„Captain? Lieutenant Dodds? Gibt’s noch irgendwo Überlebende?“ fragte Conway gereizt.
„Ich hab mir die Wesen nicht so genau angeguckt“, antwortete Fletcher mit einer seltsam heiseren Stimme. Vielleicht war der Zustand der Verunglückten für einen Nichtmediziner sehr erschütternd, dachte Conway, denn einige der Verletzten waren wirklich übel zugerichtet. Aber bevor er eine Antwort geben konnte, führ der Captain fort: „Ich hab die ganze Gegend erst einmal überall abgesucht, die Verletzten gezählt und nachgeschaut, ob noch welche unterm Sand begraben oder zwischen den Felsen versteckt waren. Insgesamt sind es siebenundzwanzig. Aber die Lage der einzelnen Körper ist schon merkwürdig, Doktor. Es sieht ganz so aus, als ob unmittelbare Explosions- oder Feuergefahr bestand und die Besatzung mit letzter Kraft aus dem Schiff geflüchtet ist.
Die Sensoren zeigen allerdings keine solche Gefahr an“, fügte er hinzu.
Dodds wartete ein paar Sekunden lang, bis er absolut sicher war, daß der Captain nichts mehr sagen wollte, und meldete dann: „Ich hab drei Überlebende entdeckt, die sich sogar noch bewegen, und einen, der tot aussieht, aber Sie sind der Arzt, Doktor.“ „Danke“, entgegnete Conway trocken. „Wir werden uns die vier so bald wie möglich ansehen. Helfen Sie bitte inzwischen Naydrad beim Einladen der Bahre, Lieutenant.“
Er begab sich zu Murchison, und die ganze nächste Stunde lang gingen sie zwischen den Verunglückten hin und her, schätzten die Schwere ihrer Verletzungen ab und bereiteten sie für den Transport zur Landefähre vor. Die Bahre war fast voll und bot nur noch für zwei der mittelgroßen Verletzten Platz, die vorläufig als physiologischer Typ DCMH klassifiziert worden waren, oder für einen der großen DCOJs. Die von Conway zuerst untersuchten äußerst kleinen DCLGs, die nicht einmal halb so groß wie die DCMHs waren, ließ man vorläufig erst einmal liegen, weil sie ohne Ausnahme kaum noch Lebenszeichen von sich gaben. Bis jetzt konnte sich allerdings weder Murchison noch Conway physiologisch einen Reim auf diese Wesen machen. Murchison glaubte, die kleinen DCLGs könnten nichtintelligente Versuchstiere oder möglicherweise zahme Schiffstiere sein, während Conway davon überzeugt war, daß die großen und seines Erachtens nach ebenfalls nichtintelligenten DCOJs allein Ernährungszwecken dienten. Doch bei neu entdeckten extraterrestrischen Lebensformen konnte man gar nichts mit absoluter Sicherheit sagen, und deshalb mußten alle Verunglückten, ob groß oder klein, als Patienten behandelt werden.
Dann fanden sie einen der kleinen Aliens, der ganz bestimmt tot war. „Mit dem werde ich mich in der Fähre genauer befassen“, sagte Murchison in lebhaftem Ton. „Gib mir nur fünfzehn Minuten, dann kann ich Prilicla Angaben zum Grundstoffwechsel der DCLGs machen, noch bevor die ersten Patienten auf dem Ambulanzschiff eintreffen.“
Während Murchison auf die Landefähre zuging, blies ein Windstoß den von ihren Füßen aufgewirbelten Sand hoch über ihren Kopf Sie trug die kleine Leiche über der Schulter und stützte sie mit dem linken Arm, während sie mit dem rechten, an dem die Instrumententasche hing, das Gleichgewicht zu halten versuchte. Conway wollte ihr erst vorschlagen, daß eine richtige Untersuchung besser auf der Rhabwar durchzuführen wäre,
da ihr dort eine komplette Laborausrüstung zur Verfügung stand. Aber sie hatte bestimmt schon selbst darüber nachgedacht und sich schließlich anders entschieden, weil zwei leicht ersichtliche Gründe dagegen sprachen — erstens müßten einige der bereits in die Fähre geschafften Verletzten auf dem Planeten zurückgelassen werden, wenn sie zusammen mit Naydrad und Dodds zum Ambulanzschiff zurückfliegen würde, und zweitens benötigte Prilicla von ihr nur wenige grundsätzliche Informationen, damit er an Bord der Rhabwar etwaige Vorkehrungen für Notoperationen oder unterstützende Behandlungsmaßnahmen treffen könnte, bis man die Überlebenden ins Orbit Hospital gebracht hatte.
