„Müssen Sie das unbedingt jetzt machen, Captain?“ fragte Murchison besorgt und blickte zu Fletcher auf. Conway drehte sich ebenfalls zu ihm um, aber aus irgendeinem Grund blieb sein Blick an der Taille des Captains und an der dort hängenden Waffe haften.
„Wissen Sie eigentlich, Captain“, sagte er, „daß Sie seit dem ersten Einsatz der Rhabwar eine Waffe an der Seite tragen und ich das bis jetzt kaum bemerkt hab? Sie gehörte einfach schon immer zu Ihrer Uniform, genau wie die Mütze und die Abzeichen. Aber jetzt sticht die Waffe noch mehr in die Augen als Ihr Rucksack.“
Fletcher sah unangenehm berührt drein und antwortete: „Man hat uns beigebracht, daß der psychologische Effekt einer offen getragenen Waffe bei gesetzestreuen Wesen zwar kaum der Rede wert ist, bei Verbrechern oder potentiellen Gesetzesbrechern aber direkt proportional zum Schuldgefühl oder den schlechten Absichten zunimmt. Auf jeden Fall war die Wirkung meiner Waffe bis vor wenigen Minuten rein psychologischer Natur, weil mir Lieutenant Haslam zu diesem Zeitpunkt nämlich erst Munition mitgebracht hat.“ Verteidigend fügte er hinzu: „Schließlich gibt es keinen Grund, auf einem Ambulanzschiff mit geladener Waffe herumzulaufen. Ich konnte ja nicht ahnen, daß sich aus dieser Rettungsaktion ein Polizeieinsatz entwickeln würde.“
Murchison lachte leise und wandte sich wieder der Arbeit zu, und Conway folgte ihrem Beispiel. Bevor der Captain ging, sagte er noch: „Wir haben hier zwar nicht viel Zeit, aber ich muß einen möglichst umfassenden Bericht über den Vorfall und sämtliche wichtigen Begleitumstände abliefern. Diese drei Spezies sind der Föderation unbekannt, und sie wenden eine vollkommen andere Technologie an. Außerdem könnte der Verwendungszweck dieses Schiffs für den Fall von Belang sein. Ist der Verbrecher ein verantwortliches Wesen, vielleicht ein Gefangener, oder nur ein nichtintelligentes Tier? Falls der Täter intelligent ist, war er dann zum Tatzeitpunkt womöglich nicht zurechnungsfähig, und wenn das zutrifft, warum nicht? Hat die Notlage, in der sich Schiff und Besatzung befunden haben, dabei eine Rolle gespielt? Ich weiß, daß es einem schwerfällt, sich mildernde Umstände vorzustellen, wenn Kannibalismus und schwereKörperverletzung mit im Spiel sind, aber bevor uns nicht alle Tatsachen bekannt sind.“
Er ließ den Satz unvollendet und drückte den Sensor gegen den neben ihm aufragenden Decksboden. Kurz darauf fuhr er fort: „Außer uns regt sich im Wrack überhaupt nichts. Ich hab die Außenluke nur ein paar Zentimeter weit offengelassen. Falls also irgend etwas in das Wrack zu gelangen versucht, werden Sie vorher jede Menge Geräusche hören, entweder vom Wesen selbst, das die Luke gegen den Widerstand des Sands und der Scharniere gewaltsam öffnen muß, oder von den Sensoren der Rhabwar. Also werde ich auf jeden Fall immer noch rechtzeitig zu Ihnen stoßen können, so daß Sie sich überhaupt keine Sorgen machen müssen.“
Während Murchison und Conway mit der Sezierung fortfuihren, konnten sie jeden einzelnen Schritt des Captains auf seinem Weg zum Heck mitverfolgen, da er darauf bestand, die zu Dodds übertragenen Bilder mündlich zu beschreiben und näher zu erläutern. Wie er berichtete, sei der Gang niedrig und auch ansonsten für terrestrische Maßstäbe nicht gerade geräumig. Er müsse auf Händen und Knien kriechen, und es wäre äußerst schwierig, sich für den Rückweg woanders umzudrehen als an einer Kreuzung. An den Seitenwänden des Gangs verliefen Kabeltunnel und Luft- oder Hydraulikleitungen. Am Boden und an der Decke waren grobmaschige Netze befestigt, was auf das Fehlen eines künstlichen Schwerkraftsystems im Schiff hindeutete.
