Fletcher hob beide Hände als Zeichen der Kapitulation und entgegnete: „Und besitzt darüber hinaus auch noch die Fähigkeit, seinem Personal einen — gelinde gesagt — ungewöhnlich hohen Grad an persönlicher Loyalität abzuverlangen. Na gut, Madam, Sie haben mich überzeugt. Was Diagnostiker betrifft, bin ich ab jetzt im Bilde, und ich kann eben nichts dagegen tun, daß diese Leute einfach über mein Schiff herfallen.“
„Leider nicht, Captain“, erwiderte Murchison mitfühlend. „Dagegen könnte nur O'Mara etwas machen. Aber der mag seine Diagnostiker viel zu gern. Einer seiner Lieblingssätze lautet, daß jeder geistig Zurechnungsfähige, der freiwillig Diagnostiker werden will, schon von vornherein verrückt sein muß.“
Während des Gesprächs zwischen Murchison und Fletcher hatte sich die Beleuchtung in der Schiffskantine fast unmerklich verändert. Der Grund dafür war das Aufflackern des Bildschirms, auf dem jetzt die zerfurchten Gesichtszüge des Chefpsychologen zu sehen waren.
„Wie kann es eigentlich angehen, daß jedesmal, wenn ich ein Gespräch unterbreche, die Leute über mich reden?“ fragte O'Mara griesgrämig. „Aber bitte jetzt keine Entschuldigungen oder Erklärungen, Sie würden ja doch nur meine Leichtgläubigkeit auf die Probe stellen. Conway, Fletcher, ich hab Neuigkeiten für Sie. Doktor, Sie können den Raumanzug ausziehen und Ihre Kabine wieder mit der Klimaanlage des Schiffs verbinden. Sie dürfen auch wieder mit Ihren Kollegen und Kolleginnen essen und sogar in direkten Körperkontakt treten.“ Er lächelte süffisant, sah Murchison aber lieber nicht an. „Das Schiff steht ab sofort nicht mehr unter Quarantäne. Aber offen gesagt, hat diese ganze Angelegenheit eine ernsthafte Schwachstelle in unserer Verfahrensweise bezüglich der Patientenaufnahme offenbart.
Bisher hatten wir immer angenommen, daß neue Patienten oder Verletzte keine Bedrohung darstellen, weil die Krankheitserreger einer x-beliebigen Spezies nicht auf die Angehörigen einer anderen Spezies übertragbar sind — und damit hatten wir auch recht. Da sich jedes raumreisende Wesen selbst nach den kürzesten interplanetarischen Abstechern strengen Gesundheitstests unterziehen muß, haben wir leider zu einer etwas laxen Haltung gegenüber der Ansteckungsgefahr zwischen Angehörigen der gleichen Spezies geneigt. Deshalb sind wir jetzt besonders vorsichtig und gestatten nur der Besatzung der Tenelphi, von Bord zu gehen. Sie müssen leider noch fünf Tage auf der Rhabwar bleiben. Die Besatzung der Tenelphi hat die Grippe ja zuerst bekommen, und die Crew des Ambulanzschiffs ist erst später daran erkrankt. Wenn Sie selbst also in den nächsten fünf Tagen keine Grippe kriegen, Conway, dann gibt es auf Ihrem Schiff logischerweise keine Viren mehr, und Sie und die gesamte Besatzung sind erlöst. Damit Ihnen und Ihren Leidensgenossen aber vor lauter Nichtstun nicht langweilig wird, hab ich einen Auftrag für Sie. Captain Fletcher, die Offiziere und Sie selbst haben den aktiven Dienst ja schon wieder aufgenommen. Wie schnell könnten Sie losfliegen?“
„Inoffiziell sind wir schon seit letzter Woche wieder im aktiven Dienst“, antwortete Fletcher, wobei er sich verzweifelt bemühte, seinen neuerwachten Eifer nicht allzu deutlich zu zeigen. „Das Schiff ist startklar, Major, vorausgesetzt, daß wir sofort damit beginnen können, unseren Vorrat an Lebensmitteln und Medikamenten zu ergänzen, und uns keine übergroßen Extraterrestrier im Weg stehen.“
„Das kann ich Ihnen versprechen“, entgegnete O'Mara.
„… dann könnten wir innerhalb von zwei Stunden starten“, schloß Fletcher.
