleicht sollte ich Ihnen lieber die wenigen Tatsachen, die uns über diese Wesen bekannt sind, berichten, anstatt Ihnen all die Dinge aufzuzählen, die nur auf Mutmaßungen beruhen.“
Wie der ianische Arzt erzählte, war die Spezies, der der Patient angehörte, außerordentlich selten, aber ihr Einflußbereich innerhalb ihrer Galaxis um so beträchtlicher. Auf geistes- und naturwissenschaftlichem Gebiet waren diese Wesen sehr weit fortgeschritten, und jedes von ihnen verfügte über eine ungeheure Intelligenz. Aus Gründen, die sie nur selbst kannten, suchten sie die Gesellschaft von Artgenossen nur höchst selten. So hatte man immer nur davon gehört, daß stets nur eins dieser Wesen auf irgendeinem Planeten für längere Zeit angetroffen worden war.
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