Achtern von dem Raum, in dem sich Conway und Murchison aufhielten, lag ein weiteres Frachtdeck, und dahinter wiederum befanden sich die unverkennbaren Umrisse der Generatoren für den Hyperraumantrieb. Der noch weiter achtern gelegene Reaktor und die Düsen für den Normalantrieb waren durch eine dicke Schutzwand vom Captain abgeschirmt. Den Sensoren zufolge war jedoch die gesamte Energie beim Umstürzen des Schiffs sofort abgeschaltet worden, wahrscheinlich durch eine eingebaute automatische Sicherung. Aber Fletcher konnte noch Restenergie in einigen der Leitungen im Gang feststellen, die seiner Meinung nach eventuell mit der Notbeleuchtung verbunden waren, und außerdem glaubte er, einen Lichtschalter gefunden zu haben.
Wie er kurz darauf bestätigte, handelte es sich tatsächlich um einen Lichtschalter. Ein langer Teil des Gangs sei jetzt beleuchtet. Das Licht wäre zwar unangenehm hell, aber seine Augen würden sich allmählich anpassen, und er krieche jetzt in Richtung Schiffsmitte voran.
Murchison und Conway hörten, wie der Captain außerhalb ihres Laderaums eine Pause einlegte, und plötzlich sprang an der Decke neben ihnen die gesamte Beleuchtung an. Conway und Murchison schalteten daraufhin die jetzt überflüssig gewordenen Helmlampen aus.
„Vielen Dank, Captain“, sagte er und setzte dann die schon seit längerem mit Murchison geführte Diskussion fort. „Im Schädel ist zwar genügend Platz für ein Gehirn, aber wir können nicht davon ausgehen, daß das gesamte vorhandene Gehirnvolumen auch zum Denken benutzt wird. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, wie ein Lebewesen mit vier Füßen und zwei Greiforganen, die sich kaum von Klauen unterscheiden, Werkzeuge benutzen oder sogar Mitglied einer Schiffsbesatzung sein kann. Außerdem läßt mir dieses Gebiß keine Ruhe, auf keinen Fall handelt es sich dabei um Reißzähne eines Raubtiers. Vielleicht sind diese Zähne vor langer Zeit einmal eine furchterregende, natürliche Waffe gewesen, aber nach ihrem Zustand zu urteilen, haben sie inzwischen nicht mehr allzuviel zu tun.“
Murchison nickte zustimmend und sagte. „Im Verhältnis zur Körpergröße ist der Magentrakt deutlich überproportioniert. Trotzdem kann ich nirgends eine Spur von Fettgewebe oder durch Überernährung hervorgerufene Fettpolster erkennen, die bei einem Tier, das zu Ernährungszwecken gezüchtet wird, eigentlich vorhanden sein müßten. Im übrigen ähnelt der Magentrakt dem terrestrischer Wiederkäuer. Eigentlich ist der gesamte Verdauungsapparat recht seltsam, aber ich kann mir erst dann einen Reim darauf machen, wenn ich den gesamten Zyklus von der Nahrungsaufnahme bis hin zur Ausscheidung untersucht hab, und das ist hier unten leider nicht möglich. Ich würde zu gerne wissen, wovon sichdiese Wesen ernährt haben, bevor ihnen die Nahrung ausgegangen ist.“
„Ich komme gerade durch eine Art Vorratsdeck, das durch große Regale in Gänge unterteilt ist“, meldete Fletcher in diesem Moment. „In den Regalen befinden sich verschiedenfarbige und unterschiedlich große Behälter mit einem trichterförmigen Spender am Ende. Außerdem stehen hier Abfalleimer mit Leergut herum, und ein paar volle und leere Behälter sind aus den Regalen auf den Boden gefallen.“
„Könnte ich bitte vom Inhalt der Behälter und Eimer bekommen?“ fragte Murchison.
„Natürlich, Murchison“, antwortete der Captain. „Wenn man den ausgehungerten Zustand der Verletzten bedenkt, enthalten die vollen Behälter wahrscheinlich eher Farbe oder Schmiermittel als irgendwelche Lebensmittel. Aber ich nehme an, Sie müssen erst alle anderen Möglichkeiten ausschließen, genauso wie ich, stimmt’s? Ich gehe jetzt zur nächsten. oh!“
Conway hatte bereits den Mund geöffnet, um zu fragen, was denn passiert sei, aber der Captain kam ihm zuvor.
„Ich hab das Licht in diesem Abschnitt angeschaltet und noch zwei Verunglückte gefunden“, berichtete er. „Der eine ist einer der mittelgroßen DCMHs und von einem verbogenen Bauteil mit Sicherheit zu Tode gequetscht worden. Der andere gehört zur kleinen DCLG-Lebensform, hat eine Amputationswunde und bewegt sich nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, daß der auch tot ist. Ich befinde mich jetzt übrigens in dem Schiffsabschnitt, der beim Umstürzen auf den Felsvorsprung gefallen ist.
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