„Na prima!“ freute sich der Chefpsychologe unverhohlen. „Sie werden zu einer weit am Rande der Galaxis entdeckten Notsignalbake ausrücken, und zwar in Sektor fünf Nach dem gesendeten Signal zu urteilen, ist das keine von unseren Baken, und da draußen fliegen sowieso keine Schiffe der Föderation herum. Wegen der sehr geringen Sternendichte haben wir uns auch noch die Zeit genommen, diesen Abschnitt kartographisch zu erfassen. Wenn es da draußen aber wirklich eine raumreisende Spezies gibt, dann sollten wir deren Karten im Austausch gegen unsere bestimmt kopieren dürfen. Erst recht, wenn Sie einigen dieser Wesen aus der Patsche helfen. Aber vielleicht sollte ich so edle und selbstaufopferungsvolle Charaktere wie Sie lieber nicht auf den Aspekt des beiderseitigen Vorteils bei dieser Angelegenheit hinweisen. Die Koordinaten der Bake werden Sie demnächst vom Kommunikationszentrum erhalten. Wie gesagt, es handelt sich mit nahezu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um eine Notsignal, das von einem Schiff einer bisher unentdeckten Spezies stammt.
Und noch etwas, Conway“, beendete O'Mara seine Ausführungen mit ironischem Unterton, „versuchen Sie doch dieses Mal, ruhig ein paar gewöhnliche, von mir aus sogar auch ungewöhnliche Verletzte mitzubringen, aber bitte nicht wieder gleich irgendeine grassierende Epidemie.“
Captain Fletcher vergeudete keine Zeit damit, auf Sprungdistanz zu gehen, weil er diesmal im Gegensatz zur ersten Mission volles Vertrauen in die Fähigkeiten seines Schiffs hatte. Zwar beklagte er sich ein wenig darüber — obwohl seine Beschwerden in Conways Ohren eher wie eine Entschuldigung klangen — wie schon während des ersten Flugs an Unterrichtseinheiten teilnehmen zu müssen, aber man wollte sowohl die Offiziere als auch die medizinischen Mitarbeiter an Bord zumindest in theoretischer Hinsicht dazu befähigen, im Notfall auch Aufgaben außerhalb ihrer Spezialgebiete übernehmen zu können.
Gemäß der für das Ambulanzschiffprojekt bestehenden Direktive mußte Conway die Offiziere in den Grundlagen der ET-Physiologie unterrichten, ihnen also Kenntnisse über den Körperbau, die Muskulatur und das Kreislaufsystem von Aliens vermitteln. Die Offiziere sollten wenigstens so viel über diese Spezialgebiete wissen, daß sie nicht trotz bester Absichten aus Versehen einen extraterrestrischen Verletzten töteten. Unterdessen sollte sich Fletcher bei den medizinischen Mitarbeitern durch Vorträge über seine besonderen Spezialgebiete, die Konstruktion von ET-Schiffen und die vergleichende Technik, revanchieren. Auf diese Weise wollte man grundlegenden Fehlern des medizinischen Teams bei der Bergung eines Patienten aus einem extraterrestrischen Raumschiff vorbeugen.
Fletcher war mit Conway einer Meinung, daß bei diesem Auftrag zwar keine Zeit für die Aufstellung eines Vortragsprogramms bleiben würde, sie so etwas aber für die Zukunft im Hinterkopf behalten sollten. Das Ergebnis war, daß Conway den größten Teil der Hyperraumreise zusammen mit Naydrad, Prilicla und Murchison auf dem Unfalldeck verbrachte und sich fragte, ob sie auf die Aufnahme einer unbekannten Anzahl von Verwundeten einer fremden physiologischen Klasse richtig vorbereitet waren. Auf Fletchers Einladung hin befand er sich allerdings kurz vor dem anstehenden Auftauchen aus dem Hyperraum im Kontrollraum des Schiffs.
„Schiffstrümmer, Sir“, meldete Lieutenant Dodds ein paar Sekunden nach dem Eintauchen der Rhabwar in den Normalraum.
„Das glaube ich einfach nicht.!“ rief Fletcher überrascht aus. Dann fuhr er in etwas ruhigerem Ton fort: „Also, Ihre Astronavigation ist doch viel zu exakt, Dodds. Das kann doch nur reines Glück gewesen sein.“
„Nun, ich weiß nicht, Sir“, entgegnete Dodds grinsend. „Die Entfernung beträgt jedenfalls neunzehn Kilometer. Ich stelle jetzt das Teleskop ein. Wissen Sie, Sir, das hier könnte die schnellste Rettungsaktion seit Beginn der Raumfahrt werden.“
Der Captain gab keine Antwort. Er sah zufrieden und aufgeregt zugleich aus und war — genau wie der zusehende Conway — aufgrund des unverhofften Glücks ein klein wenig mißtrauisch. Der Bildschirm zeigte das Wrack als flimmernden, verschwommenen grauen Fleck, der in der Dunkelheit des Alls schnell um die eigene Achse rotierte. Hier draußen am Rande der Galaxis war die Sternendichte gering, und der größte Teil des herrschenden Lichts kam von der langen, nur schwach leuchtenden Milchstraße, die wie eine Nebelbank wirkte. Plötzlich wurde das Bild zwar heller, dafür aber noch verschwommener, weil Dodds auf die Infrarotempfänger umgeschaltet hatte und man an Bord der Rhabwar jetzt nur noch die Hitzeabstrahlung des Wracks sah.
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