„Wo willst du Prilicla hinbringen?“ fragte sie, wobei sie äußerst müde und auf für sie untypische Weise zornig klang, so daß der Empath schwach zitterte.
„Auf die Rhabwar“, antwortete Conway so gelassen, wie er konnte. „Wie geht’s dem EGCL?“
Murchison blickte auf den Empathen und versuchte sichtlich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu halten, als sie erwiderte: „Alles in allem sehr gut. Sein Zustand ist stabil. Eine Oberschwester befindet sich in ständiger Bereitschaft. Edanelt ruht sich nebenan aus und ist sofort einsatzbereit, falls etwas schiefgehen sollte. Aber eigentlich erwarten wir keine Schwierigkeiten. Genaugenommen rechnen wir sogar damit, daß der EGCL ziemlich bald sein Bewußtsein zurückerlangt. Thornnastor ist wieder in die Pathologie gegangen, um sich mit den Ergebnissen der Tests zu befassen, die wir an Prilicla durchgeführt haben. Das ist übrigens auch der Grund, warum du Prilicla nicht aus seinem.“
„Thornnastor kann Prilicla nicht heilen“, unterbrach Conway Murchison energisch. Er blickte von ihr zur Bahre und fuhr in ruhigerem Ton fort: „Aber ich kann deine Hilfe gebrauchen. Glaubst du, daß du dich noch einmal ein paar Stunden auf den Beinen halten kannst? Bitte, uns bleibt nicht mehr viel Zeit.“
Kaum waren sie mit Prilicla auf dem Unfalldeck der Rhabwar eingetroffen, war Conway auch schon über den Kommunikator mit Fletcher verbunden. „Captain, fliegen Sie bitte schnell aus der Schleuse raus. Und machen Sie die Planetenlandefähre fertig.“
„Die Planetenlandefähre?“ begann Fletcher und fuhr dann fort: „Wir haben bis jetzt noch nicht einmal abgelegt, geschweige denn Sprungdistanz erreicht, und Sie machen sich schon Gedanken über die Landung auf Cinruss. Sind Sie sich überhaupt sicher, daß Sie wissen, was.“
„Ich bin mir über gar nichts sicher, Captain“, unterbrach ihn Conway. „Fliegen Sie aus der Schleuse raus, aber halten Sie sich bereit, kurzfristig und auch noch innerhalb der Sprungdistanz die Geschwindigkeit zu drosseln.“
Ohne zu antworten, brach Fletcher das Gespräch ab, und ein paar Sekunden später konnte man durch die Direktsichtluke der Rhabwar die gewaltige Metallwand des Hospitals kleiner werden sehen. Die Fluggeschwindigkeit wurde bis zur in unmittelbarer Hospitalnähe erlaubten Grenze gesteigert, bis der dem Schiff nächstgelegene Teil des gigantischen Gebäudes erst einen, dann zwei Kilometer entfernt war. Doch im Moment war niemand an dieser Aussicht interessiert, denn Conways gesamte Aufmerksamkeit galt Prilicla, und Murchison und Naydrad beobachteten ihn dabei.
„Vorhin hast du noch behauptet, daß selbst Thornnastor nicht in der Lage ist, Prilicla zu heilen“, sagte die Pathologin auf einmal. „Warum hast du das gesagt?“
„Weil Prilicla überhaupt nichts gefehlt hat“, antwortete Conway trocken. Er beachtete Murchisons vor Erstaunen weit aufgerissenen Mundnicht und ebensowenig Naydrads heftig wogendes Fell und fragte den Empathen: „Ist es nicht so, mein kleiner Freund?“
„Ich glaube schon, mein Freund“, entgegnete Prilicla, der zum erstenmal sprach, seit sie an Bord gekommen waren. „Mir fehlt jetzt ganz bestimmt nichts mehr. Aber ich bin noch ziemlich verwirrt.“
„Ach, Sie sind verwirrt?“ rief Murchison, verstummte aber gleich wieder, weil Conway erneut am Kommunikator war.
„Captain“, sagte er, „kehren Sie sofort wieder zur Schleuse neun zurück! Wir wollen noch einen Patienten aufnehmen. Schalten Sie die gesamte Außenbeleuchtung ein, und überhören Sie die Flugverkehrsanweisungen einfach. Und stellen Sie mich bitte zu Ebene eins sechs drei durch, zum Genesungsraum des EGCL. Schnell!“
„Gut“, erwiderte der Captain gleichgültig, „aber dafür wünsche ich eine Erklärung.“
„Sie bekommen schon noch eine.“, begann Conway, brach aber den Beschwichtigungsversuch ab, als plötzlich auf dem Bildschirm statt der finsteren Gesichtszüge des Captains der Genesungsraum mit der diensthabenden Schwester, einer Kelgianerin, zu sehen war, die sich neben dem EGCL wie ein pelziges Fragezeichen zusammengerollt hatte. Ihr Bericht über den Zustand des Patienten war knapp, präzise und — zumindest für Conway — erschreckend.