„Captain, haben Sie das zufällig mitbekommen?“ fragte Conway. „Ich möchte, daß Dodds und Naydrad starten, sobald Pathologin Murchison fertig ist. Es sieht so aus, als ob zum Abtransport aller Verunglückten drei Flüge notwendig wären, plus ein weiterer Flug für uns selbst. Wenn das alles bis zum Sonnenuntergang abgewickelt sein soll, weil dann der nächste Sturm einsetzt, werden wir noch ganz schön unter Zeitdruck geraten.“
Fletcher gab keine Antwort, was bei ihm unter Conways Kommando normalerweise Zustimmung ausdrückte. Deshalb fuhr der Chefarzt fort: „Murchison bleibt beim ersten Flug hier und stellt für den zweiten die nächste Fuhre von Verletzten zusammen. Wir werden sie an eine Stelle bringen, wo sie vor Sand und Sonne geschützt sind. Die Leeseite des Wracks wäre dafür ganz gut geeignet. Nein, noch besser ist, wir bringen sie ins Wrack, falls dort nicht zu viele Trümmer herumliegen.“
„Nein, Doktor“, widersprach der Captain. „Ich hab da einige Bedenken. Schließlich wissen wir nicht, was uns in dem Wrack erwartet.“
Conway entgegnete zwar nichts, aber während er die Untersuchung an dem gerade vor ihm liegenden Verletzten fortsetzte, stieß er einen Seufzer aus, der keinen Zweifel an seiner Ungeduld ließ. Fletcher gehörte zu den anerkannten Experten des Monitorkorps auf dem Gebiet der von Aliens angewandten Schiffstechnologie, und aus diesem Grund hatte er auch das Kommando über das technisch höchstentwickelte Ambulanzschiff des Orbit Hospitals erhalten. Wie man nämlich schon vor langer Zeit erkannt hatte, drohte bei einer Rettungsaktion die größte Gefahr den Rettern selbst, weil sie zumeist ein verunglücktes Schiff nach Überlebenden durchsuchen mußten, dessen Technik und Funktionsweise sie überhaupt nicht verstanden. Fletcher war ein vorsichtiger und äußerst gewissenhafter Offizier mit umfangreichem Fachwissen, der sich in der Regel nie über seine Arbeit oder seine Befähigung, diese zu erledigen, laut sorgte. Conway wunderte sich noch immer über das höchst ungewöhnliche Verhalten des Captains, als plötzlich auf das Unfallopfer, das er gerade untersuchte, ein Schatten fiel.
Über ihm ragte Fletcher auf, der genauso besorgt aussah, wie er eben geklungen hatte. „Mir ist durchaus klar, daß Sie bei Rettungsaktionen das Kommando haben, Doktor“, begann er etwas unbeholfen. „Und Sie sollen ruhig wissen, daß ich mich dieser Anordnung gerne füge. Aber so, wie die Dinge meiner Meinung nach stehen, müßte die gesamte Befehlsgewalt wieder auf mich übergehen.“ Er warf einen kurzen Blick auf das Wrack hinter sich und schaute dann wieder auf den schwerverletzten Alien. „Doktor, haben Sie irgendwelche gerichtsmedizinischen Erfahrungen?“
Conway ging in die Hocke und starrte den Captain nur mit offenem Mund an. „Mit scheint am Zustand der Verunglückten und so, wie sie um das Wrack herum verteilt sind, irgend etwas nicht zu stimmen“, erklärte Fletcher ernst. „Zwar käme eine äußerst überstürzte Flucht in Betracht, die allerdings aus einem relativ unbeschädigten Schiff stattgefunden haben muß, zumal unsere Sensoren keine Hinweise auf Strahlungs- oder Feuergefahr entdeckt haben. Außerdem sind sämtliche Verunglückten mehr oder weniger schwer verwundet und weisen fast die gleichen Verletzungen auf. Einige Opfer scheinen meinem Eindruck nach in der Lage gewesen zu sein, sich weiter vom Schiff zu entfernen als andere, und trotzdem sind sie allesamt in einem ziemlich geringen Abstand vom Wrack zusammengebrochen. Deshalb frage ich mich, ob sie sich die Verletzungen bereits auf dem Schiffs zugezogen haben oder erst dort, wo sie schließlich liegengeblieben sind.“
„Also meinen Sie, daß sie von einem hier lebenden Raubtier angegriffen worden sind, nachdem sie aus dem Schiff gekommen waren“, folgerte Conway. „Klingt einleuchtend, zumal sie durch den Absturz in einem Schockzustand und bereits geschwächt waren.“
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