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Alastair Reynolds: Unendlichkeit

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Alastair Reynolds Unendlichkeit

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Vor Urzeiten lebte auf dem Planeten Resurgam das Volk der Amarantin. An der Schwelle zum Raumfahrtzeitalter jedoch wurde ihre blühende Kultur durch eine kosmische Katastrophe völlig vernichtet und so daran gehindert, in den Weltraum vorzudringen. Ein unglückliches Zusammenspiel physikalischer Gesetze? Oder alles andere als ein Zufall? Eine Millionen Jahre später will sich die Menschheit auf Resurgam ansiedeln. Die Kolonisten stoßen dort auf das Vermächtnis des außerirdischen Volkes: eine verschüttete Stadt und die riesige Statue eines geflügelten Amarantin. Es ist eine archäologische Sensation, und ihrem Entdecker, dem genialen Wissenschaftler Dan Sylveste, ist großer Ruhm gewiss. Sylveste aber bedeuten die Funde noch viel mehr: Er will die Wahrheit über das Schicksal der Amarantin herausfinden und ist bereit, dafür nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben anderer aufs Spiel zu setzen. Gemeinsam mit einer Gruppe von Cyborgs und ausgestattet mit einem Waffenarsenal, das ein ganzes Sonnensystem vernichten könnte, beginnt er seine Nachforschungen. Bald schon muss er allerdings erkennen, dass jemand — oder etwas — mit allen Mitteln verhindern will, dass er erfährt, was tatsächlich mit den Amarantin geschah…

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»Es sieht ganz danach aus«, sagte Janequin. »Deshalb wollte ich dich ja so dringend erreichen. Was Cal über Girardieus Anhänger sagt, bestärkt mich nur in meinen Befürchtungen.« Seine Hand spannte sich fester um das Geländer. Die Ärmelmanschetten — die Jacke hing schlaff von seinen knochigen Schultern — waren mit Pfauenaugen bedruckt. »Es hat vermutlich keinen Sinn, wenn ich noch länger bleibe, Dan. Ich habe mich bemüht, meine Beziehung zu dir möglichst unverdächtig zu halten, aber ich muss davon ausgehen, dass dieses Gespräch abgehört wird. Mehr darf ich wirklich nicht sagen.« Er wandte sich von der Stadtansicht und dem schwebenden Obelisken ab und sah den Mann im Lehnstuhl an: »Calvin… Es hat mich sehr gefreut, Sie nach so langer Zeit wiederzusehen.«

Cal streckte eine Hand in Janequins Richtung. »Passen Sie gut auf sich auf«, sagte er. »Und viel Glück mit Ihren Pfauen.«

Janequin war sichtlich überrascht. »Sie wissen von meinem kleinen Projekt?«

Calvin lächelte nur. Was für eine überflüssige Frage, dachte Sylveste.

Der alte Mann schüttelte ihm die Hand — die Projektion schloss auch taktile Interaktionen ein — und verließ den Aufnahmebereich.

Die beiden blieben allein auf dem Balkon zurück.

»Nun?«, fragte Cal.

»Ich darf die Kontrolle über die Kolonie nicht verlieren.« Sylveste hatte auch nach Alicias Abzug formell die Leitung der gesamten Resurgam-Expedition behalten. An sich hätten alle, die auf dem Planeten geblieben waren, anstatt mit ihr nach Hause zu fliegen, seine Verbündeten sein und damit seine Position stärken müssen. Aber so war es nicht. Nicht jedem, der mit Alicia sympathisierte, war es gelungen, an Bord der Lorean zu kommen, bevor das Schiff den Orbit verließ. Und unter den Zurückgebliebenen fanden viele, die früher auf Sylvestes Seite gestanden hatten, er habe die Krise schlecht gemeistert oder gar kriminelle Methoden eingesetzt. Seine Feinde behaupteten, jetzt trete erst zutage, was die Musterschieber vor der Begegnung mit den Schleierwebern mit seinem Gehirn angestellt hätten. Er sei ein pathologischer Fall, an der Grenze zum Wahnsinn. Man hatte die Erforschung der Amarantin-Funde zwar fortgesetzt, aber die Begeisterung ließ langsam nach. Zugleich rissen politische Differenzen und Feindseligkeiten Abgründe auf, die nicht zu überbrücken waren. Alle, die sich noch einen Rest von Loyalität zu Alicia bewahrt hatten — an erster Stelle Girardieu — schlossen sich zu den ›Flutern‹ zusammen. Unter Sylvestes Archäologen wuchs die Verbitterung, eine Belagerungsmentalität machte sich breit. Auf beiden Seiten kam es zu tödlichen Unfällen, deren Hergang mehr als zweifelhaft war. Jetzt trieb alles auf eine Entscheidung zu, und Sylveste war nicht zur Stelle, um die neue Krise zu lösen. »Aber ich kann auch das nicht aufgeben«, sagte er und deutete auf den Obelisken. »Ich brauche deinen Rat, Cal. Und ich werde ihn bekommen, weil du vollkommen von mir abhängig bist. Du bist sehr zerbrechlich, vergiss das nicht.«

Calvin rutschte unruhig hin und her. »Das heißt, du setzt deinem Vater die Daumenschrauben an. Wie reizend von dir.«

»Nein«, knirschte Sylveste mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich sage nur, du könntest in falsche Hände geraten, wenn du mich nicht gut berätst. Für den Pöbel bist du nur einer von vielen Angehörigen unseres erlauchten Clans.«