Er unterbrach den Kontakt und schaltete zum Captain zurück. Entschuldigend sagte er: „Wir haben nicht mehr viel Zeit, deshalb möchte ich Sie bitten zuzuhören, während ich den anderen die Situation oder das, was ich dafür halte, zu erklären versuche. Ich hatte ursprünglich vor, die Landefähre mit ferngesteuerten medizinischen Geräten auszustatten und sie als eine Art Isolationsstation zu benutzen, aber dafür ist keine Zeit mehr. Der EGCL wacht auf. Im Hospital kann jetzt jeden Moment die Hölle losbrechen.“
Schnell erklärte er seine Theorie über den EGCL und den Gedankengang, aus dem er sie entwickelt hatte, und daß sie durch Priliclas ansonsten unerklärliche Rettung bewiesen worden war.
„Was mich daran stört, ist, daß ich Prilicla noch einmal der gleichen emotionalen Tortur aussetzen muß“, schloß Conway grimmig.
Bei der Erinnerung an den Schmerz zitterten die Glieder des Empathen, doch er erwiderte: „Da ich jetzt weiß, daß es sich dabei nur um einen vorübergehenden Zustand handelt, kann ich mich damit abfinden, mein Freund.“
Aber der Abtransport des EGCL war nicht so einfach zu bewerkstelligen wie die vorhergehende Entführung Priliclas. Denn die diensthabende kelgianische Schwester war durchaus zum Streiten aufgelegt, und es bedurfte Naydrads gesamter Überredungskunst und der vereinten Überzeugungskraft der hohen Dienstgrade von Murchison und Conway, damit sie endlich das tat, was man von ihr verlangte. Und obwohl Conway vorher alle Beteiligten vor dem gewarnt hatte, was passieren könnte, wenn sie ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hielten, mußte er bei der Auseinandersetzung zwischen den beiden kelgianischen Schwestern hilflos mit ansehen, wie ihr Fell zitterte und wogte, wie sich Murchisons Gesichtsausdruck plötzlich, fast manisch veränderte und alle Beteiligten emotional überreagierten. Als die Drucktragbahre für eine Verlegung des Patienten auf die Rhabwar fast fertig war, hatte es bereits solche Tumulte gegeben, daß bestimmt irgend jemand diesen Vorfall mitbekommen hatte und melden würde. Und genau das wollte Conway nicht.
Der Patient kam zu sich. Um die Angelegenheit auf korrekte Weise zu erledigen, blieb keine Zeit mehr, auch für lange und wiederholte Erklärungen nicht. Doch auf einmal sah sich Conway dazu gezwungen, Zeit zu finden, denn plötzlich befanden sich sowohl Edanelt als auch O’Mara im Zimmer. Der Chefpsychologe war der erste, der das Wort an ihn richtete.
„Conway! Was, zum Teufel, machen Sie da eigentlich mit dem Patienten?“
„Ich kidnappe ihn!“ gab Conway spöttisch zurück und fuhr rasch fort: „Tut mir leid, Sir, wir reagieren im Moment alle etwas zu heftig. Wir können gar nichts dagegen machen, außer uns immer wieder anzustrengen, gelassen zu bleiben. Ach, Edanelt, würden Sie mir wohl helfen, das Lebenserhaltungssystem des EGCL zur Bahre zu bringen? Wir haben nicht mehr viel Zeit, deshalb muß ich Ihnen alles erklären, während wir weiterarbeiten.“
Der melfanische Chefarzt war einen Moment lang völlig verdutzt, seine sechs krabbenartigen Beine klopften auf den Boden und spiegelten so seine Unentschlossenheit wider. Dann erwiderte er: „Also gut, Conway. Aber wenn mich Ihre Erklärung nicht zufriedenstellen sollte, dann bleibt der Patient hier.“
„Einverstanden“, entgegnete Conway. Er blickte O’Mara an, dessen Gesicht Anzeichen eines plötzlich steigenden Blutdrucks verriet und fuhr fort: „Sie hatten schon von Anfang an die richtige Idee, O’Mara, aber dieBeteiligten waren für ein Gespräch mit Ihnen alle viel zu: beschäftigt. Eigentlich hätte mir die Idee auch kommen müssen, wenn mich das GLNO-Band und meine Sorge um Prilicla nicht so abgelenkt hätten, daß ich nicht einmal mehr.“
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