»Wobei du dem nicht unbedingt zustimmen würdest, nicht wahr? In deinen Augen bin ich nur ein Programm, das du aufgerufen hast. Wann darf ich endlich wieder deinen Körper übernehmen?«

»Darauf kannst du lange warten.«

Calvin hob mahnend den Zeigefinger. »Nicht pampig werden, mein Sohn. Schließlich hast du mich gerufen, nicht umgekehrt. Du kannst den Geist jederzeit in die Flasche zurückschicken. Ich fühle mich dort ganz wohl.«

»Das werde ich auch tun. Aber erst, nachdem ich deinen Rat gehört habe.«

Calvin beugte sich vor. »Sag mir, was du mit meiner Alpha-Simulation angestellt hast, und ich überlege es mir.« Er grinste spitzbübisch. »Verdammt, vielleicht erzähle ich dir sogar ein paar Dinge über die Achtzig, die du noch nicht weißt.«

»Was gibt es da schon zu erzählen?«, fragte Sylveste. »Neunundsiebzig unschuldige Menschen mussten sterben. Das ist kein Geheimnis. Aber ich mache dich nicht dafür verantwortlich. Ebenso gut könnte man die Fotografie eines Tyrannen als Kriegsverbrecher bezeichnen.«

»Du verdankst mir dein Augenlicht, du undankbare kleine Rotznase.« Der Lehnstuhl drehte sich und zeigte Sylveste seine massive Rückseite. »Zugegeben, deine Augen sind nicht unbedingt auf dem neuesten Stand der Technik, aber was konntest du schon erwarten?« Der Lehnstuhl drehte sich wieder zurück. Jetzt trug Calvin die gleiche Kleidung und die gleiche Frisur wie Sylveste, und sein Gesicht war faltenlos. »Erzähl mir von den Schleierwebern«, verlangte er. »Verrate mir deine schmutzigen Geheimnisse, mein Sohn. Sag mir, was vor Lascailles Schleier wirklich geschehen ist, und speis mich nicht mit dem Lügengebäude ab, an dem du seit deiner Rückkehr arbeitest.«

Sylveste trat an das Schreibpult, um die Kassette auszuwerfen. »Warte«, sagte Calvin und hob rasch die Hände. »Du wolltest doch meinen Rat?«

»Jetzt kommen wir endlich zur Sache.«

»Du darfst Girardieu nicht gewinnen lassen. Wenn der Umsturz wirklich unmittelbar bevorsteht, musst du nach Cuvier zurück, um die letzten Anhänger zu mobilisieren, die dir noch geblieben sind.«

Sylveste schaute aus dem Fenster zum Gitter hinüber. Schatten wanderten über die Wälle — die Arbeiter verließen die Grabung und strebten lautlos dem zweiten Schlepper zu, um dort Schutz zu suchen. »Das könnte der wichtigste Fund seit unserer Landung sein.«

»Trotzdem musst du ihn vielleicht opfern. Wenn du Girardieu in Schach hältst, kannst du dir wenigstens den Luxus erlauben, zurückzukommen und die Suche wiederaufzunehmen. Wenn jedoch Girardieu siegt, sind alle deine Funde keinen Pfifferling mehr wert.«

»Ich weiß«, sagte Sylveste. Für einen Moment ruhte die Feindseligkeit zwischen ihnen. Calvins Schlussfolgerung war zwingend, und es wäre kleinlich gewesen, das zu bestreiten.

»Dann wirst du meinen Rat befolgen?«

Sylveste hob die Hand, um die Kassette auszuwerfen. »Ich werde darüber nachdenken.«

Zwei

An Bord eines Lichtschiffs,

Interstellarer Raum

2543

Das Problem mit den Toten war, dachte Triumvir Ilia Volyova, dass sie nicht wussten, wann sie den Mund zu halten hatten.

Sie hatte soeben von der Brücke aus den Fahrstuhl bestiegen, nachdem sie sich achtzehn Stunden lang mit verschiedenen Simulationen einstmals lebender Personen aus der fernen Vergangenheit des Schiffes beraten hatte. Nun war sie todmüde. Sie hatte mit allen Tricks versucht, einem oder mehreren ihrer Gesprächspartner brauchbare Informationen über die Herkunft der Weltraumgeschütze zu entlocken. Es war Knochenarbeit gewesen, nicht zuletzt deshalb, weil einige der älteren Beta-Persönlichkeiten nicht einmal Neu-Norte sprachen und die Software, auf der sie liefen, sich aus irgendeinem Grund zu keiner Übersetzung bewegen ließ. Volyova hatte ununterbrochen geraucht, während sie sich mit den grammatikalischen Fallen des Mittel-Norte herumschlug, und sie dachte nicht daran, ihren Lungen jetzt Abstinenz zu verordnen. Nach den aufreibenden Gesprächen war sie völlig verkrampft und brauchte die Zigaretten mehr denn je. Die Klimaanlage des Fahrstuhls funktionierte nicht richtig, und so hatte sie die kleine Kabine schon nach wenigen Sekunden vollkommen eingenebelt.

Volyova schob den Ärmel ihrer pelzgefütterten Lederjacke zurück und befahl der Sehnsucht nach Unendlichkeit über das Armband, das sie um ihr knochiges Handgelenk trug: »Zum Captainsdeck.« Daraufhin übertrug das Schiff einem mikroskopisch kleinen Teil seiner selbst die primitive Aufgabe, den Fahrstuhl zu steuern, und im nächsten Augenblick sackte ihr der Boden unter den Füßen weg.

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